Was nicht auf der Verpackung steht
WIRTSCHAFT | ARBEIT IN INDONESIEN (15.05.2005)
Von Rosa Grabe | |
"Sexuelle Belästigung? Nein, das ist doch nur Spaß!?, meint Mila, eine der zahlreichen entlassenen Arbeiterinnen in Mabar, dem Industriegebiet Medans in Nord-Sumatra. Aufdringlichkeiten seitens der Aufpasser oder Chefs kommen so häufig vor, dass es den Frauen schon als normal erscheint. Entlassungen sind in Mabar an der Tagesordnung. Gründe gibt es viele: Unproduktivität, eine schlechte Auftragslage, die Gefahr vielleicht doch ein paar Rupiah mehr zahlen zu müssen, wenn die Angestellten längerfristige Verträge erfüllen. Die meisten der Frauen wissen aber nicht, warum sie schon wieder entlassen wurden. Auch die Verträge sind sehr undurchsichtig und oft nur kurzfristig - und keiner weiß genau, wie sich der Lohn zusammensetzt. Nach den Entlassungen bleibt den meisten nichts anderes übrig als abzuwarten, bis sie wieder gebraucht werden, was mitunter Monate dauern kann. In der Zwischenzeit suchen sich manche einen Nebenjob auf dem Markt. Dort kann ein Pärchen mit Zwiebel schälen (ca. 30kg) an einem Tag ungefähr 15.000 Rupiah verdienen (12.000 Rp =1?). Manche versuchen bei einer anderen Firma ihr Glück, andere essen den ganzen Tag nur Kekse. Auch Prostitution kommt nicht selten vor. Dies trifft allerdings auch für arbeitende Frauen zu. Die 390.000- 600.000 IDR im Monat reichen eben nicht zum Überleben. Andere Einkommensquellen sind Unterstützungen seitens der Eltern oder anderer Verwandte, welche die Frauen einst in der Hoffnung finanziell unterstützt haben, sie würden durch ihre Schulbildung einen guten Job bekommen und dann ihrerseits zum Familieneinkommen beitragen. Es war doch nur gut gemeint Auf Empfehlungen der Industrienationen wurden in den Ländern des Südens seit Mitte der 60er Jahre Freihandelszonen eingerichtet, um so durch die damit verbundenen erheblichen Steuer und Zoll-Vorteile ausländische Investoren anzulocken und dadurch zur "Entwicklung" der Länder beizutragen. Diese Rechnung ging allerdings nur in Ländern wie Taiwan, Singapur und Südkorea auf. Der Rest musste einen hohen Preis zahlen: die Arbeitsrechte wurden stark eingeschränkt, die Kosten für die Privilegierung der Investoren waren hoch und auf eine Einbindung in die lokale Wirtschaft wartete man vergeblich. In der internationalen Konkurrenz standen die Unternehmen, die auf Sozialstandards achteten schlecht da, dies hat sich erst in den letzten Jahren durch Kampagnen von Organisationen wie der Clean Clothes Campaign, die sich für faire Bedingungen in der Bekleidungsindustrie einsetzt, geändert. Mittlerweile gibt es für diese Branche auch schon Siegel für Unternehmen, die sozialverträglich produzieren. Allerdings führt der Druck, Arbeitsbedingungen zu verbessern, auch oft dazu, dass sogenanntes outsourcing (das Weiterleiten von Teilaufträgen an Unterfirmen) betrieben oder die Produktion schlichtweg in andere Länder verlegt wird, in denen es nicht so starke Kontrollen seitens Regierungen oder Gewerkschaften gibt. Soziale Auswirkungen Viele junge Frauen hoffen auf individuelle Erwerbsmöglichkeiten in den Fabriken der Freihandelszonen, die sich in Städten wie Medan oder Bandung häufen. Eine Anstellung dort bedeutet meist die Chance einer eigenen Lebenssicherung, da sie sonst kaum eine Möglichkeit haben, Geld für sich zu verdienen. Sie arbeiten jedoch als gering qualifizierte und schlecht bezahlte Kräfte, obwohl für die meisten Arbeiten mittlerweile ein Hochschulabschluss von Nöten ist. Die Fabriken bauen auf die gesellschaftliche Benachteiligung der Frauen, die deshalb eher zu schlechten Arbeitsbedingungen bereit sind als Männer. Besonders auch in den Fisch-Konserven-Fabriken arbeiten meist sehr junge Frauen, bei P.T. Medan Canning sind es 95 Prozent. Der größte Teil ist noch unverheiratet - bei längeren Verträgen wird man gefeuert, wenn vor dem Ende des ersten Vertragsjahres geheiratet wird, aber so oder so- viel Zeit für die Kinder bleibt nicht. Oft werden die Arbeiter zu Überstunden gezwungen. Direkt oder indirekt- viele sind schlicht und einfach auf den zusätzlichen Lohn angewiesen. Die meisten Arbeiter können sich ein Haus in der Nähe der Fabrik nicht leisten oder möchten ihre Familie nicht im Stich lassen. So werden Anfahrtswege von über zwei Stunden in Kauf genommen. Die Frauen müssen teilweise um vier Uhr morgens aufstehen, um eine halbe Stunde soäter den von der Fabrik gestellten Bus zu erreichen. Dieser ist allerdings in fraglichem Zustand und muss selbst bezahlt werden (2000 -3000 IDR pro Tag). Entscheiden sich die Arbeiter allerdings zu einem Umzug, wohnen oft mehrere Personen auf kleinstem Raum und dies teilweise neben der Müllkippe aller umliegenden (Fisch-)Fabriken. Es