Das Schlimmste ist, dass wir in Europa die Augen zu machen
POLITIK | UNTER VIER AUGEN (15.11.2006)
Von Michael Billig | |
Die EU plant die Einführung europaweit gültiger Mindeststandards, die eine Abschiebung illegaler Flüchtlinge unter Achtung der Menschenwürde garantieren sollen. Manfred Weber vom Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres erzählt in diesem Interview, wie er sich das vorstellt. Die illegale Einwanderung an den Grenzen der EU bekämpfen, bereits Eingewanderte mit illegalen Status in ihre Heimatländer zurückführen unter Achtung der Menschenwürde. Liegt darin nicht ein Widerspruch? Weber: Das ist kein Widerspruch. Zunächst einmal muss man ganz klar sagen, wir brauchen nur dann über legale Zuwanderung reden, wenn wir bei den Illegalen konsequent abschieben. Wenn wir jeden da lassen, der es über die Grenze geschafft hat, dann sind wir als Staat unglaubwürdig. Entweder wir stellen Regeln auf, der darf bleiben und der nicht, oder wir lassen es gleich bleiben. Deswegen ist es wichtig, die Grenzen zu sichern, sich aber auch zu überlegen, welche Menschen wollen wir nach Europa lassen. Braucht die EU nicht erst eine gemeinsame Einwanderungspolitik bevor sie gemeinsame Richtlinien zur Abschiebung festlegt? Weber: Ich bin der Meinung, dass die Frage, wer ins Land darf, unsere Bürgerinnen und Bürger auf nationalen Ebene angesiedelt sehen. Europa ist sehr heterogen, hat sehr unterschiedliche Strukturen und deswegen ist die Zuwanderung auf einen nationalen Arbeitsmarkt nachwievor das Richtige. In der Regel bewegen sich die Bürgerinnen und Bürger auf einem nationalen Arbeitsmarkt. Da sollen sie auch entscheiden können, ob sie Arbeitskräfte brauchen. Die neuen Richtlinien sehen für Menschen nach deren Rückführung in ihre Heimatländer ein Wiedereinreiseverbot von bis zu fünf Jahren in die EU-Staaten vor. Die meisten von ihnen kommen aber auf illegalem Weg. Davon wird sie auch ein Wiedereinreiseverbot nicht abhalten? Weber: Es gibt auch sehr viele, die nach einem abgelaufenem Visum zu Illegalen werden. Das Wiedereinreiseverbot greift nur, wenn sich jemand der freiwilligen Rückkehr widersetzt. Das ist in der Richtlinie verankert, dass Menschen unterstützt werden sollen, die freiwillige Rückkehr anzutreten, dass sie sich in ihrem eigenen Land eine Existenz aufbauen können. Aber wenn einer sagt, ich gehe freiwillig nicht, dann muss er mit Sanktionen rechnen. Wenn der Staat dort keine Sanktionen erteilt, dann wird er machtlos. Wir gezielte, teilweise mafiöse Strukturen, die Illegale in verschiedenen Ländern Anträge stellen lassen. Durch ein europäisches Einreiseverbot würde das auch ausgehebelt werden. Manfred Weber ist nicht nur Berichterstatter der geplanten Richtlinien in der EU, sondern auch Vorsitzender der Jungen Union in Bayern. (c) Michael Billig Weber: Ich bleibe dabei, dass die Menschen zurecht sagen, wir haben nationale Arbeitsmärkte und daran muss gemessen werden, wer ins Land darf. Sie setzen verstärkt auf das Prinzip der freiwilligen Rückführung, kooperatives Verhalten soll belohnt werden. Was heißt das konkret? Weber: Das ist auf europäischer Ebene vergleichsweise schwierig zu definieren. Der Illegale muss Zeit haben, sich auf die Ausreise vorzubereiten, zwischen vier bis sechs Wochen. In meinem Bericht habe ich obligatorisch vorgegeben, dass der Staat unterstützende Strukturen aufbauen muss, mit finanziellen Hilfen, Bildungs- und Ausbildungszusagen. Mit diesen Richtlinien würde sich der Druck auf die Staaten erhöhen, Menschen zu legaliseren oder sie abzuschieben. Weber: Das Schlimmste ist, dass wir derzeit in Europa die Augen zu machen. Es gibt keine verlässlichen Zahlen. Zwischen zehn bis 15 Millionen Illegale in Europa, diese Menschen sind rechtelos. Das ist modernes Sklaventum. Die sind auf unseren Baustellen unterwegs, spülen in Gaststätten Teller und haben keine Zugang zum Gesundheitswesen. Wenn so jemand krank ist und sich an ein Krankenhaus wendet, besteht die Pflicht ihn bei der Ausländerbehörde zu melden. Das