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Unbeschnittene Minister und gefangene Liebhaber
GESELLSCHAFT | HINTER DEN KULISSEN (07.05.2009)
Von Rosa Grabe
Eine Frauengruppe aus Nairobi hat in Zeitungen alle Frauen des Landes zu einem siebentägigen Sex-Boykott aufgerufen. Ihr Appell richtet sich auch an alle Prostituierten.

Sie verspricht ihnen sogar vollen Lohn, wenn sie sich an der Abstinenzwoche beteiligen. Die Frauen wollen damit den Druck auf Politiker in Kenia erhöhen, mehr für ihre Rechte einzutreten. Unterstützt wird diese Kampagne von den Frauen des Präsidenten Mwai Kibaki und des Premierministers Raila Odinga. Ob die Zweitfrau des Präsidenten sich auch für dieses Vorhaben ausgesprochen hat, ist unbekannt - erst kürzlich hat Kibaki auf Druck seiner Frau Lucy eine Pressekonferenz gehalten - er habe nur eine Frau und damit basta! Doch die Realität sieht in Kenia oft anders aus:

Sex ist oft bereits beim Mittagessen ein Thema, so auch in Homa Bay am Viktoriasee. Wenn alle am Tisch versammelt sitzen und wie so oft Fisch, Ugali (Maisbrei) und eine Art Spinat mit den Fingern essen. Schon beim Fisch fängt es an. Man munkelt, dass viele der Arbeiter in der hiesigen Fischfabrik, die in israelischer Hand Fischfilets hauptsächlich für den internationalen Markt produziert, ihre Arbeitsplätze eventuell durch Sex bekommen haben. Sollten sie noch keine eigene Familie haben, nutzen sie den Lohn hauptsächlich dazu, sich die freien Tage mit Saufgelagen und Prostituierten zu versüßen.
Viele Frauen rund um den See bieten den Fischern ihre Körper als Bezahlung für das geliebte Lebensmittel an, mehr können sie nicht bieten. Die Fischer, die in einigen Regionen als reich gelten, weil Mittelmänner viel für den Fisch zahlen, der meist in die Hauptstadt Nairobi gebracht wird, nehmen die erkaufte körperliche Liebe dankend an. Dies trägt dazu bei, dass in einigen Gebieten um den See bis zu 44 Prozent aller Männer zwischen 25 und 35 Jahren HIV positiv sind.

Witwen werden vererbt

Ein weiterer Grund für die Ausbreitung des HI-Virus ist die Witwenvererbung, die bei den Luo, der viertgrößten ethnischen Gruppe Kenias, Gang und Gebe ist. Stirbt der Ehemann, so muss ein männlicher Verwandter die Verantwortung für die Witwe übernehmen. Wenn diese Glück hat, kann sie sich aussuchen, ob dies der Bruder oder der Onkel sein wird. Sollte die Frau sterben, bevor sie wieder verheiratet werden kann, so wird ein Freiwilliger gesucht, der die Tote heiraten wird. Da hierzu einige mitunter unappetitliche Rituale gehören, werden dazu meist die „Verrückten des Dorfes“ auserkoren.
Aus dem benachbarten Uganda berichtet man, dass die Mädchen Schlange stehen, sobald bekannt wird, dass die Frau eines wohlhabenden Mannes gestorben ist. Selbst wenn der Grund dafür AIDS war. „Besser 2 Jahre in Wohlstand leben als ein Leben lang in Armut“ heißt die Devise.

Beschneidung als Wahlkampfthema

Ein Wahlkampfthema der Wahlen im Dezember 2007 war die Beschneidung. Dabei ging es jedoch nicht darum, Mädchenbeschneidung, die vor allem unter den nomadischen Ethnien Kenias weit verbreitet ist, abzuschaffen. Vielmehr schieden sich die Geister daran, dass ein „Unbeschnittener“ womöglich Kenia repräsentieren könnte. Gemeint war Raila Odinga, jetziger Premierminister und ethnischer Luo. Die Luo beschneiden weder ihre Mädchen noch ihre Jungen, was bei anderen Ethnien Empörung oder Belustigung hervorruft. Gleichzeitig ist es zum Thema von Gesundheitsprogrammen geworden. So gibt es mittlerweile Kampagnen, welche die Beschneidung von Luo- Jungen zum Ziel haben, da dies nachgewiesenermaßen die Gefahr verringere, sich mit HIV anzustecken.
Die Kikuyu, die größte ethnische Gruppe Kenias, die auch den Präsidenten Mwai Kibaki stellen, beschneiden ihre Frauen kaum noch. Es gibt jedoch Gesellschaftsgruppen wie die allgemein als „Sekte“ oder „Mafia“ bezeichneten Mungiki- Anhänger, die neben kriminellen Tätigkeiten wie Schutzgelderpressung auch für den Erhalt der „reinen“ Kikuyu-Kultur stehen – und somit auch für die Beschneidung der Frauen. Dies hat die Frau des im Exil lebenden Kikuyu-Schriftstellers Ngugi wa Thiong'o schmerzlich erfahren müssen. Sie wurde bei einem Besuch in Kenia zwangsbeschnitten.

