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Von Hock-Klos, Bleichcremes und anderen Absonderlichkeiten
GESELLSCHAFT | INDONESIEN AKTUELL (15.07.2005)
Von Rosa Grabe
Merkwürdige Dinge werden erzählt in einem Land, das ein halbes Jahr nach dem Tsunami zumindest in den Provinzen Aceh und Nord-Sumatra auf eine Menge kurioser Ereignisse und Erkenntnisse zurück blicken kann.

Auf der einen Seite sind da die ominösen orang bule (orang heißt Mensch, bule kommt von blue eyes, impliziert aber immer weiße Haut), die in Scharen gekommen sind, um warum auch immer zu helfen. Sie halten eine Menge Meetings ab, fahren alle teure Jeeps mit fetten NGO-Stickern und zahlen für so ziemlich alles jeden Preis, den man als Lokaler verlangt. Auf der anderen Seite gibt es die superneugierigen Indonesier, die laut klatschen, um gesehen zu werden, wenn sie ein becak (Motorrad oder Fahrrad mit kleinem Beiwagen, um Passagiere zu transportieren) herbeiwinken wollen, weil meist alle Aufmerksamkeit den komischen bule gilt.
Die Expats (im Ausland lebende Spezialisten) und NGO-Mitarbeiter werden als Repräsentanten ihres Landes angesehen, eigentlich aber als Vertreter für alle bules: wird beobachtet, dass einer etwas mit der linken Hand gibt, ein teures Auto fährt oder zuviel für das Obst bezahlt, wird daraus gleich auf die gesamten Bewohner der westlichen Welt geschlossen. Auch sehen alle irgendwie gleich aus, man kann sie nicht recht unterscheiden, so wie in Deutschland auch oft von dem Afrikaner oder dem Asiaten an sich gesprochen wird. Alle orang bule scheinen auf Strom, Internet und Handy angewiesen zu sein, ohne sind sie verloren und sind auf einmal ganz hilflos.
Die Meinungen über letztere klaffen weit auseinander und reichen von "die Helfer sind wie Engel, die von Gott geschickt wurden" bis zu "sie sind nur gekommen, um zu missionieren und misshandeln unsere Frauen".

Zwischenmenschliche Absonderlichkeiten
Als Iska (24) aus Banda Aceh noch klein war, hatte sie Angst vor Weißen, die so komisch aussahen und sprachen. Nachdem diese merkwürdigen Gestalten aber Hallo gesagt, oder sich sonst wie menschlich verhalten hatten, legte sich ihre Angst wieder. Heutzutage haben die meisten Kinder keine Angst mehr vor den Neuankömmlingen, das Fernsehen hat sie schon mit diesen blassen Riesen vertraut gemacht. Natürlich verhalten sie sich immer noch recht absonderlich...
Warten und anderer Zeitvertreib
Ungeduldig sind sie, die Ausländer. Und Geduld muss jeder mitbringen bei der berühmten Gummizeit, der jam karet, die sich ewig ausdehnen kann.
Alles andere dauert immer etwas länger und einzelne Arbeitsschritte werden auf mehrere Personen aufgeteilt. Zwischendurch muss das Gegenüber auf jeden Fall erst einmal sozial eingeordnet werden, dafür gibt es eine Art indonesische Standardfragebogen.
Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder? Wo wohnen Sie (gute Gegend?)?
Als was arbeiten Sie? Wie alt sind Sie?
Daraufhin geben eigentlich alle auch bereitwillig Auskunft, versteht man als Ausländer die Sprache nicht, werden die Begleiter "ausgequetscht" und diese geben einen kleinen Abriss des jeweiligen Lebenslaufes.
Kennt man sich schon ein bisschen näher wird auch gerne gefragt: Woher ist das? Wie teuer war das? Dies ist als Statusabfrage zu verstehen und verträgt sich meist gar nicht mit dem westlichen Konzept: über Geld spricht man nicht. Aber allgemein wird angenommen, dass alle bule im Geld schwimmen.
Einsam, zweisam, dreisam
Ein Zusammenleben von Paaren, ohne verheiratet zu sein, ist kaum akzeptabel. Sagt man als Ausländer, man sei verheiratet, weil eine langjährige Beziehung nicht als solche akzeptiert wird, wundern sich alle, warum man denn noch keine Kinder hat. Ganz und gar für verrückt erklärt werden Leute, die behaupten, sie möchten nicht heiraten oder keine Kinder bekommen. Oder es wird ihnen nicht abgenommen und vermutet, dass ein anderer Grund dahinter steckt.
Pärchen dürfen sich in der Öffentlichkeit nicht berühren oder gar küssen, zwischen gleichgeschlechtlichen Personen sind Umarmungen oder Händchenhalten aber durchaus üblich, dies wird aber nicht als sexuell gewertet, sondern einfach als Zeichen inniger Freundschaft und Zusammengehörigkeit.
Bei den bule wird das Bedürfnis nach Privatsphäre als bizarr empfunden. Wie kann man nur alleine sein wollen oder es gar vorziehen alleine zu schlafen? Bei den Indonesiern ist es vollkommen normal alles gemeinsam zu machen, alleine fühlen sich die meisten nicht wohl. Merkwürdig, diese bule.
Mehr noch: es wird gemunkelt, die Deutschen würden ihre Hunde mehr als ihre Mitmenschen lieben und in Deutschland gäbe es Hundesalons. Hundefutter würde dort manchmal mehr Proteine enthalten als die täglichen Mahlzeiten vieler Indonesier. Manche behaupten sogar einem Hund im Tierheim würde offiziell mehr Platz zugesprochen als einem Asylbewerber im Heim. Das kann doch eigentlich gar nicht stimmen!

