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'Studierende sind Garant für Veränderungen'
GESELLSCHAFT | DAS INTERVIEW (14.03.2010)
Von iley Redaktion
Der renommierte Soziologe und Elitenforscher Michael Hartmann war auf dem Gipfel der Bologna-Gegner zu Gast. Im Interview mit iley spricht er über die Umsetzung der Reform und realistische Chancen der Protestbewegung.

J. Rostek

Der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann rät der studentischen Protestbewegung zu mehr Realitätsnähe. (c) J. Rostek

Herr Hartmann, was ist das Problem an der Bologna-Reform?

Michael Hartmann: Das Problem von Bologna ist nicht, dass es kein Diplom mehr gibt. Bachelor und Master sind nur andere Namen. Man könnte sie auch genauso organisieren wie das alte Diplom. Das Problem ist das politische Ziel. Und das ist, Studierende vom Master auszuschließen und somit Akademiker zweiter Klasse zu schaffen – und zwar in der Hoffnung, dass die Qualität der Ausbildung so gut ist wie früher, nur billiger. Das ist die Illusion.

Sie haben in Wien einen Workshop gegeben und an einer Podiumsdiskussion teilgenommen. Welchen Eindruck haben Sie vom Treffen der Bologna-Gegner?

Hartmann: Es ist zwiespältig, muss ich ehrlich sagen. Der Workshop war sehr gut, er war gut besetzt, es wurde viel gefragt und da ging es um Inhalte. Das Podium war so, wie ich es seit 40 Jahren kenne: Ein Statement nach dem anderen, sehr allgemein und inhaltlich völlig unergiebig. Eine gute Stimmung, aber keine realisitische Einschätzung darüber, was man wirklich machen kann.

Viele hier verknüpfen ihre Bologna-Kritik mit einer allgemeinen Kritik am Kapitalismus. Ist dies berechtigt?

Hartmann: Es ist berechtigt, natürlich. Aber in dieser Form hilft es politisch nicht weiter. Nur wenn man die allgemeine Kritik mit etwas Konkreten verbindet, kommt man einen Schritt vorwärts. Extrem ist mir das bei den italienischen Vertretern aufgefallen. Ich kenne die nun auch schon seit ewigen Zeiten und weiß, wie sie agieren. Sie sind immer sehr wortgewaltig. Aber es muss etwas Praktisches kommen. Das vermisse ich.

Glauben Sie, dass diese Form antikapitalistischer Rhetorik die Ausweitung der Bewegung behindert?

Hartmann: Es trägt dazu bei. Ich diskustiere häufig mit sogenannten normalen Studis. Die muss man erreichen, indem man an ihren konkreten Erfahrungen anknüpft. Diese Rhetorik tut genau das nicht. Jemanden, der eine andere Meinung hat, kann man so nicht überzeugen.

Also war das nicht, wie die Veranstalter erhofften, der Beginn einer europaweiten Bewegung?

Hartmann: Das weiß ich nicht. Eine Vernetzung ist wichtig, um voneinander zu lernen und größere Zusammenhänge zu verstehen. Wenn das hier in Wien funktioniert hat, dann war dieses Treffen sehr effektiv.

Welches Potenzial hätte eine europäische Studierendenbewegung?

Hartmann: Die Bewegung steht vor vielen unglaublich großen Schwierigkeiten. Die Situation für Hochschulabsolventen in Griechenland beispielsweise ist katastrophal. Die stecken wirklich in der Armut. Die Hochschulabsolventen in Deutschland und Österreich sind weit davon entfernt. Es gibt zwar welche, denen das ähnlich geht. Aber die Mehrzahl von ihnen hat immer noch gute Berufsperspektiven, in vielen Fächern sogar sehr gute Aufstiegschancen und Verdienstmöglichkeiten. Das auf europäischer Ebene zusammenzuführen, wird sehr schwer sein. Um das zu erreichen, muss man realistisch diskutieren. Man muss die Unterschiede erkennen. Formeln ersetzen keine Analyse und keine Gemeinsamkeiten.

Sie sind Professor an der TU Darmstadt. Wäre auch ein Schulterschluss zwischen Studierenden und der Professorenschaft vorstellbar?

Hartmann: Nur sehr schwer. Die meisten Professoren und Professorinnen sind immer noch priviligiert. Ob das Bachelor/Master angeht, ob das Studiengebühren angeht – egal welche Veränderungen, die Anzahl der Professoren an einer großen Universität, die sich praktisch solidarisiert haben, konnte man an einer Hand abzählen.

Wie sieht es mit dem akademischen Mittelbau aus? Dort entstehen zunehmend prekäre Arbeitsverhältnisse.

Hartmann: Die führen aber nicht zwingend zu einer Aktivierung im politischen Sinne. Sie können auch zur Folge haben, dass man sich stärker anpasst. Es gibt auch Fächer, in denen der akademische Mittelbau gar keine Probleme hat. In den Ingenieurs- und Naturwissenschaften ist der Mittelbau in der Regel mit guten Verträgen ausgestattet.
Der Widerstand in den vergangenen 20 Jahren ist immer von den Studierenden ausgegangen. Sie sind und bleiben der Garant für jede substantielle Veränderung an der Universität.

Über den Bologna-Prozess klagen aber nicht nur die Studierenden, sondern auch die Lehrenden.

Hartmann: Natürlich klagen die darüber, aber sie haben doch alle mitgemacht. Man hätte ja auch sagen können, wir machen das nicht. Der konservative Hochschulverband etwa organisiert 30.000 Professoren in Deutschland. Er meckert und meckert und nörgelt. Aber in der Zeit, in der man politisch etwas hätte machen können, hat er sich vornehm zurückgehalten. Anders ist es bei Fächern wie Medizin und Jura. Die sind aufgrund ihrer Stellung selbst stark genug, sich gegen Bologna zu wehren.

Der Bologna-Gipfel in Wien ist nun vorbei, in Deutschland wird es bald einen weiteren geben, den von Wissenschaftsministerin Annette Schavan. Ist das eine Chance für die Studierenden oder eine Falle?

Hartmann: Beides. Wichtig ist, dass die Studierenden vorher auf der Straße sichtbar sind. Wenn die Politik merkt, dass sie wie zuletzt im Wintersemester jetzt auch im Sommersemester massiv protestieren, besteht eine Chance. Doch dafür muss man sich auf Forderungen, die viele Studierende ansprechen, beschränken.

So etwas wie Master für alle?

Hartmann: Der freie Zugang zum Master ist eine der zentralen Forderungen. Die soziale Selektion an den Universitäten wird durch den fehlenden Zugang zum Master massiv vorangetrieben. Das ist der Kern bei Bologna, der nicht verhandelbar sein sollte. Die zweite zentrale Frage sind die Studiengebühren. Die wird erledigt sein, wenn Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen kippt. Das wäre das Ende der Studiengebühren in Deutschland – als Modell. In Bayern und Baden-Württemberg würden sie zwar weiter existieren, aber sie könnten nicht erhöht werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellten Michael Billig und Jörg Rostek.
   









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