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Bitte nicht lächeln...
GESELLSCHAFT | ZUR IDENTITÄT (15.08.2006)
Von Julia Schüler
... heißt es vor allem, wenn es um das Erstellen von Passbildern für den neuen Reisepass geht.

Veränderte Richtlinien geben an, wie wir seit dem 8. Juli 2005 im neu beantragen Reisepass auszusehen haben: zusammengepresste Lippen, möglichst emotionslos und geradeaus in die Kamera blickend. Vorbei sind Zeiten, in denen wir schief und mehr oder weniger gequält positiv in die Linse schauten.

Dass die Passfotoaktion sich als eine aufwändige Sache entpuppen könnte, ahnte ich bereits, als es an der Zeit war, einen neuen Personalausweis zu beantragen. Mein Reisepass war am selben Tag abgelaufen, doch eine Neubeantragung dieses Dokumentes kostete gerade 37,50 Euro zu viel für meinen dünnen Studentengeldbeutel. Außerdem war die Anschaffung eines gültigen Persos erstmal dringender und auch preiswerter. Die Dame am Empfang informierte mich zunächst über das Lächelverbot im Reisepass. Es kommt primär darauf an, dass anhand der Abspeicherung des digitalisierten Lichtbildes im Dokument eine rechnerunterstützte Gesichtserkennung möglich ist. Dafür dürfen sämtliche "Passgesichter" unter anderem nicht größer als 3,6 und nicht kleiner als 3,2 Zentimeter sein. Schatten im Hintergrund, Unschärfe und Reflektionen von Brillen sind ebenfalls zu vermeiden. Weiterhin müssen Haare und Augen geöffnet und der Mund geschlossen sein, und wie bereits erwähnt, muss bei der Aufnahme frontal in die Kamera geschaut werden. Mir brummte der Kopf von den vielen Anweisungen, aber ich beschloss, mit der Aufnahme des Portraits für den Perso schon mal zu üben.
Julia Schüler

Sie sehen die Ergebnisse der Passfotoaktion. (c) Julia Schüler


Im Fotoautomaten des örtlichen Bürgeramtes kosten vier Passbilder fünf Euro. Fein, dachte ich, die Bilder kannst du dann später auch für den Reisepass verwenden. Also zwängte ich mich in die Kabine, schob meine Haare zurück, blickte ohne zu lächeln und mit geschlossenem Mund frontal in die Kamera und befolgte brav die Anweisungen der hellen Automatenstimme. Fünf Minuten später starrte ich auf vier, in die Breite gezogene Abbildungen meines Gesichtes, welches wirkte, als ob es jeden Moment einen Heulkrampf erleiden würde. Nun gut, es musste so gehen. Es gibt ja sowieso nicht viele Leute, die auf ihren Persos gut aussehen. Warum sollte ich dazugehören?

Nach vier Wochen holte ich meinen traurig aussehenden Perso ab und wollte einen ebenso traurig aussehenden Reisepass beantragen. Also legte ich bereits bekannte Bilder und Geld auf den Tisch der Angestellten und wollte wieder verschwinden, aber da zückte die Angestellte eine Schablone, die extra dafür angefertigt worden war um festzustellen, ob die Gesichtsgröße im zulässigen Bereich liegt. Sie legte sie an, und verkündete, dass mein Gesicht zu klein wäre. Diese Fotos wären für den "ePass" nicht geeignet. Übrigens wird in diesen so genannten ePass des weiteren eine Art Mikrochip eingearbeitet, in welchem biometrische Daten gespeichert werden, wie zum Beispiel unsere Augenfarbe (die auf dem Foto erkennbar sein und folglich übereinstimmen muss) und ab März 2007 ebenso die Beschaffenheit zweier unserer Fingerabdrücke.
Sinn und Zweck bestehen also darin, elektronisch und digital nachzuweisen, dass wir auch wirklich Besitzer des vorliegenden Reisedokumentes sind. Zur Sicherheit. Oder so.

Ich schluckte angesichts der vielen zusätzlichen Informationen, dachte an mein eigentliches Ziel (den Reisepass), schritt zu dem Automaten und versuchte diesmal drei verschiedene Versionen meines anklagenden Gesichtes. Auf dem vierten Bild ließ ich es mir nicht nehmen, in die Kamera zu strahlen. Wenigstens eines wollte ich anderweitig verwenden können.

Mit roten Wangen zog ich wieder ein Nümmerchen und ging gleich darauf zu dem Schreibtisch einer weiteren Angestellten. Diese teilte mir leider zum zweiten Male mit, dass die Portraits nicht geeignet seien. Jetzt machte ich mir keine Mühe mehr, den neutralen Gesichtsausdruck zu wahren. Eine Spur der Entrüstung und der Ungeduld gab ich offen zu. Die Angestellte empfahl mir, mich näher zu der Kamera neigen. Frustriert stieg ich abermals in die mir schon so vertraute Fotokabine und zückte meinen letzten Fünf-Euro-Schein, fütterte sie damit und wartete hoffentlich ein letztes Mal auf die Anweisungen - aber es kamen keine. Der Schlitz rülpste ein paar Mal, aber die Automatenstimme schwieg. Jetzt wäre ich am liebsten wirklich in Tränen ausgebrochen. Das Bürgeramtpersonal ging immer noch sehr freundlich mit mir um und erstattete mir ohne zu Murren die fünf Euro, in Münzen und mit der Aufmunterung, dass es jetzt bestimmt endlich klappt.

Mit dem Gedanken, dass aller guten Dinge in der Regel drei sind, saß ich tatsächlich das letzte Mal in der Kabine, schwitzend und mit den Tasten permanent die Anweisungen der Computerstimme unterbrechend. Diese rächte sich, indem sie nach der dritten Korrektur meines Antlitzes die Fotos ohne Vorwarnung selber knipste und mich mit einem vor Empörung offen stehenden Mund erwischte. Diesmal war zum Glück eine verwertbare Version meines Gesichtes dabei und erleichtert und mit leerem Geldbeutel zog ich von dannen. Jetzt muss ich nur noch sechs Wochen warten, aber wie man Geduld übt, habe ich ja gerade gelernt.
   






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