war einmal der Mindestlohn Die Indonesische Regierung hat für 2005 einen Mindestlohn von 600.000 IDR festgelegt. Nach einer Forschung von Pak Gindo von der indonesischen Organisation Kelompok Pelita Sejahtera (KPS), die sich für die Rechte von industriellen Arbeitern einsetzt, wäre aber ein Minimalgehalt von 922.000 IDR gerade ausreichend, um überleben zu können. Die unabhängige Gewerkschaft SBMI hingegen fordert eine Million IDR Mindestlohn. Nach der Wirtschafskrise Ende der 90er Jahre wurde der Mindestlohn nur minimal angehoben, während die Preise für fast alle Lebensbereiche teilweise um 200 Prozent gestiegen sind. Die meisten Firmen zahlen allerdings gerade mal den Mindestlohn, wenn überhaupt. Ein Fabrikbesitzer sagt, er wäre dazu bereit, seinen Angestellten eine Million IDR zu zahlen, wären da nicht die horrenden Summen, die er wie fast jeden in Medan an Gangster als Schutzgeld zahlen muss. In manchen Fabriken bekommen die Frauen eine Zulage, wenn sie schon mehrere Jahre dort arbeiten. Oftmals sind diese aber minimal: bei PT. Satria in Bandung (Java), die sich auf Headwear spezialisiert haben, bekommt eine Arbeiterin, die seit mehr als acht Jahren bei der Firma arbeitet, einen Zuschlag von 8400 IDR - 70 Cent im Monat. Die Fischkonserven-Fabrik P.T. Medan Canning hat alle Zulagen dieser Art abgeschafft. Gleiches gilt für das sogenannte outsourcing - hier wird im Idealfall der Mindestlohn gezahlt. Auf weitere Sicherheitsbestimmungen wird nicht geachtet, da dies sonst die Konkurrenzfähigkeit gefährden würde. Dies ist eine direkte Folge des langsam wachsenden Bewusstseins bei den Kaufern, die sich dafür interessieren, woher das gekaufte Produkt kommt und unter welchen Bedingungen es hergestellt wurde. Auf Druck mancher Verbraucher fordern die Händler die produzierenden Unterfirmen auf gewisse Mindestsozialstandards einzuhalten und letztere reagieren hierauf, indem sie bestimmte Aufträge weiterleiten. So können sie kostspielige Maßnahmen wie Überstundenregelungen und Lohnaufschläge geschickt umgehen. Arbeitsbedingungen Viele Frauen klagen über Folgen unzureichender Sicherheitsvorkehrungen, wie beispielsweise Allergien. In der Firma P.T. Tropical Canning werden bei der Krabbenverarbeitung nur sehr schlechte Handschuhe zur Verfügung gestellt und dies auch nur einmal im Monat. Alle weiteren Handschuhe müssen selbst finanziert werden. Zum Teil geschieht dies auf Willen der Käufer, die befürchten die Arbeiterinnen würden langsamer und nicht so gründlich arbeiten, wenn sie mehr als Latexhandschuhe tragen würden. Außerdem wären letztere unhygienischer. Zusätzlich dürfen sie selbst bei der kleinsten Schnittwunde solange nicht arbeiten, bis diese wieder verheilt ist. Auch Fälle wie der von Tisna, die 15 Jahre im Kühlbereich einer Konservenfabrik gearbeitet hat, bleiben ungehört. Sie bekam mit der Diagnose chronische Bronchitis ganze drei Monate Abfindung: 150 Euro! Könnte sie nicht auf die langjährige Arbeitsbeziehung zurückblicken, hätte sie noch nicht mal die bekommen. Fehlen Arbeiterinnen zu häufig aus Krankheitsgründen, werden sie meist gefeuert. Einen weiteren Unsicherheitsfaktor stellen Arbeitsvermittlungsagenturen dar, welche Arbeiter einstellt, die oft nicht einmal den Namen der Firma wissen, für die sie arbeiten, geschweige denn an wen sie sich bei Problemen wenden können. Eigentlich gibt es ja Arbeitsschutz Offiziell gibt es eine Menge Regeln und Gesetze, welche die Arbeiter und die Natur schützen sollten. Inoffiziell aber gibt es mindestens genauso viele Wege, diese zu umgehen. So dürfen manche Produkte laut Regierung gar nicht mehr produziert werden. Zum Bespiel Süßwasserschildkröten als Delikatesse für japanische Schlemmer. Kommt aber ein Kontrolleur des landwirtschaftlichen Ministeriums, so werden die Arbeiter vorher gewarnt. Die Verpackungen werden versteckt, auf einmal alle Sicherheitsvorgaben eingehalten und alles läuft nach Plan bis er wieder von dannen zieht. Auch das sogenannte outsourcing sollte nur eine temporäre Notlösung sein - eigentlich! Die Ansätze der Clean Clothes Campaign, das WRAP Siegel und Kampagnen wie Rugmark sind ein erster Schritt in die richtige Richtung. Solange Sozialstandards aber umgangen werden können, bleiben sie leider ein Tropfen auf den heißen Stein. Letztendlich entscheidet aber der Konsument. Dies ist eine nicht zu unterschätzende Macht: Würde die Mehrzahl der Verbraucher, statt nur bei 0,99 Euro-Preisschildern zuzugreifen, auch soziale Kriterien bei ihrem Einkauf miteinbeziehen, würden die Hersteller nicht mehr so einfach Richtlinien und Vorgaben wie geregelte Arbeitszeiten, einen fairen Lohn und Gesundheitsvorkehrungen umgehen können.Sich dieser Macht bewusst zu sein, kann den Stein ins Rollen bringen. |