Anormale Verhaltensweisen
Nein zu sagen, oder schlechte Nachrichten zu überbringen gehören zu den Dingen, die die meisten Indonesier am liebsten vermeiden. Belum - "noch nicht", ist eine Standardantwort. Das heißt, auf konkrete Fragen hört man: "Nein, ich bin noch nicht verheiratet" (auch im Alter von 80 noch anwendbar) oder: "nein, die Arbeit ist noch nicht fertig" (was offen lässt, wann dies der Fall sein wird).
Alle Namen und Worte werden gnadenlos abgekürzt und teilweise verdoppelt. Heißt beispielsweise jemand Kamila ist die Abkürzung Mil oder Milmil, Risa wird zu Sa oder Sasa. Außerdem wird jeder mit einer Familienbezeichnung angesprochen, der Taxifahrer ist genauso ein älterer Bruder, wie die Tomaten-Verkäuferin eine jüngere Schwester ist.
Ole-ole, kleine Aufmerksamkeiten werden erwartet, wenn jemand auf Reisen geht und nach Hause zurückkehrt. Hat man nichts mitgebracht, wird (scherzhaft) danach gefragt. Besonders in der Rangordnung höher Stehende sind dazu verpflichtet.
Der Status quo
Der Status einer Person ist allerdings nicht festgelegt, er ändert sich von Situation zu Situation. Viele Faktoren spielen hier eine Rolle. Wer ist mein Gegenüber (was impliziert: wie rede ich ihn an)? Welchen Stand habe ich in der Familie? In der Gesellschaft? Welcher Ethnie gehöre ich an? Welcher Religion gehöre ich an? In welcher Gegend wohne ich? Welchen Beruf habe ich? Habe ich einen Abschluss?
Wenn man mit Autoritäten oder jemandem mit höherem Status konfrontiert ist, wird oft das Wort malu benutzt. Dieses Konzept bezeichnet den Zustand von schüchtern sein oder sich schämen. Damit sich aber niemand schämen muss, werden zum Beispiel Bewertungen von schief gelaufenen Projekten mit positiven Worten umschrieben, was dann beim Westler, welcher das Konzept nicht versteht, als Lüge ankommt. Auch sonst findet man Dinge nicht schlecht, sondern weniger gut, weniger höflich oder weniger lecker.
Viele bules können mit diesem Konzept nicht umgehen. Es fällt ihnen schwer zu verstehen, dass angenommen wird, sie müssten sich für die Arbeiter mit schämen, weil etwas in die Hose gegangen ist. Um den Chef davor zu bewahren, wird der Zustand mit blumigen Worten beschrieben. Merkwürdig!
Auch der egalitäre Ansatz der Gleichberechtigung der meisten bules verträgt sich nicht mit dem System der verschiedenen sozialen Rangstufen. Die Hausangestellte oder sonstige Mitarbeiter sind im Verhältnis zu ihren Vorgesetzten Angehörige eines niedrigeren Status. Der Chef darf sich, oder seinen Gästen also beispielsweise nicht den Kaffee selbst zubereiten, das würde die Angestellten beschämen, auch wenn sie eigentlich für andere Sachen zuständig sind. Oder sie würden denken, sie hätten etwas falsch gemacht und ihr Vorgesetzter möchte sie so bestrafen.
Ein Dankeschön wird nicht erwartet, generell bedankt man sich weniger als in Deutschland.
Anders
Auch mit dem Tod wird anders umgegangen als bei uns. Eine westliche Psychologin beschwerte sich in Aceh, die Flüchtlinge würden ihre Trauer und ihr Trauma alle verdrängen. Sie hat aber das Konzept der Trauerbewältigung nicht verstanden, das einfach anders abläuft als im Westen. Zwei Tage lang zeigen alle ihre Trauer und weinen viel. Danach sind die Zurückgebliebenen zwar noch weiterhin traurig, das Leben aber geht weiter. Außenstehende Weiße wundern sich, ob der Tote schon vergessen sei. Nach islamischer Tradition wird aber auch offiziell nach sieben, nach 40 Tagen und nach einem Jahr an den Verstorbenen gedacht.

