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Unser Trip nach Lhasa - Teil 1
REISE | REISETAGEBUCH (15.01.2007)
Von Jan Hinnerk Voß
Vorab eine kleine Warnung: diese Reise ist zwar höchst empfehlenswert, aber nicht ohne Sicherheitsrisiko. Ich habe keine Ahnung, ob wir nur mit Glück wieder heil aus Tibet rausgekommen sind, oder ob das Ganze noch mal machbar wäre.

Auch über die Strafen, mit denen wir im Falle unserer Verhaftung rechneten, wussten wir eigentlich nichts genaues. Also bitte nicht blindlings nachmachen! Weiterhin muss gesagt werden, dass der Autor von seinen verallgemeinernden und abwertenden Aussagen über China und die Chinesen selbstverständlich Abstand nimmt. Der Text wurde in einem Zustand von Erregung und Subjektivität verfasst...

Der Ausgangspunkt

Wir saßen vor einem der Straßencafés auf der berühmten Khao San Road in Bangkok, Schmelztiegel sämtlicher Traveller auf dem Weg zu einem Trip durch Südostasien, China oder weiter nach Australien. Wir tranken ein starkes Chang Bier und beobachteten all die ausgeflippten Typen, die hier langflanierten. Hier gab es alles: die Hardcore-Traveller, die Strandabfeierer, die Drogentouris, die Ficker, die jungen Mädchen auf ihrer ersten großen Reise weit weg von daheim, und die Daueraussteiger. Mein Freund Axel hatte ursprünglich geplant, zusammen mit seinem Reisegenossen Steve aus Neuseeland irgendeinen Riesenberg zwischen Tadschikistan und Usbekistan raufzuklettern, aber Visaprobleme und die sinkende Temperatur über 6000 Metern ließen die beiden doch von diesem Plan ablassen. Ich wollte eigentlich von Bangkok aus weiter nach Indien fliegen, um die heilige Stadt Benares zu besuchen. Wie es dann weitergehen sollte, wusste ich noch nicht, aber Indien stand schon mal als Ziel fest. Auch ich sollte von meinem Plan abkommen.
So saßen wir also da, und sannen nach, wohin unser Weg nun führen solle. Niemand erwartete, dass wir am nächsten Tag zu dritt in einem Taxi auf dem Weg zur Chinesischen Botschaft sitzen würden, und noch weniger, was noch so auf uns zukommen sollte.
Der irre Plan war nun, quer durch Westchina zur Tibetischen Grenze zu reisen, und von dort aus nach Lhasa zu trampen. In Tibet waren meine beiden Freunde schon, also konnten wir ja keine normale Reise aufs Dach der Welt machen. So wie es sämtliche Pauschaltouris tun. Nein, Axel und Steve wollten versuchen, in den verbotenen Osten der Autonomen Region Zhizang, wie die Chinesen Tibet nennen, zu gelangen. Sag niemals "Tibet", wenn Du einen Chinesen triffst, vor allem nicht, wenn er eine angsteinflößende Uniform trägt. Wir hatten also ein Monatsvisum für China bei der Botschaft geholt, aber hatten keinerlei special permit für Tibet. Allerdings war jegliches Reisen im Osten der Region unseres Wissens nach sowieso strengstens verboten, also wieso noch ein 200 Dollar teures Reisepapier für Lhasa kaufen? Es hieß, dass die Strafe für illegales Betreten der verbotenen Zone um die 200 Dollar Bußgeld beträgt. Also, warum schon im Vornherein zahlen? Falls wir es schaffen sollten, Lhasa zu erreichen, wären wir erst mal sicher.

Auf der Matschpiste durch Laos

Nach ein paar komfortablen Thai-Bussen und vorzüglichen Schnellstraßen erreichten wir Laos, und wurden langsamer. Unser "number one" Jeep Fahrer brachte es irgendwie fertig, uns über - oder sagen wir mal lieber durch - die von der Regenzeit aufgedunsene "Straße" zu fahren, obwohl ich so manches male nicht glaubte, dass man diese Matschseen, die den Weg bildeten, überwinden könnte. Unsere Mitfahrer amüsierten sich anscheinend köstlich über mein Gesicht, wenn ich wieder solch einen See, der sich vor uns auftat, erblickte. Man muss aber zu meiner Verteidigung sagen, dass die Fahrt, und vor allem die Schlaglöcher nicht ohne Schmerzen von sich gingen.

