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Die Grasflüsterer
WIRTSCHAFT | ZWISCHEN DEN TOREN (15.05.2006)
Von Janita Tönnissen
Viel getreten, oft zermatscht und stets wieder auferstanden. Das härteste Grün der Welt - der Fußballrasen. Ein Charakterrasen, der Stollen, Tritte und Grätschen würdevoll erträgt. Die Fußball-Weltmeisterschaft wird zeigen, welche Qualitäten in ihm stecken.

WM Mexico 1986

Hugo Sanchez flüstert dem WM-Rasen von 1986 etwas zu... (c) WM Mexico 1986

Es wurde das Trauma von Mexico City genannt. Am 29. Juni 1986 fand im Acteca-Stadion das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft statt: Deutschland gegen Argentinien. 114 000 Zuschauer blickten auf einen Rasen, der Stunden vorher nur notdürftig geflickt wurde. Rasenpfleger hatten die braunen Halme in höchster Not grün angepinselt, mit dem Resultat, dass der verschmierte Ball alle paar Minuten ausgetauscht werden musste. Deutschland verlor damals 2:3, um so mehr Wert legt der diesjährige WM-Gastgeber auf einen tipptopp Rasen.

Man möchte ja eigentlich meinen, Rasen ist gleich Rasen. Doch das Rasenkompetenzteam der Fußball-WM belehrt uns eines besseren. Da wird von Balltreue gesprochen, einem schönen Grünaspekt, Schattentoleranz und Scherfestigkeit. Das deutsche WM-Gras ist ein Charakterrasen, kein filigraner Zierrasen. Eine Mischung aus 75 Prozent Poa pratensis, oder schlicht und einfach Wiesenrispe, und 25 Prozent Lolium perenne (Weidelgras) wurde vom WM-Kompetenzteam auserkoren, als Weltmeisterrasen zu dienen. Ausgesät wurde dieser zum Beispiel im holländischen Heythuysen, wo der Züchter John Hendriks auf 350 Hektar edelste Fußballrasen entwickelt. Kämen die Niederländer ins Endspiel, könnten sie auf heimischem Rasen gewinnen. Berlin, Leipzig, Hannover, Hamburg, Dortmund sowie Gelsenkirchen und Köln sind die sieben Treffer, die Hendriks Unternehmen in Heythuysen im Poker um die prestigeträchtige Vergabe der WM-Rasen landen konnte. Nur fünf Stadien werden von einem deutschen Rollrasenproduzenten beliefert.

Anfang Mai fiel der Startschuss für den WM-Rasen: im Halbstundentakt rollten niederländische Schwertransporter mit tonnenweise Gras über die Grenze. In einem Zeitfenster von nur drei Wochen müssen die sieben Stadien mit einem perfekten Rollrasen ausgestattet werden - eine logistische Meisterleistung. Dank Computer und GPS weiß Hendriks jederzeit, wo sich seine Tieflader befinden. Hätte es in diesen drei Wochen dauerhaft geregnet oder sogar geschneit, hätte das einer Katastrophe geglichen. Denn wenn der Rasen nicht richtig an den Untergrund anwächst, gleicht das Spiel auf dem Grün einer Partie auf rutschigem Teppich.

Stadiongärtner, die den Rasen über Jahre aufziehen und zwischen den Spieltagen liebevoll pflegen, waren 1986 Standard. Das ist heute anders. Ist der Rasen von Stollen und Grätschen der Kicker zerfurcht, muss ein komplett neuer her. Dann sind Rollrasenexperten wie Horst Schwab gefragt. Er stellt in Oberbayern Rasen wie Meterware her und liefert ihn aufgerollt aus - zum Beispiel einst "Jumborollen" ins Olympiastadion München und "Kleinrollen" an Privatleute. Bevor Schwab eine seiner 240 gezüchteten Rasen-Varianten als Fußballrasen verkauft, muss das Gras erst einmal den Praxistest überstehen. Dabei simuliert eine Stollenwalze Fußballschuhe, die den Rasen malträtieren. Wer das aushält, darf ins Stadion. "Der große Kostenfaktor ist die Pflege, das ganze Jahr über. Sie müssen bedenken, wir mähen jeden zweiten Tag. Wir saugen den Rasen jede Woche ein, zwei Mal ab. Mit ganz großen Bürstensaugern mit Vakuum, wie Staubsauger im Prinzip. Wir striegeln den Rasen jede Woche mehrmals, wir fahren mit der Stollenwalze drüber, wir walzen den mit normalen Walzen, wir düngen den, alle vier Wochen muss der Nahrung kriegen", meint Experte Schwab.

Mittlerweile geben Klubs für die Rasenpflege gewaltige Summen aus. Eine neue Spielfläche aus Rollrasen kostet 100 000 Euro. Fußballrasen hält bei guter Qualität eine Saison durch. Spätestens dann muss er ausgetauscht werden. Um eine Spielfläche komplett einzudecken sind 18 LKW-Ladungen erforderlich. Ein eingespieltes Greenkeeper-Team braucht zum Auslegen etwa 48 Stunden.

Da liegt er nun: saftig grün und kerngesund. Perfekt getrimmt auf 21 Millimeter. Monatelang darauf trainiert, eine Saison lang Stollen und Grätschen zu ertragen. Ab dem 09. Juni wird der Ball schnell und ungehindert von widrigen Grasbüscheln von Mann zu Mann rollen. Ein Weltmeisterschaftsrasen muss eben genauso gut in Form sein wie die Spieler.
   




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