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Kritik an der Sportschau
SPORT | UNTER VIER AUGEN (15.10.2005)
Von Michael Billig
Jetzt weiß die Republik, dass es in Münster ein Institut für Sportkultur und Weiterbildung gibt. Von dort aus hat Professor Jütting Kritik an der ARD-Sportschau geübt. Wir haben ihn besucht und über Reaktionen, Fußballkultur und die Nationalmannschaft gesprochen.

iley: Herr Professor Jütting, wäre es Ihnen lieber, wenn "ran" wieder die Fußball-Bundesliga zeigen würde oder sollte es gänzlich in die Hände von Premiere übergehen?
Prof. Jütting: Nein, das wäre mir nicht lieber. Die Unterzeichner des Offenen Briefes und ich gehen von einem dualen System aus. Der öffentlich-rechtliche Anbieter hat einen Programmauftrag: Information, Bildung und Unterhaltung. Dieser Programmauftrag gilt für alle Bereiche, nicht nur die klassischen Kulturthemen, sondern eben auch für Fußball. Wir sehen im Augenblick, dass die "Sportschau" dieses Kulturgut Fußball verzerrt darstellt. Um Ihre Frage konkret zu beantworten, ich bin schon dafür, dass es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bleibt.
iley: Die ARD reagierte auf den Offenen Brief und warf Ihnen ein "Stürmerfoul" vor.
Prof. Jütting: Das war der Pressesprecher von Herrn Gruber, dem Vorsitzenden der ARD. Ich kenne diese Aussage nur aus den Medien. Offensichtlich sind sie empfindlich getroffen. Es gibt eine große Diskussion, nicht nur am Beispiel von Fußball, sondern auch in der klassischen Musik im NDR Radio Kultur, wo das Programm ständig durch Werbung unterbrochen wird. Das "Stürmerfoul" ist sozusagen ein Eigentor, eine Selbstverletzung des Pressesprechers. Er sprach ja auch von Rudelbildung der Sportwissenschaftler. Aber zu den Erstunterzeichnern gehörten nur drei Sportwissenschaftler. Offensichtlich hat er unseren Offenen Brief nicht bis zum Ende gelesen.
iley: Trifft Ihre Kritik auch auf die Berichterstattung über andere Sportarten zu?
Prof. Jütting: Nein. Andere Sportarten sind gut aufgehoben in den dritten Programmen, wo auch nicht viel Geld mit zu verdienen ist.
iley: Denken wir mal an die Olympischen Spiele.
Prof. Jütting: Die Olympischen Spiele und die Fußball-Weltmeisterschaft sind die beiden Global Player. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft hat die FIFA Auflagen, was die Präsenz der Hauptsponsoren angeht, die selbst den DFB überrascht haben, beispielsweise dass die lokalen und nationalen Sponsoren nicht in Stadionnähe sein dürfen. Da gibt es ein sehr strenges Marketing-Konzept.
iley: Was erwarten Sie für die Fußball-Weltmeisterschaft bei den Medien? Eine mediale Ausschlachtung? Dass das Drumherum bedeutender wird als die Spiele selber?
Prof. Jütting: Man kann es ja nicht mehr großartig steigern. Premiere beispielsweise will 24 Stunden berichten. Aber Premiere berichtet ja bis jetzt nüchtern und sachlich über die Spiele ohne große Werbung, was sie ja auch nicht müssen, weil man es so einkauft. Sie wollen auch dabei bleiben. Es werden sich alle möglichen daran hängen.
iley: Wie kommt der Fußball Ihrer Meinung nach zu seiner großen Bedeutung?
Prof. Jütting: Fußball ist ein Spiel, das es auf wunderbare Weise auf unterschiedlichsten Niveaus vor allem Männern erlaubt, in der Öffentlichkeit sichtbar zu werden und Prestige zu erlangen. Es bedient unser aller Bedürfnis nach sozialer Sichtbarkeit und Anerkennung. Jede Liga in Deutschland erlaubt ihnen eine spezifische Kommunikation, wie, ich habe in der Bezirksliga gespielt, weil ich von einem Dorf komme. Sie können eine Selbstbild schonende Argumentation geltend machen und alle sagen, ja, toll.