China

Nach zwei Tagen erreichten wir die chinesische Grenze. Sofort überkam uns ein Gefühl von Überwachung unserer illegalen Absichten. Und die "typisch chinesische Architektur", wie sie meine Begleiter nannten (Ich konnte keinerlei Stil erkennen - nur höchst funktionalistische Plattenbautenähnliche Gebäude mit garagenartigen Geschäften. Aber genau das war's ja.), und das rote Eingangsportal der Grenze, sowie die erste Polizeistelle machten mächtig Eindruck auf mich. Ich wusste nicht genau einzuordnen, was für einen, aber ich hatte ein ungewisses Gefühl der sicheren Erkenntnis, nun das Land Maos zu betreten. Was auch immer das nun für mich heißen mochte. Nach einer Nacht im Luxushotel in Mengla, wo wir noch peinliche Bekanntschaft mit einer Prostituierten gemacht haben - wir wussten erst nicht, worum es geht, und was die freundliche Dame in unserem Zimmer wollte - bestiegen wir den Bus nach Kunming. Diese alte Schrottmühle sollte uns Heimat und Unterkunft für die nächsten Tage bieten. Denn gegen die grausame Erwartung, 24 Stunden in diesem Gefährt zu verbringen, sollten wir 36 Stunden lang Geduld, zähe Knochen und ein unglaubliches Vermögen, sich das pinkeln zu verdrücken, beweisen. Ich lernte den Satz für "ch muss mal (unheimlich dringend, ich mein's ernst) aufs Klo" - wo jau chue cheoswo. Aber der Busfahrer verstand mich entweder nicht, oder hatte einfach kein Interesse, die Fahrt für 60 Sekunden zu unterbrechen. Wenn wir denn mal hielten, musste man sich sputen, auf die widerlichsten (echt) Klos der Welt sprinten, und in einer Reihe mit den stets freundlich lächelnden chinesischen Weggefährten pinkeln (noch nie habe ich ein so mürrisches Volk erlebt! Dagegen ist selbst der Durchschnittsdeutsche ein Wonneproppen). Oder, wenn man den Mut hatte, evtl. den Bus zu verpassen, schnell kacken.
Chinesisch ist die merkwürdigste Sprache, die mir je untergekommen ist. Und ich habe einige Sprachen gehört oder zu sprechen probiert. Unser Lieblingswort auf der Reise war "24", oder auch "25". So etwas wie ar-she-si und ar-she-whu. Unsere Buchstaben geben das einfach nicht her, was diese Leute aussprechen! Die meisten Töne werden dumpf, kehlig und gedrückt gesprochen.

Von Kunming bis Chengdu

Also erreichten wir nach einigen Erdrutschen und verstopften Straßen nach 36 Stunden recht gerädert Kunming. Immerhin hatte der Bus so eine Art Liegesitze, fast bequem, wenn man nicht so lang wie Axel und ich, oder so breit (schultrig) wie Steve ist. Wir hatten geplant, unseren Freund Daniel in Kunming zu treffen, haben ihn aber um Stündchen verpasst, wie wir in seinem Hotel erfuhren. Also hasteten wir zu einem Pizzarestaurant (danke, Lonely Planet!), verschlangen mit höchsten Genüssen diesen Segen aus Mehl-Hefe Teig und Käse, und fanden uns kurze Zeit später in dem Zug nach Chengdu wieder, was noch größer als Kunming sein sollte. Zu unserem Bedauern hatten wir nur ein dritte Klasse Ticket und nicht einmal einen Sitzplatz ergattert! Den hätten wir wirklich dringend nötig gehabt, eine Erholungsfahrt war die Busfahrt ja nicht gerade. 18 Stunden Zugfahrt lagen nun vor uns. Krampfhaft versuchten wir den Eingeborenen nachzumachen, wie man sich möglichst bequem zu dritt auf die 50 Quadratzentimeter zwischen Klo (!!!) und Abteil quetscht, doch wollte es nur schlecht gelingen. Immerhin mussten wir ja auch noch unsere Rucksäcke unterbringen. Das alles wäre jedoch gar nicht so schlimm gewesen, wäre nicht alle fünf Minuten der Metallwagen mit heißem Wasser (in China gibt es immer und überall heißes Wasser), Tee und Fertignudeln (scharf wie Hölle), oder Schreibwaren und was weiß ich nicht "an uns vorbei gefahren". Man könnte auch sagen: über uns drüber gerollt! Denn bei der Masse von Menschen in dem Zug hatte sich der Verkäufer wohl abgewöhnt, höflich um Weg zu bitten. Gegen Nacht kam er tatsächlich nicht wieder - bis Sonnenaufgang natürlich nur. Da Zwei-Meter-Axel wirklich nicht - wie das kleine Mädchen es vorgemacht hatte - auf dem Spülbecken über dem Schlafenden Rest gegenüber sitzen, geschweige denn schlafen konnte, entschied er, sich auf den Boden zu legen, unter den Sitzen der anderen Fahrgäste. Hierzu sei ein Wort gesagt: Ich habe China als das wirklich dreckigste Land der Welt erfahren. Und zwar nicht nur wegen der schier unglaublichen "Toiletten", sondern weil die Leute wo sie sitzen und stehen auf den Boden zu rotzen pflegen. Und ich meine nicht spucken, ich meine rotzen, mit hochziehen, würgen und auskotzen. Also Axel war am Ende seiner derzeitig verfügbaren Kräfte und gab dem Drängen seines Körpers nach, nun endlich ein paar Momente Ruhe zu finden, und legte sich hin. Ich überredete ihn, doch noch wenigstens die silberne Isomatte zu nutzen, die mir eine Bekannte geliehen hatte. Ich fand, ich könnte im Notfall eine neue kaufen, aber Axel solle doch möglichst direkten Bodenkontakt vermeiden. Ich verbrachte noch einige Stunden mit einem neu gewonnen Freund, mit dem ich mich vorwiegend nonverbal unterhielt. Er lud mich zu seiner Familie ein, deren Photos er mir präsentierte, und ging nach Armdrücken und anderen Spielchen dazu über, mich einfach aus Freude zu kneifen. Merkwürdige Form der Kommunikation, dachte ich. Als er dann anfing, Zeichnungen von Blümchen und Bienchen zu machen, wurde ich noch skeptischer und überlegte, ob er mich langhaarigen Typen wohl für eine reizende Dame hielt. So wie die Leute im Bus, die sich über diese Frage entgültig sicher waren, nachdem ich denn das falsche Klo betrat - wer soll sich nur diese chinesischen Hieroglyphen merken? Aber Armdrücken mit einer Angebeteten? Er schenkte mir dann am nächsten Tag noch eine Wasserpfeife, zwar aus Plastik, aber doch wirklich schön, und war also unweigerlich mein Freund. Mit Gewissensbissen dachte ich daran, dass ich ihn wohl doch nie besuchen würde.

