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KULTUR | SCIENCE FICTION (15.01.2005)
Von Daniel Clemens
Im Rahmen der Neuerstellung von iley nutze ich die Gelegenheit, in den nächsten Monaten einem oft belächelten Genre der Literatur zu neuem Glanz zu verhelfen. Denn nichts in der Gutenberg-Galaxis ist verkannter als die Thematiken, die langläufig unter Science Fiction bekannt sind.

Ich hoffe einen Aha-Effekt zu erzeugen und dem einen oder anderen Lust auf ein wenig fiktionale Belletristik zu verschaffen. Um Euch SF näher zu bringen, werde ich in diesem ersten Beitrag auf die Komplexität und die historische Entwicklung dieses Genres eingehen.

Neue Zeiten

Der Beginn ist eine sehr delikate Sache. Als das Genre Formen annahm, befand sich Europa in den Frühwehen der industriellen Revolution der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Städte wuchsen, der wirtschaftliche Apparat wurde immer komplexer und mit der Notwendigkeit Waren immer billiger zu produzieren und zu transportieren, beschleunigte sich der technische Fortschritt immer mehr. Es war ein dunkles Kapitel unserer noch jungen Industrienationen und alle wissenschaftliche und technische Evolution, die sich bis dahin in Generationen messen ließ, vollzog sich plötzlich innerhalb weniger Jahre. Die subjektive Beständigkeit die das Leben der Menschen in einer scheinbar stagnierenden Gesellschaftsform bisher bestimmte, wurde hinfällig, da sich nun innerhalb einer Generation die Umstände immer schneller änderten. Berufe starben aus, andere kamen hinzu und die Mehrzahl der Menschen in der Stadt hatte weder Zeit, noch Mittel sich neuen Determinanten anzupassen. Orientierungslosigkeit und ein allgemeines Ohnmachtgefühl machten sich in der Bevölkerung breit.

In diese Zeit oder besser aus dieser Zeit entstand ein Roman, der diese Gefühle verkörperte wie kein anderer. Mary Shelleys "Frankenstein" (1814) begründete die gothic romance (auch gothic novell) als Genre, welche das immer schneller schlagende Herz der Wissenschaften thematisierte. Ein Geschöpf, von einem größenwahnsinnigen Wissenschaftler künstlich geschaffen, gerät auf der Suche nach einer eigenen Seele außer Kontrolle. Es ist ein Roman, der offensiv die Frage nach der Kontrollierbarkeit einer schon außer Kontrolle geratenen technisierten Gesellschaft stellt.

Technischer Fortschritt "auf Teufel komm raus", ohne Rücksicht auf eventuelle Auswirkungen begegnen uns in späteren Subgenres der SF immer wieder. Verwiesen sei hier beispielsweise auf Philip K. Dicks Roman "Do androids dream from electric sheep", besser bekannt als "Blade Runner", in dem wiederum vom Menschen künstlich erschaffene Lebensformen um die Anerkennung einer eigenen Seele kämpfen. Oder Michael Crichtons Roman "Prey", wo die sorglose Forschung in der Nanotechnologie angeprangert wird.

Klassische Science Fiction

Die Klassische SF in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde getragen durch ein starkes Bürgertum. Denn in den Industrienationen hatte sich in den letzten rund 50 Jahren eine echte Mittelschicht herausgebildet, deren Vertreter sich durch eine progressive Denkweise auszeichneten. Materiell ausgestattet und intellektuell begütert war ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung nicht mehr darauf angewiesen, sich nach einem 14 Stunden Arbeitstag zu Hause die Knochen richten zu lassen. Vielmehr unterhielt man sich privat und in öffentlichen Gesellschaften verstärkt über Politik, Belletristik, Fortschritt und die heroischen Taten der großen Entdecker dieser Zeit, die dabei waren die letzten weißen Flecken von der Weltkarte zu tilgen.