Komische Schönheitsideale, Ansichten und Gewohnheiten
Deutsche und indonesische Schönheitsideale unterscheiden sich definitiv! In Indonesien gelten lange Daumennägel bei Männern und fette Kinder als äußerst schick und niedlich. Weiße Haut wird als das Schönheitsmerkmal schlechthin behandelt. Jeder mit weißer Haut gilt als schöner als jemand mit dunklerer Haut, egal ob seine Gesichtszüge für einen bule als äußerst abstoßend erscheinen. So hört man durchaus Äußerungen wie: Das wäre doch schade, wenn sie sterben würde, sie war so hübsch mit ihrer weißen Haut! Nivea verkauft hier statt Selbstbräuner eine Menge "whitening cream".
Kitsch as kitsch can
Die Inneneinrichtung der Häuser von denen, die es sich leisten können, ist für den Westler meist unerträglich kitschig. Versucht man letzteres Wort zu beschreiben, wird nicht verstanden, dass es eigentlich einen negativen Beigeschmack hat, da doch alle Dinge, die man als kitschig umschreibt als wunderbar angesehen werden.
Viele Möbel sind noch in Original-Plastikverpackung. Bei Temperaturen zwischen 35 und 40 Grad ist dies nicht gerade angenehm. Generell gibt es aber zumindest in den Städten zwei Temperaturgefilde: draußen brütend heiß und feucht, drinnen oft gefrierschockartig kalt. Sonderbar!
Unerwartete Erkenntnisse
In allen Häusern, aber auch in vielen anderen Gebäuden gilt es sich die Schuhe auszuziehen. Vor dem Badezimmer stehen dann meist ein paar Gummilatschen bereit, die von jedem benutzt werden, der sich in das kühle Nass begibt. Drinnen befindet sich dann ein Hock-Klo, daneben ein Becken gefüllt mit Wasser, in dem eine Plastikschüssel schwimmt, mit der man Wasser schöpft entweder, um sich zu waschen (eine Dusche gibt es nicht), oder sich mit der linken Hand den Hintern abzuwischen. Als der Brüller gelten bule, die das Wasserbecken für eine unbequeme Badewanne halten. Wie kann man sich nur in sein eigenes Dreckwasser setzten?
Und überhaupt: wie können die bule jemanden offen kritisieren, mit dem Finger auf jemanden zeigen und sich laut streiten? Warum wollen sie keine Plastiktüten um ihre Einkäufe zu transportieren und was regen sie sich so auf, wenn man den Müll auf die Strasse wirft. Seltsam!
Ja Hallo erstmal?
Auch dieses ständige Grüßen und Händeschütteln ist höchst sonderbar. Die Begrüßungen selamat pagi, siang, sore, malam (Morgen, Mittag, Nachmittag, Abend) hört man ab und zu, aber bestimmt nicht dauernd und erst recht nicht innerhalb der Familie. Und wenn doch, dann sind dies meistens Einwohner Jakartas, die westliche Umgangsformen angenommen haben. Die feiern dann auch Geburtstage. Werden Hände geschüttelt, wird danach die Hand aufs Herz gelegt.
Verschlungene Wege zum Ziel
Den meisten Westlern kommt es so vor, als müsse jeder "geschmiert" werden, als seien alle korrupt. Ohne Kontakte zu einflussreichen Personen der eigenen Ethnie und/oder entsprechend finanzielle Überzeugungsmittel kommt man als Normalsterblicher aber auch kaum an keinen Job. Aber generell scheinen eh alle irgendwie miteinander verwandt zu sein. Daraus erklärt sich aber auch, warum es so beängstigend ist, in eine fremde Stadt, ein fremdes Land zu gehen. Kennt man niemanden, kann einem niemand helfen und man kann nichts erreichen.