Chengdu, eine ganz normale chinesische Stadt

Chengdu ist mit ca. 10 Millionen Einwohnern eine der unzähligen "mittelgroßen" Städte im Westen Chinas. Westen ohne Tibet gerechnet. Recht übermüdet wurde ich noch auf dem Weg zum Hotel um ein Haar totgefahren - ich hatte die sechste Autospur beim Wechseln der Straßenseite übersehen, und nach den ersten Reihen nur noch Autos von rechts erwartet. Ich entschied, nie wieder ohne Ampel die Straßenseite zu wechseln. Immerhin gab es ja Ampeln, also wollte ich sie nun auch nutzen. Axel hatte mich schon tot gesehen und war froh, nun in aller Ruhe das Hotel zu beziehen, zu duschen, und die nächste Pizza ausfindig zu machen. Das chinesische Essen - naja, es war wohl ok, soweit ich mich erinnere, aber meist recht herb oder salzig, und keiner wusste, was wir da eigentlich zu uns nehmen. Vielleicht ja auch Hund oder Ratte. Aber egal, wir waren hungrig, sehr hungrig. Nun also wieder Wessi-Luxus, und die erste Reisepause seit Bangkok: wir blieben zwei, drei Tage.

Auf nach Tibet!

Dann ging es auf in die Berge, Richtung Tibet! Wir wollten nach dem ersten Reisetag eine Übernachtung einlegen, jedoch brauchte der Bus doch wieder mal länger als gedacht. So brauchten wir nicht für Unterkunft suchen. Statt dessen ging es gleich weiter am frühen Morgen, mit dem nächsten Bus bis zur Grenze: Dege (man betone dumpf und gequetscht!). In Dege machten wir letzte Planungen für unseren illegalen Trip: wir hatten je ein Kilo Erdnüsse, Walnüsse und Cashewnüsse, ein Vorrat an Not-Snickers (ich lachte anfangs noch darüber - nur anfangs), warme Kleidung, Zelt, Kocher, Kombiwasserfilter und Kaffee, sowie die ein oder andere Suppe. Hier bekam ich meinen ersten Anflug von Dünnschiss. Interessanter Weise immer nur bei Reisepausen, nie im Bus. Danke, Gott! Also blieben wir auch hier ein paar Tage und hatten Zeit, Axel bei hartem Schnaps (chinesischem Arrak) Skat beizubringen. Kein besserer Platz dafür, als die kleine Zockerhöhle, abgetrennt von dem "Restaurant" nebenan. Übernachten durften wir nur in dem sterilen Schinabunker, der nur so nach Spitzeln und StaSi roch, Blick nach hinten in den Müll. Da saßen wir also, schon hunderte von Kilometern bis in sagenumwobenes tibetisches Gebiet gereist, um an eine graue Wand mit Müll zu starren. Ich fing an, die chinesische Sicherheitspolizei wirklich zu mögen. In den schnuckeligen tibetischen Häusern hieß man uns wieder gehen. Anscheinend hatte man Anweisung, keine Ausländer aufzunehmen. In Dege gab es noch eine berühmte tibetische Druckerei, und wir hatten Zeit, das erste Mal tibetisch Luft zu atmen, gemischt mit dieser typischen Würze chinesischer Polizeipräsenz.

Über die Grenze

Trotz Überwachungsangst machten wir uns dann doch eines morgens auf ... Teil 2 aus dem Reisetagebuch von Jan Hinnerk Voß folgt in der nächsten Ausgabe von iley.

   






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