Mehr als der Dalai Lama
KULTUR | BUDDHISTISCHES FILMFESTIVAL (20.12.2008)
Von Sarah Khalil | |
Der Abspann zum Film ‚Jenseits von Tibet' lief noch, als Ameetaa Kelsch, Organisatorin des Buddhistischen Filmfestivals Münster, ahnte: "Das kann ein langer Abend werden. Was wollen Sie wissen?", hatte sie ins Publikum gefragt. Zur Antwort kam nur ein Wort: "Alles." Der Film der Berliner Regisseurin Solveig Klassen konnte das spannende Thema des tibetischen Lebens in Deutschland selbstverständlich nur anschneiden. In dem 89-minütigen Werk ging es um den Lama Gelek, der sein Mönchsgelübde zurückgegeben hat, um die Berliner Ex-Punkerin Sandra zu heiraten. Zwölf Jahre hat Gelek seine Familie nicht mehr gesehen, als Sandra mit einem Video von ihm nach Tibet aufbricht. "Das Aufeinanderprallen beider Kulturen wurde schon in Berlin sehr deutlich", sagte die Filmemacherin Klassen. Und so wusste niemand, was passieren würde, wenn Sandra und Geleks Vater aufeinandertreffen. Der alte Mann, der noch nie sein Dorf verlassen hatte, reagierte auf den sehr ungewöhnlichen Gast aufgeschlossen, ließ sich filmen und berichtete von seinem Leben. Gerade das faszinierte die Gäste. "Es ist irre, dass die Leute Sandra so toll aufgenommen und akzeptiert haben, dass sie filmte", berichtete eine Zuschauerin. Wie die meisten, die gekommen Der Bettelmönch Gelek, hier zusammen mit seiner Tochter Tara, lebt in Berlin-Carlottenburg und gehört für die Passanten auf der Wilmersdorfer Straße zum Stadtbild. (c) Filmfestival Mönche wandern aus Obwohl die Geschichte von Gelek und Sandra einmalig ist, ist Geleks Lebensweg nicht untypisch: "Insbesondere die Mönche seiner Generation sind nach Indien geflohen und von da aus weiter nach Europa", erzählt Solveig Klassen. Sie haben in ihrer Heimat nichts: kein Einkommen, keine Rechte, keine eigene Sprache. In den Schulen wird auf Chinesisch unterrichtet. Durch die Sinisierung haben die Tibeter auch kaum Chancen auf Bildung oder Beruf. Der wichtigste Grund jedoch, aus dem sie ihr Land verlassen, ist, dass ihnen das Recht auf Religionsausübung versagt wird. Es ist schon verboten und unter Strafe gestellt, ein Foto des Dalai Lama zu besitzen. Die chinesische Regierung begrenzt die Zahl der Mönche und Nonnen in den Klöstern. Das führt dazu, dass in Tibet selbst Lehrer für den Buddhismus fehlen. Die Geistlichen, die noch in den Klöstern zugelassen sind, werden einer "patriotischen Umerziehung" unterworfen. Wer sich also religiös weiterbilden oder selbst Mönch werden will, muss Mönche und Nonnen in Indien aufsuchen. Die meisten Tibeter, die ihr Land verlassen, zieht es von Indien aus in die Schweiz, da das dortige Asylrecht für Tibeter schon seit Jahrzehnten günstig ist. Heute ist die Schweiz auch deshalb Ziel der Asylsuchenden, weil sie dort schon Verwandte haben. In Deutschland haben gerade mal 400 bis 500 Tibeter eine neue Heimat gefunden. Die meisten von ihnen kommen als Asylbewerber ins Land, haben aber bereits familiäre Kontakte, die ihnen die Eingliederung erleichtern. So finden sie auch schnell Arbeit - zum Beispiel in Restaurants. Im März 2008 fand der gewaltlose und oft stille Konflikt der Tibeter ein jähes Ende. Zum dritten Mal seit der erstmaligen Besetzung des Landes vor fast 60 Jahren lehnten sich Mönche gegen