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Ein diffuses Genre
KULTUR | SCIENCE FICTION (15.02.2005)
Von Daniel Clemens
Bisher verfolgte ich eine Chronologie und eine Kategorisierung der Inhalte und Ursachen bei der Entstehung der Science Fiction. Dass Science Fiction aber keine abgeschlossene, sondern eine integrative Form der Belletristik ist, stelle ich im Folgenden am Beispiel der Social SF und der Alternativweltromane dar.

Social Science Fiction

Pixelquelle.de

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Die Social SF, auch soft, new wave oder innerspace SF genannt, war eine mit den 50gern aufkommende Form der fiktiven Erzählung, die von der bereits bestehenden SF-Kultur integriert wurde. Neue Thematiken und neue Erzählformen in der Literatur sind stets an die gesellschaftliche Entwicklung gebunden. So auch bei der Social SF.

Nach dem zweiten Weltkrieg und der Aufspaltung der Welt in zwei Pole gegensätzlicher politischer Philosophien, kam es in den 50ern vorrangig in den USA und Großbritannien zu einer Aufwertung anthroposophischer Wissenschaften. Insbesondere die Soziologie ihre Ansichten über gesellschaftliche Zusammenhänge fanden immer Resonanz im täglichen Leben. Diese Entwicklung beeinflusste die gesamte zeitgenössische Literatur und Autoren wie Allen Ginsbergh und dem erst kürzlich verstorbenen Arthur Miller schufen mit ihren sozialkritischen Werken ganze Subkulturen, wie beispielsweise Beatniks.

Diese quantitative und qualitative Aufwertung der Soziologie sowie der einhergehende zweite Frühling der Psychologie gaben mit ihren neuen und zahlreichen mikro- und makrosoziologischen Theorien Autoren das Handwerkszeug, um auf ihrer Basis Extrapolationen über einen zukünftigen Werdegang der Menschheit zu spekulieren. Zu den weltberühmten Autoren dieses Subgenres gehörten Georg Orwell ("1984"), Ray Bradbury ("Fahrenheit 451") und Aldous Huxley ("Schöne neue Welt").

Insbesondere Huxley darf mit seinem Roman "Brave new world" als ein Vorreiter betrachtet werden. Die 1932 erstmals erschienene Erzählung über eine Gesellschaftsform in der Zukunft beschreibt auf intime Art und Weise das Leben eines Freidenkers in einer genetisch vorgenormten Gesellschaft. Menschen werden in Intelligenz und Körpermerkmalen manipuliert, um künstlich eine Mehrklassengesellschaft zu erzeugen, ohne die ein Staat, schon alleine aufgrund der notwendigen Arbeitsteilung, nicht überlebensfähig zu sein scheint. Zum Zweck der ideologischen Gleichschaltung übernimmt der Staat über die genetische Kontrolle hinaus noch die Erziehung. Die Familie als Institution ist abgeschafft. Die Sexualität ist bis ins Groteske liberalisiert, so dass Monogamie als moralisch verfehlt und fast schon pervers gilt.

Desweiteren mag ich noch auf das meiner Meinung nach unumstrittene Hauptwerk, sozusagen das Flaggschiff der Social SF eingehen: George Orwells "1984" aus dem Jahr 1949. Wir verdanken es diesem Autor, dass er eine Redewendung geschaffen hat, die heute als das Synonym staatlicher Kontrolle anzusehen ist - `Big Brother is watching you` -. Der Roman vermittelt anhand des Alltags der Hauptfigur Winston Smith eindrucksvoll den Verlust des Privatlebens bis hin zur Auflösung des Ich-Seins. Durch die rapide Einschränkung der Lebensverhältnisse aufgrund eines imaginären Krieges wird eine grenzenlose Gleichschaltung erreicht. Der Einzelne ist wegen der Angst vor einer Niederlage im Krieg und der damit vermeintlich verbunden Einschränkung der Lebenskultur und Freiheit bereit, sich in die absolute Kontrolle zu begeben, ohne zu bemerken, dass er damit schon seine Freiheit verloren hat.

Bei diesen zwei Beispielen fällt sofort die apokalyptische Grundhaltung des Genres auf. Das ist auch nicht verwunderlich. Denn, wie erwähnt, entstammen die Anreize für dieses Subgenre aus einer Zeit, in der immer öfter die Abhängigkeit des Individuums vom System angeprangert wurde. Eine immer komplexer werdende Gesellschaft nimmt dem Menschen jegliche Orientierung. Beim gesellsschaftlichen Streben nach Individualität treten selbige und tatsächliche Selbstbestimmung immer mehr in den Hintergrund. Die Romane der Social SF sind wie der erhobene Zeigefinger, der warnend in die Zukunft deutet und sagt: Wer zu schnell, zu heftig und ohne Orientierung voranschreitet, gerät leicht ins Stolpern.

Alternativweltromane

Ein weiteres zum Universum der Science Fiction gehörendes Genre sind die Alternativweltromane. Sie spielen weder in der Zukunft, noch wären sie zur Outerspace SF zu zählen. Der Grund für die Integrierung der Alternativweltromane in die SF liegt vielmehr in der Tatsache, dass es sich bei ihnen wie bei Social SF um fiktive Extrapolationen handelt.

Die in ihnen erzählten Geschichten sind Gedankenspiele, die welthistorische Wendepunkte und deren Ausgang zum Anlass nehmen, um zu fragen: Was wäre, wenn diese anders verlaufen wären? Alle geschichtlichen Eckdaten gehen bis zu diesem Zeitpunkt konform mit unserem Zeitstrahl, um dann zu einem vom Autor gewählten Moment abzuzweigen. Es wird sozusagen eine Paralleldimension in den Köpfen der Leser geschaffen.

Auch in der Chronologie der Science Fiction nimmt dieses Genre eine Sonderstellung ein. Man hätte es eigentlich nach der gothic romance einordnen müssen, da sich ein 1835 erschienener Roman erstmals mit der Thematik der Alternativwelten befasst. Leider ist mir weder der genaue Name, noch der Autor dieses Romans bekannt. Ich weiß nur, dass er sich mit dem Ausgang der napoleonischen Kriege beschäftigt und dem Verlauf der europäischen Geschichte, falls der kleine Mann mit der Hand in der Jacke alle Schlachten gewonnen hätte.

Einer der großen Romane dieses Subgenres ist das erstmals 1953 erschiene Werk von Ward Moore " Der große Süden". Dieser Roman spielt im 20. Jahrhundert und geht davon aus, dass die Südstaatenkonföderierten in der Schlacht bei Gettysburg gesiegt haben. Der Norden ist aufgrund der Reparationszahlungen nach dem verlorenen Krieg auf dem Niveau eines Dritte-Welt-Landes. Das weltpolitische Geschehen wird bestimmt durch die Geschicke der Konföderierten Staaten von Amerika und der Deutschen Union. Der Protagonist stammt aus den ärmlichen Verhältnissen der Nordstaaten und bekommt über Umwege die Möglichkeit, als Historiker mit einer Zeitmaschine zur Schlacht von Gettysburg zu reisen. Durch einen Zufall wird er entdeckt und dieser kleine Umstand führt zufällig zur Niederlage der Konföderierten und zur Herstellung der historischen Geschehnisse so, wie wir sie kennen.
   




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