Verwunderliche Dinge im Straßenverkehr
Generell scheinen die Indonesier sehr lärmunempfindlich zu sein. Während die meisten Erwachsenen sich eher leise unterhalten, schreien Kinder, knattern becaks, lärmen Autos und Fernseher und das ab aller Herrgottes Frühe. Indonesier, die sich brav in eine Reihe eingliedern wird man kaum sehen, alle drängeln sich auf einmal in einem Pulk um das gewünschte Ziel und einzelne Personen tröpfeln langsam heraus oder die Barriere bricht.
Halsbrecherische Wagnisse
In den westlichen Ländern wie Deutschland hingegen ist alles geregelt und abgeklärt. Viele Ausländer haben deshalb Probleme, besonders in großen Städten die Straße zu überqueren. Nimmt man sich ein becak oder Taxi ohne Meter, muss man verhandeln. Laufen kommt für viele nicht in Frage, das tun nur die, die sich nichts anderes leisten können. Allerdings lebt man als Fußgänger auch recht gefährlich: Motorradfahrer gucken kaum hin, wenn sie abbiegen oder die Spur wechseln. Auch hier gilt: alle auf einmal, wer es schafft sein Fahrzeug zwei Millimeter vor die anderen zu schieben kann als erstes weiterfahren, je größer das Fahrzeug umso mächtiger der Fahrer.
Autofahrer müssen Rücksicht nehmen, da sie den höchsten Status haben. Schließlich können sie sich im Gegensatz zu den anderen ein Auto leisten. Dies ist vergleichbar mit der Position eines reichen Bewohners eines Stadtviertels, der dazu verpflichtet ist seinen ärmeren Nachbarn in Notsituationen beizustehen und zum Beispiel das Schulgeld der Kinder zu zahlen.

Kulinarische Merkwürdigkeiten
Essen gibt es an verschiebbaren Ständen an jeder Straßenecke. In manchen Restaurants wird einem jedes verfügbare Gericht auf den Tisch gestellt und man bezahlt nur, was man auch gegessen hat. Der Rest wird dann auf den nächsten Tisch gestellt. Man ist stolz auf regionale Gerichte und freut sich sehr, wenn es dem orang bule auch schmeckt.
Brot wird fast jedes Gebäck genannt, also auch Kekse und dergleichen. Erzählt ein orang bule, er äße morgens lieber Brot statt Reis und dabei an ein saftiges Vollkornbrot mit Käse denkt, so kann es vorkommen, dass er einen fettigen, mit Schokoguss und Zuckerstreuseln bestreuten Donut serviert bekommt und sich der indonesische Gastgeber dann wundert, warum er dieses "Brot" nur mit Widerwillen isst. Komisch!
Ist es bei uns höflich, einen Gast sofort zu fragen, was er zu trinken gedenke, so wartet der indonesische Gastgeber damit eine Weile. Sind Getränke oder sonstige Lebensmittel serviert, wartet der Gast auf jeden Fall auf eine konkrete Aufforderung, sich das Angebotene einzuverleiben, alles andere wäre unhöflich.
Bittet der Westler in weiser Voraussicht um "nur ein bisschen Zucker", bekommt man trotzdem noch mindestens einen Esslöffel in eine kleine Tasse Kaffee und wird zudem schräg angeschaut. Merkwürdig!
Obwohl die meisten (mittelständischen) Indonesier dreimal am Tag Reis und dazu eigentlich immer Fleisch oder Fisch essen, werden wenn überhaupt, nur Gabel und Löffel gereicht, ansonsten wird mit der rechten Hand gegessen, die linke hat am Essen nichts zu suchen, sondern hat ihren Einsatz ein paar Stunden später als Klopapierersatz, wenn alles verdaut ist.
Befremdlichkeiten bei Tisch
Von Obst zum Frühstück bekommt man Bauchweh, wenn man nichts isst, wird man krank und ohne Reis (und Fleisch) ist das Essen keine richtige Mahlzeit. "Es gab nichts zu Essen" ist für viele Indonesier also äquivalent mit "es gab keinen Reis".
Merkwürdig erscheint dem bule der morgendliche Reis, der spätabendliche Kaffee (aber nichts für junge Frauen, genauso wenig wie rauchen), der Tomaten-, Gurken- oder Erbsensaft und das allgegenwärtige laute Rülpsen nach dem Essen. Auch Ausrufe wie: Was bist du dick geworden! (teilweise auch: wie viel wiegst du? Warte, ich hol eine Waage!) befremden ihn sichtlich. Die Indonesier hingegen finden es äußerst widerwärtig und unhöflich wenn die bule sich in aller Öffentlichkeit und womöglich sogar beim Essen die Nase putzen. Das ist eine Angelegenheit, die man am besten draußen erledigt und zwar indem man sich das eine Nasenloch zuhält und dann kräftig schnäuzt....

   




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