iley: Das scheint auch für den asiatischen Kontinent zu gelten.
Prof. Jütting: Es ist eben auch ein Spiel, was einerseits sehr kompliziert ist, weil es mit dem Fuß und nicht mit der Hand gespielt wird, andererseits eben durch die einfache Regelstruktur sehr schnell überall gespielt werden kann.
iley: Würden Sie sagen, dass Fußball Ihr Leben ist?
Prof. Jütting: Mein Leben ist es nicht, aber es hat schon mein Leben von Kindheit an mitbestimmt. Ich habe gespielt, eine Mannschaft gegründet, die sich immer Freitag abends getroffen hat - zum Verdruss der Ehefrauen - und ich habe Jugendmannschaften trainiert. Als ich an die Universität Münster berufen wurde, haben wir uns zunächst mit dem Vereinssport beschäftigt. Als feststand, dass die Fußball-Weltmeisterschaft nach Deutschland kommt, haben wir frühzeitig das Akademische Fußball-Team gegründet. Das ist schon ein paar Jahre her und jetzt ernten wir die Früchte unserer wissenschaftlichen Arbeit, die sich empirisch auf den Amateurfußball bezieht. Uns interessieren die Ehrenamtlichen. Der DFB macht zum Beispiel ein Projekt zur Stärkung der Ehrenamtlichen. Wir haben dabei festgestellt, dass viele Ehrenamtliche, ähnlich wie ein Großteil der Spieler, unter guten sozioökonomischen Bedingungen leben. Sei es, dass sie eine Familie haben, einen Beruf ausüben, sich zusätzlich engagieren oder ein Abitur vorweisen können. Fußball ist nicht nur ein Sport der Arbeiter. Er war es anfangs auch nicht. Erst nach dem 1. Weltkrieg begeisterten sich die Arbeiter dafür. Mit dem Erwachsenwerden stellen jedoch viele das Fußball-Spielen wieder ein.
iley: Und werden zu Zuschauern im Stadion und am Fernsehapparat?
Prof. Jütting: Selbstverständlich. Da haben wir die beiden Seiten: Spielen und Zuschauen.
iley: Die ARD sieht sich wegen ihrer hohen Einschaltquoten mit der "Sportschau" auf dem richtigen Weg. Erwartet der Zuschauer eine klamaukhafte Inszenierung?
Prof. Jütting: Er hat ja keine andere Alternative. Freunde riefen mich an und sagten, dass sie es genauso sehen, wie ich, aber nicht wissen, was sie machen sollen. Ich hatte beinah auch schon resigniert. Wer sich wirklich für Fußball interessiert, holt sich Premiere oder hört Radio.
iley: Lassen Sie uns noch mal über die Fußball-Weltmeisterschaft reden. Welchen Einfluss haben die Medien auf die Fußball-Nationalmannschaft? Insbesondere, wenn wir an die Fußball-Experten Günter Netzer und Franz Beckerbauer denken?
Prof. Jütting: Vor der Klinsmann-Ära einen ziemlich großen. Mit dem jetzigen Trainer und seinen Methoden aus Amerika, die ja auch nicht neu sind, läuft das etwas anders. Ich finde es gut, wie der Jürgen Klinsmann arbeitet, dass er viele junge Spieler ausprobiert. Bessere Mittelfeldspieler können wir uns nun mal nicht schnitzen.
iley: Glauben Sie, dass die deutsche Mannschaft Weltmeister wird?
Prof. Jütting: Nein. Ich denke, das Halbfinale ist möglich.
iley: Vielen Dank für das Gespräch!

Weiterführende Links
http://www.uni-muenster.de/Sportwissensc...ildung/aft-start.htmDas Akademische Fußball-Team der Uni Münster
   







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