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Gruß aus Addis Abeba - Vergesst die Finanzkrise!
GESELLSCHAFT | HALT GEMACHT (13.03.2009)
Von Axel Schmidt
Addis Abeba, die äthiopische Hauptstadt. Viele Menschen in Europa denken da wohl an Blähbäuche, Hungersnöte und Armut. Stimmt wahrscheinlich alles, aber es gibt nur das Schlimme und damit nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit wieder.

Ich will mir nicht anmaßen, nach zwei Tagen ein Land zu beurteilen - zumal ich nur in Addis Abeba
A. Schmidt (alle Fotos)

Schöne, alte Frauen auf den Straßen von Addis Abeba. (c) A. Schmidt (alle Fotos)

bin, aber ich denke an wunderschöne Gesichter, Kaffee, Weihrauch, eine ganz eigene und uralte Form des Christentums und nicht zuletzt ans Essen. Das Essen scheint wie auch das Land nicht den Klischees zu entsprechen und ist etwas ganz Besonderes auf dem Kontinent. Ich ziehe dabei immer den Vergleich zu der Rolle Indiens in Asien.

Bei allen schlechten Nachrichten und all dem Wehklagen ist die Welt pausenlos dabei sich zu verbessern, und wir nehmen leider meistens nur die Tragödien wahr. Omar Al Bashir wurde vom internationalen Gerichtshof in den Haag angeklagt und das als amtierender Präsident des Sudan. Diese Tatsache sollten wir auf uns wirken lassen, ohne direkt über die damit zusammenhängenden Probleme nachzudenken: Ein skrupelloser Diktator aus Afrika wird angeklagt wegen seiner Taten. Basta!
Wenn das kein Fortschritt ist.

„Europäer haben die Uhr, Afrikaner haben die Zeit.“

Zurück nach Addis Abeba. Ich sitze gerade in einem der traditionellen äthiopischen Restaurants und habe mir den Bauch mit frischen, gut gewürzten Leckereien vollgeschlagen. Es ist 11 Uhr. Ich hatte das Frühstück ausfallen lassen, um noch möglichst viele andere Köstlichkeiten hier probieren zu können. Kaffee dauert noch, da die Tante, die die Kaffeezeremonie macht, erst gleich („Europäer haben die Uhr, Afrikaner haben die Zeit.“) kommt. Ich habe auch Zeit, habe mir nur vorgenommen, den Tag zu genießen und nicht Sehenswürdigkeiten abzuhaken.
Der Raum, in dem ich mich befinde ist groß und rund, sieht aus wie ein riesiges Zelt. Der Boden besteht aus Holzplanken und die Einrichtung hat den Charme von etwas, was schon viel gesehen hat. Gerade hab ich Tej serviert bekommen. Honigwein, der gerade jetzt in der Fastenzeit nicht so stark ist. Schmeckt mir, den Äthiopiern normalerweise nachdem sie viel Fleisch ohne Alles gegessen haben. Der Tej hier wird im Restaurant selbst gebraut und in einem kleinen Reagenzglas mit Papierkorken serviert.
Auch das Bier in Äthiopien ist selbst für einen deutschen Gaumen ausgesprochen lecker. Ich sitze auf einer alten Ledercouch. Vor mir steht ein traditioneller, geflochtener Tisch, auf dem das Tablett mit dem Essen dargeboten wird. Hauptbestandteil des Essens und gleichzeitig Teller und Besteck ist das Njera, ein säuerliches Fladenbrot, auf dem die verschiedenen Speisen platziert werden. Man reißt Stücke ab und benutzt sie, um Gemüse, Saucen oder Fleisch damit in den Mund zu führen. Im Gegensatz zu vielen anderen „afrikanischen“ Gerichten wird hier ausgesprochen reichhaltig gewürzt.

Repliken der Bundeslade in jeder Kirche

Legenden begegnen mir hier auch ständig. Gestern war ich unter anderem in der St. George Kathedrale, in der auch Haile Selassie gekrönt wurde. Gläubigkeit ist hier anders und stark. In jeder Kirche Äthiopiens ist ein Replik der sagenumwobenen Bundeslade. Das Original soll aus Jerusalem nach Aksum gelangt sein.
Mein Flug geht erst kurz vor Mitternacht und so habe ich noch Zeit, mir das ethnologische und das Nationalmuseum anzugucken. Im Letzteren sind auch die Knochen von Lucy zu bewundern. Lucys Fund stellt wahrscheinlich eine Verbindung zu unseren Vorfahren da. Lucy ist schon über drei Millionen Jahre alt.
Durch die Stadt laufend habe ich oft über den Überlebenskampf der Menschen hier nachgedacht. So um die Hälfte der Weltbevölkerung heizt und kocht immer noch mit Holz oder Holzkohle. Vergesst die Finanzkrise. Das Heizen mit Holz ist für alle Menschen ein Problem, da es einer der Faktoren für die Umweltzerstörung weltweit ist. Daran muss etwas gemacht werden. Die „Rettung Opels“ stand aber bei Spiegel online vier Tagen als wichtigste Schlagzeile ganz oben. Komisch, und wir glauben gut informiert zu sein.
Die Armut auf den Straßen hier kann locker mit Indien mithalten, direkt angebettelt werde ich aber fast gar nicht, auch zu meiner Verwunderung. Ich denke oft über die Potentiale nach, die hier wie an den meisten Orten der Welt durch Armut in all seinen Facetten verloren gehen. Religion scheint in meinen Augen viel von den Sehnsüchten und Begierden der Menschen aufzufangen.
Das Potential der Menschen in eine andere Richtung, eine kreativere, zu lenken wäre eine tolle Aufgabe, die bisher leider zu sehr vernachlässigt wird. Mit Theatern, Musik und anderen Bildungsangeboten könnte man soviel mehr machen als mit Bevormundung und Besserwisserei.

Der Kaffee wird gebrüht und ich fange an, den Tej zu merken. Leider kann ich gerade nichts mehr essen, was ein Jammer ist, da links und rechts von mir Äthiopier gerade feinste Sachen in sich gesellig hineinschaufeln ...
   





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