die Repressionen der chinesischen Regierung auf. Sie demonstrierten gegen die grundlose Inhaftierung ihrer Glaubensbrüder. Wie zu erwarten, ging die chinesische Regierung mit Gewalt gegen die Proteste vor. Als die Demonstrationen der Mönche niedergeschlagen wurden, regte sich der Zorn in der Bevölkerung und Massenproteste begannen. Die Tatsache, dass sich diese Aufstände trotz Repressionen über das ganze Land verbreiteten, kam auch für Tibetkenner überraschend, berichtete Gisela Dücker dem Publikum. Die Vorsitzende der Tibetinitiative Münster von den Organisatoren eingeladen worden, um die Hintergründe des Konflikts zu beleuchten. "Spätestens seit den Aufständen in diesem Jahr ist nicht mehr zu leugnen, dass Tibet völkerrechtlich ein Staat ist", sagte sie. "Olympische Spiele ein Desaster" Seit dem Frühjahr steht Gisela Dückers Telefon nicht mehr still. Dutzende Menschen wollen wissen, wie sie sich politisch engagieren können. Die Bereitschaft zuzuhören ist da, Nachrichten gibt es auch. Klingt doch, als erlebten die Tibetunterstützer derzeit so etwas wie das Glück im Unglück. Endlich wird ihre Botschaft von allen gehört. Ganz so einfach ist es nicht, weiß Dücker. Aus Sicht der Menschenrechte war die Bilanz der Olympischen Spiele in Peking ein Desaster. Statt mehr Berichterstattung gab es mehr Zensur. Aktivisten aus Europa und den USA wurden oft schon festgenommen, bevor sie überhaupt protestieren konnten. Ein junger Deutscher, den Dücker persönlich kennt, schaffte es gerade mal für zwei Minuten, die Worte "Free Tibet" in LED-Leuchtschrift vor dem Olympiastadion auszulegen, bevor er kurzzeitig verhaftet wurde. Noch jetzt sind Hunderte Tibeter verschwunden, das Land hermetisch abgeriegelt und die Klöster entvölkert. Selbst die Tibetinitiativen der Welt, die sonst sehr gute Kontakte in das Land haben, bekommen seit Wochen nur begrenzt Nachrichten. Umso brisanter war der Film ‚Leaving Fear Behind', der am 2. November im Schlosstheater Münster gezeigt wurde. Er wurde heimlich in Tibet gedreht und zeigt, was die Bevölkerung wirklich über die chinesische Herrschaft und die Olympischen Spiele denkt. Bei der Premiere vor Journalisten in einem Hotel in Peking wurde die 25-minütige Dokumentation nach nur 15 Minuten gestoppt, die Journalisten des Hotels verwiesen. Zu dem Zeitpunkt waren die beiden Filmemacher, die das Material außer Landes haben schmuggeln ließen, bereits seit Wochen in Haft. So viel zur Frage, wie viel Sprengstoff jedes freie Wort über Tibet und China haben kann. Revolutionen wollen die Festival-Organisatoren Ameetaa Kelsch, Carsten Happe und Winfried Bettmer mit ihrer Filmreihe nicht gleich auslösen. Doch sie sind, ebenso wie Gisela Dücker, davon überzeugt, dass Filme ein gutes Mittel sind, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen - in Münster und anderswo. "So erreichen wir, dass sich Leute mit dem Thema befassen, die die Tibetinitiative Deutschland dann zum Beispiel bei Petitionen unterstützen", glaubt Dücker. Noch besser wäre es natürlich, so auch die Politik zu erreichen. Doch in diesem Punkt ist sie mit Blick auf den jüngsten Deutschlandbesuch des Dalai Lamas zurückhaltend. Dücker: "Das Politische stand gar nicht im Mittelpunkt. Wichtiger war, wer dem Dalai Lama die Hand gibt, und wer nicht." |