Diese Mixtur aus Wissbegier und Abenteuerlust fungierte als Katalysator zur Entstehung eines neuen belletristischen Genres mit der später gefundenen Bezeichnung Klassische Science Fiction. Die Klassische SF zeichnete sich anfangs weniger durch eine Aufarbeitung veränderter Gesellschaftsstrukturen aus, sondern Romane dieser SF-Epoche sind eher zu vergleichen mit Abenteuerromanen, dessen Hauptpersonen mit einer neuen Erfindung konfrontiert werden, durch die eine Verkettung phantastischer Ereignisse entsteht. Die wichtigsten Vertreter waren Jules Verne, Herbert George Wells und sogar Edgar Allan Poe. Vor allem Jules Verne brachte es mit seinen Erzählungen wie "Von der Erde zum Mond" und "20 000 Meilen unter dem Meer" zu Weltruhm. H.G. Wells hatte aber mit seinen Werken einen maßgeblicheren Einfluss auf die spätere Entwicklung und mit den sehr bekannten Romanen "The Time Machine" und "The war of the worlds " legte er die thematischen Grundlagen der modernen SF, ob es nun um aggressive außerirdische Lebensformen geht, die sich die Erde unter den Nagel reißen wollen, oder eher prophetisch um die Richtung der Entwicklung des Menschen und des gesellschaftlichen Zusammenlebens.

Ein Genre erkennt sich selbst

Mit dem erscheinen erster SF- Magazine in der USA in den 20gern und 30gern des 20. Jahrhunderts nahm das Genre konkretere Formen an. In Erzählreihen wie "Amazing Stories" (1. Auflage 1926) und "Science Wonder Stories" (1. Auflage 1929) wurden Geschichten und Kurzgeschichten mit futuristischen Inhalten publiziert.

Bis dahin gab es mehrere Versuche von Autoren (auch E.A.Poe), eine neue Kategorisierung für diese neue Art von Erzählungen zu finden. Doch erst mit den von Hugo Gernsback formulierten Leitartikeln wurde eine Definitionsgrundlage geschaffen. In der ersten Auflage von "Amazing Stories" prägte Gernsback den Begriff der "Scientification" und verstand darunter jene " ... reizvolle Phantasieerzählung mit wissenschaftlichen Tatsachen und prophetischem Weitblick ... Diese erstaunlichen Geschichten lesen sich nicht nur ungeheuer interessant, sie sind auch stets aufschlussreich. Sie vermitteln Wissen ... in einer sehr ansprechenden Form ... Neue Abenteuer, die uns die heutige Scientifiction schildert, werden morgen schon nicht mehr unmöglich sein ... Viele großartige wissenschaftliche Erzählungen, die einmal von historischem Interesse sein werden, müssen erst noch geschrieben werden ... Die Nachwelt wird auf sie verweisen, denn sie haben einen neuen Weg markiert, nicht nur für die Literatur, sondern auch für den Fortschritt."

Mit dieser ersten umfassenden begrifflichen Kategorisierung durch Gernsback wurde der Grundstein gelegt für eine Subkultur mit eigenen sprachlichen und thematischen Kodes, die sich in den folgenden Jahren entwickelte. Schriftsteller, Verleger und Redakteure hatten nun einen Begriff, mit dem sie arbeiten konnten und zusätzlich eine treue Zielgruppe. Die Blütezeit der Science Fiction begann und hielt verstärkt Einzug in die neuen Medien. Wer kennt nicht Sci Fi Klassiker wie "Buck Rogers" oder später die große B-Movie Welle der 50ger Jahre (an dieser Stelle verkneife ich mir eine Beurteilung der inhaltliche Qualität vieler dieser Ergüße - man denke nur an an Pherry Rhodan - und sehe sie als Opfer der Quantität unter der wohl jede Subkultur leiden muss). In dieser Zeit wurde die SF hauptsächlich von Romanen und Erzählungen getragen, die der sogenannten Hard SF (auch outer space SF) zugeschrieben werden. Dieser Subform der SF war es zu eigen, möglichst exakte Extrapolationen wissenschaftlicher und technischer Entwicklung zu schaffen. Hauptvertreter dieser Zeit waren Isaac Asimovs "Robotergesetze" und auch ein junger Arthur C. Clarke mit "Der Wächter" (besser bekannt unter der späteren Überarbeitung zu - 2001- Odyssee im Weltraum).

Ich hoffe, Euch in diesem ersten Teil einen Einblick in die Welt der Science Fiction verschafft zu haben. In der nächsten Ausgabe von iley befasse ich mich mit der historischen Entwicklung bis heute und stelle Euch als Einstieg einen Klassiker des Genres vor.
   




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