führt dazu, dass ein Illegaler nicht ins Krankenhaus geht. Die Richtlinien zwingen die Mitfliedsstaaten, eine Entscheidung zu treffen, um diese Verhältnisse zu beenden. Momentan kann ein "Illegaler" in Deutschland bei Fluchtgefahr bis zu 18 Monate in Abschiebehaft festgesetzt werden. Die EU-Kommission sieht europaweit maximal ein halbes Jahr dafür vor. Wie will man sich annähern? Weber: Meine Zielsetzung ist, dass wir bei diesem Thema Subsidarität walten lassen. Ich stelle der EU-Komission die Frage, warum muss dieser Punkt europaweit geregelt werden. Finnland hat beispielsweise keine Obergrenze festgelegt, aber insgesamt niedrigere Haftaufenthalte. Dort überprüft jeden Monat ein Richter die Bedingungen. Deswegen sind die Fragen, wie diese Haft ausgestaltet ist, welche Regeln für eine Verlängerung gelten viel wichtiger als die nach einer Höchstdauer. Ich habe nun den Vorschlag gemacht, zwölf Monate da festzusetzen, aber nach unten flexibel zu lassen. Das wird an der deutschen Praxis wenig ändern, weil wir nur ganz wenige Fälle haben, die über zwölf Monate in Haft sind. Sie schlagen außerdem das Prinzip der Einzelfallbehandlung vor, keine Kollektivabschiebungen mehr. Denken wir an Malta und die Kanaren, wo Tausende gestrandet sind. Wie soll man das bewältigen? Weber: Wir leben in Europa in einem Rechtsraum. Da gilt das Grundprinzip, dass jeder Einzelfall anzuschauen ist. Wenn jemand genügend Asylgründe, dann muss auch unter 30 000 Menschen heraus die Möglichkeit bekommen, diese vorzutragen. Gerade auf Malta ist aufgrund der kleinen Fläche die Situation besonders dramatisch. Da ist Solidarität notwendig. Das müssen auch die Deutschen verstehen. Die Untersützung findet aber bisher nicht statt. Weber: Man hat sich jetzt im Europa-Rat auf Hilfe geeinigt, aber noch zu wenig. Denken wir an die Kanaren. Weber: Da ist es so, dass sie zu Spanien gehören und Spanien wird schon 25 000 Flüchtlinge aufnehmen können, ohne dass bei ihnen das Staatswesen zusammenbricht. Deutschland hat während des Bosnien-Krieges 480 000 Flüchtlinge aufgenommen. Der Präsident der Kanaren, Martin Meniz, sagte, dass man mit der Situation schlichtweg überfordert sei. Spanische und portugiesische Abgeordnete machten deutlich, dass man sich im Stich gelassen fühle. Weber: Da sage ich jetzt vielleicht etwas undipolomatisch, dass die Südeuropäer gut darin sind, immer dann zu schreien, wenn man Hilfe und vor allem Geld braucht. Aber wenn man beispielsweise die Massenlegalisierungen in Spanien in Betracht zieht, man Menschen einfach einen Ausweis in die Hand gedrückt hat, was natürlich eine enorme Sogwirkung auf Afrika ausgelöst hat und niemand in Europa dazu befragt wurde, da muss man einfach sagen: 25 000 sind verkraftbar. Menschenrechtsorganisationen fordern ein, dass sie durch einen Vertreter die Rückführung bis zum Ende beobachten dürfen. Ist das in den neuen Richtlinien vorgesehen? Weber: Wir haben im Entwurf fixiert, dass die NGOs im Abschiebeprozess fester Bestandteil sein sollen, zum Beispiel auch uneingeschränkten Zugang zu den Haftanstalten bekommen. Sie sind ein wichtiger Partner für eine menschenwürdige Rückführung. Was schätzen Sie, wie lange wird es dauern, bis diese Richtlinien Anwendung finden? Weber: Prognosen sind sehr schwierig. Die finnische Ratspräsidentschaft legt da einen großen Schwerpunkt drauf. Im Rat gibt es deutlich mehr Probleme als bei uns im Parlament. Wir haben aber mit finanziellen Mitteln ein Schwert in der Hand. Europa wird in den nächsten Jahren viel Geld ausgeben, um Rückführungsaktionen zu unterstützen. Es wird aber kein Geld fließen, wenn die Richtlinien nicht greifen. Der Rat leistet Widerstand. Warum? Weber: Dort sitzen die zusammen, die konsequente und möglichst reibungslose Rückführung durchziehen wollen, sozusagen die harte Hand. Dort sind Beschreibungen von Wertegrundlagen, Rechtsstaat und Mindestschutz für Immigranten sehr umstritten. Deswegen haben die mit Europaregelungen die größten Probleme. Vielen Dank für das Gespräch. |