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Verwaiste Landschaft
UMWELT | TIERISCH (15.02.2007)
Von Vera Bellenhaus
Absolute Stille. Kein Gezwitscher, kein Geraschel im Gebüsch, kein Rufen umherfliegender Vögel. So sieht die zukünftige Agrarlandschaft der Europäischen Union (EU) aus.

Schon in den letzten Jahrzehnten konnte ein starker Rückgang von Vögeln, die ihren Lebensraum in der Agrarlandschaft haben, beobachtet werden. Heute stellen sie die am meisten gefährdete Gruppe innerhalb der mitteleuropäischen Vogelfauna dar.
Vera Bellenhaus

Ortolaneier in einem Haferfeld. Aufgenommen bei Laaslich (Brandenburg). (c) Vera Bellenhaus

Beispielhaft ist die Situation des Ortolans: ein Vogel, der, weil er eben nicht wie die meisten uns bekannten Vögel im eigenen Garten vorkommt, fast nur Ornithologen ein Begriff ist. Diese etwa 15 Zentimeter große Ammernart ist mit eine grauem Kopf, einer fleischfarbenen Brust und braunen Rückengefieder sowie zwei gelben Bartstreifen eher von unscheinbarer Färbung. Der Ortolan nistet auf dem Boden in Getreideschlägen. Seine Nahrung sucht er auf Eichen, Sandwegen sowie auf Mais- und Kartoffeläckern. Seit den sechziger Jahren verzeichnen die Vogelforscher starke Bestandesrückgänge in den meisten europäischen Ländern. Einzig in Polen sind noch große Vorkommen zu finden und positive Bestandstrends zu beobachten. In Deutschland kann der Gesang des Ortolans mittlerweile nur noch in Teilen Brandenburgs und Mecklenburgs, im Wendland und in Franken gehört werden. Und auch dort wird er immer seltener. Deutlich zeigt sich hier, wie auch bei anderen Feldvogelarten, dass die Bestände in der ehemaligen DDR noch stabiler sind als die in den alten Bundesländern.
Die DDR sowie die anderen ehemals kommunistischen Länder Osteuropas stellten ein Lichtblick für Vogelfreunde dar. Dort gibt es auch heute (noch) viele der in Westeuropa in ihrem Bestand stark bedrohten Feldvogelarten. Die Landwirtschaft im Osten der Bundesrepublik hat zwar in den vergangenen Jahren eine starke Intensivierung der Nutzungsmethoden erfahren. Die Tier- und Pflanzenwelt in den neuen Bundesländer jedoch profitiert heute noch von der Zeit vor '89, als geringerer Pestizideinsatz, naturverträglichere Erntemethoden und eine weniger starke Überdüngung von Feldern und Feldrainen die Landwirtschaft prägten. Auch die Futtermittelproduktion für die Tierhaltung fand größtenteils noch im Eigenanbau statt und bestand aus einer großen Auswahl an Futterpflanzen, die eine abwechslungsreiche Landschaft schufen. Mittlerweile sind solche Feldfrüchte im Zeitalter von Soja und Futtermais längst aus der Fruchtfolge verschwunden.
Die Eingliederung der osteuropäischen Staaten in die EU führt unweigerlich zu einer Angleichung der landwirtschaftlichen Systeme. Dabei droht sich die artenreiche europäische Kulturlandschaft durch die Nivellierung der physikalischen und chemischen Unterschiede der Ackerflächen verschiedener Regionen in eine gleichförmige, ökologisch minderwertige Produktionslandschaft zu verwandeln. Und mit ihr schwindet die Vielfalt der Vogelwelt. Insgesamt 66 Prozent aller Feldvögel sind auf der Roten Liste der bedrohten Arten Deutschlands in den Kategorien "Bestand erloschen" bis "Vorwarnliste" eingestuft.
Ein Umdenken in der Agrarpolitik ist hier gefordert. Standortgerechte Landwirtschaft kontra Angleichung. Kleine Flächen statt großer Schläge. Weniger Pestizideinsatz, weniger Düngung -mehr Ökolandbau. Die Ausweitung des Ökolandbaus erfordert jedoch eine stärkere Subventionierung durch die EU, und die lässt auf sich warten. Produktionssteigerung und Nachhaltigkeit sind eben keine Wörter, die zusammen in einen Satz passen. Und auch der Verbraucher ist gefragt: Wer also weiterhin auf seinen sonntäglichen Ausflügen auf dem Fahrrad vom Gesang der Feldlerche und dem Lied der Goldammer - oder, in den wenigen noch verbliebenen Gegenden - auch dem Ortolan lauschen will, der sollte beim Gang zum Bäcker zukünftig etwas tiefer in die Tasche greifen.
   




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