Twitter als Visitenkarte
KULTUR | VIDEOCAMP in Essen (23.02.2011)
Von Nico Drimecker | |
So eine Vorstellungsrunde habe ich noch nicht erlebt: Im Unperfekthaus Essen steht jeder der 120 Anwesenden auf, nennt seinen Namen, seinen Twitter-Account und seine häufigsten drei Hashtags. "Hallo, ich bin Nico, und ich twittere unter wortloop." Das klingt für mich fast wie in einer Selbsthilfegruppe. Aber es ist ein "Barcamp". Webvideofreunde trafen sich in Essen zu einem Barcamp. iley-Autor Nico war dabei. (c) Drimecker @Hirnrinde auf dem Pulli Zwei Tage also diskutieren, präsentieren, interagieren über Themen zur Web-Video-Szene. Was woanders Workshop oder Seminar hieße, nennt sich hier "Session", und jeder, der will, kann eine Session leiten. Zwei Tage Sessions um Video-Themen. Und: Netzwerken. Erst wenige Minuten klebt das Schild mit meinem Namen und Twitteraccount auf meinem Pulli, da habe ich vier neue Follower. Jan Piatkowski zum Beispiel, von Center TV. Es passiert automatisch, dass ich in das Gespräch schliddere, das er eigentlich mit einem anderen Teilnehmer führt. Während wir sprechen, linst er auf mein Namensschild. Vier Sätze später vibriert mein iPhone in der Hosentasche, eine E-Mail: "Jan Piatkowski folgt Dir nun auf Twitter." Visitenkarten braucht hier niemand. Fast niemand. In der Vorstellungsrunde outen sich drei Teilnehmer: "Ich bin nicht bei Twitter." Sie lachen, als sie das sagen, die 120-Mann-Runde auch. Man nimmt es mit Humor. Nicht jeder ist hier, um Twitter-Follower zu sammeln. Bekannteren unter ihnen, @Videopunk, @Hirnrinde oder @Pottblogger, folgen die meisten ohnehin schon. Teil nehmen Studenten, Marketing- und PR-Leute, Journalisten, Vertreter der Sponsoren der Webvideotage – darunter die Landesanstalt für Medien NRW, Youtube, die dpa-Tochter news aktuell und das Filmmacher-Magazin zoom. Alle duzen sich. Fest angestellt unter ihnen sind fast nur die Vertreter der Sponsoren. Die meisten sind Selbstständige – oder (Web-)Video ist einfach ihr Hobby, ihre Passion, mit der sie allerdings kein Geld machen. Quick und dirty Mit dabei ist auch Sascha Pallenberg. Sascha ist Blogger, Filmer, Youtuber, Moderator, verdient damit sogar Geld. Und das vor allem über den Kanal auf Youtube. Er wohnt in Taiwan, seine Videos produziert er "quick and dirty". In der Session, die er leitet, staunen die Leute, wie viele Klicks er absahnt, obwohl die Videos ohne Aufwand gedreht wurden. Aber sie haben Nutzwert und sind auch noch unterhaltsam – so stellt Sascha zum Beispiel ein Netbook in einer taiwanesischen Bahn vor. Aber: Auf die Bahn kommt es weniger an. "Content ist King", sagt Sascha. Content hat auch Mirko anzubieten. Der Jung-Regisseur aus Köln ist Freiberufler, verdient sein Geld von Projekt zu Projekt. "Es ist nicht einfach", sagt er. Er hat in eine Feature-Doku, die noch nicht fertig produziert ist, bereits 3000 Euro gesteckt. Fünf Jahre ist das etwa her. Aber Film ist seine Passion. Spielfilm, Dokumentation, das ist es, was er machen will. Bevor er Hartz-IV-Fernsehformate wie »Frauentausch« macht, sagt er, "trage ich lieber Briefe aus". Damit hatte er schon im Studium sein Geld verdient. Mirko bekommt am Mittagstisch von Tommy, einem Video- und TV-Produzenten, einen Tipp: Es gebe einen österreichischen Sender, der anspruchsvolle Dokus kauft. Tommy gibt ihm – statt eines Twitteraccounts – seine Visitenkarte. Spontan suche ich Tommy auf Twitter, finde ihn nicht. Auch mir gibt er sein Kärtchen. Netzwerken geht wohl doch noch über die Telefonnummer, gedruckt auf Papier. |