Wenn die Samen nicht keimen

Kikuyus und Luos können mehere Ehefrauen haben. Während die Kikuyus ihre Zweitfrauen oft in anderen Stadtteilen oder sogar anderen Städten ansiedeln, bauen die Luos ihren Ehefrauen Häuser nebeneinander.
Bei den Luos kann die Drittfrau erst ernten, sobald die Zweifrau geerntet hat, diese darf dies aber nur, sofern die Erstfrau schon auf ihren Feldern tätig war. Hinzu kommen komplizierte Rituale, welche die Fruchtbarkeit der Felder mit denen des Ehepaares verbinden. So erzählt Lorretah, eine kenianische Mitarbeiterin einer deutschen NGO: „Obwohl ich schon lange nicht mehr in meiner Heimatregion lebe und somit auch nicht in die Erntezyklen eingebunden bin, hat mich meine Schwiegermutter eines Tages aufgeregt angerufen. Ich müsste unbedingt sofort mit meinem Mann nach Hause kommen. Ich dachte, es ginge um Leben und Tod, also habe ich mich schnell in den nächsten Bus gesetzt und bin quer durch das ganze Land gefahren. Kaum angekommen, zog sie mich zur Seite und teilte mir mit, dass alle Felder außer dem, das offiziell meinem Mann gehört, schon
R. Grabe

Party in Nairobi... (c) R. Grabe

abgeerntet seien. Um auch dieses ernten zu können, müsse sie nun erst mit meinem Schwiegervater schlafen und dann - aber auch erst dann - müssten ich und mein Mann ran.“ Wäre Lorretah’s Haut nicht so dunkel, würde man sie jetzt erröten sehen. „Also haben wir gewartet, bis sich um Mitternacht mein Schwiegervater vor der Hütte mit einem Räuspern bemerkbar machte. Jetzt waren also wir an der Reihe“.
Auch ein Händler von Saatgut und Dünger in Homa Bay, einem Luo-Städtchen am Viktoria See, fragte bei Beschwerden eines Kunden, ob auch die Rituale eingehalten wurden, sprich, ob er auch vor der Aussaat mit seiner Frau geschlafen habe. Ansonsten sei es nicht verwunderlich, dass die Maissamen nicht keimen würden. „Ja sicher, zweimal!“ bestätigte der unglückliche Kunde.

Wer mit wem – daily soap aus Nairobi

In der Hauptstadt Nairobi herrscht ein lockerer Umgang mit dem Thema Sex. In den Kontaktanzeigen suchen Männer wie Frauen nach ernsten oder nicht so ernsten Beziehungen. Manche streben eine Ehe an, andere suchen explizit nach einer außerehelichen Affäre. Fast immer ist der Nachweis des HIV-Status Voraussetzung für ein Treffen. Neben Alter, Einkommen und Wohnort wird auch oft nach Ethnie kategorisiert.

„Kakao-farbende Schönheit (34), selbstständig, 1 Kind, Luhya, sucht gut verdienenden Mann (30-40), Luhya oder Kamba mit Interesse an ernsthafter Beziehung, HIV Test ein Muss!“

Im Radio wird darüber diskutiert, welcher Celebrity mit wem beim fremdgehen erwischt worden ist und was man von der Festnahme von acht Transvestiten in Nigeria halten soll. Fernsehsender filmen prominente und nicht so prominente Mitbürger heimlich beim Gang in den Puff und in der Caféteria der Uni wird diskutiert, welche Studentin aus einigermaßen guten Hause letzte Nacht auf dem Strich war, um sich eine neue Handtasche leisten zu können.

Die Daily Nation, eine der meist gelesenen Tageszeitungen des Landes, hat regelmäßig Artikel über die neusten Trends unter Liebenden - ältere Frauen mit jüngeren Männern (geht nur, wenn die Frau viel verdient, beliebt auch: deutsche Rentnerinnen an der Küste, die sich mit jungen Beachboys vergnügen), in welcher Ethnie die meisten Frauen, in welcher die meisten Männer fremdgehen oder ob die Argumente der aufgebrachten Familie oder die starke Liebe zu einer Person aus einer anderen Ethnie wichtiger zu werten sind.

Zauberformel vom „Vaginalkrampf“

Dabei haben einige eifersüchtige Ehepartner eigenwillige Mechanismen entwickelt, um ihre bessere Hälfte eines Besseren zu belehren. So kursieren Gerüchte über Kamba-Männer, die ihren Frauen während einer heißen Nacht mit dem Geliebten einen Vaginalkrampf angehext haben. Die Kamba sind die drittgrößte Ethnie. Ihnen werden allerhand Zauberkräfte nachgesagt. Zur „Lösung“ des Problems muss das unglückliche Liebespaar mitunter für Stunden „aneinander gekettet“ mit dem Flugzeug ins nächste Krankenhaus evakuiert werden.
Wenn auch die Ärzte nicht weiterhelfen können, muss der „eingesperrte“ Liebhaber alle Verwandte und Freunde um Kredite anhauen, um so den Brautpreis zu ersetzen und so die Geliebte im wahrsten Sinne des Wortes „frei“ zu kaufen. Der betrogenen Ehemann, der durch die Rückgabe der gezahlten Ziegen und Kühe seine Frau offiziell übergibt, befreit den Rivalen durch das einfache Auseinanderziehen eines Kugelschreibers und seiner Kappe aus der misslichen Lage.
   







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