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Demokratiehürde vor dem Fall
POLITIK | NORDRHEIN-WESTFALEN (31.03.2011)
Von Jörg Rostek
Ein Kostendeckungsvorschlag ist eine Demokratiebarriere ersten Ranges. An ihm scheiterten mehr als die Hälfte aller Bürgerbegehren in Nordrhein-Westfalen. Ein neues Gesetz könnte bald Abhilfe schaffen.

Wer eine Bürgerinitiative ins Leben rufen will, hat es nicht leicht. Die Herausforderungen sind vielfältig und das Scheitern wahrscheinlicher als der Erfolg. Trotzdem machen sich in Nordrhein Westfalen Jahr für Jahr hunderte von Bürgerinnen und Bürgern auf den Weg direkter Demokratie.
Im Jahr 2010 hat NRW einen Bürgerentscheid-Rekord aufgestellt. Man könnte von einer Sternstunde der Bürgerbeteiligung sprechen, gebe es nicht eine zweite Spitzenleistung von Seiten der Kommunen selbst, die beweist, dass der Teufel oft im Detail und - vor allem – in Gesetzen steckt. Denn: Die Stadtverwaltungen NRWs haben 20 von 33 Begehren für unzulässig erklärt. In 16 Fällen war der Anlass der Abweisung ein falscher „Kostendeckungsvorschlag“ (KDV). Insgesamt waren mindestens 50.000 Unterschriften davon betroffen.

Tausende Unterschriften für die Tonne

Den KDV gibt es schon länger. Beispiel Münster. In der Westfalenmetropole sammelte 2006 eine Bürgerinitiative Unterschriften für den Erhalt zweier Schwimmbäder. Sie hatte mit den typischen Problemen einer Bürgerinitiative zu kämpfen. Sie musste innerhalb von kurzer Zeit die Bürger und Schwimmverbände zusammenführen und trotz vorhandener Meinungsverschiedenheiten handlungsfähig organisieren. Bei der Erstellung des KDV zeigte sich die Bürgerinitiative überfordert. Mitorganisator Wolfgang Wiemers erinnert sich: „Die Erarbeitung eines hieb- und stichfesten Deckungsvorschlags hätte professionelle Beratung, Zeit und Geld gekostet. Das alles stand uns nicht zur Verfügung“, erzählt er.
Die Stadtverwaltung Münster wies den KDV als unzureichend ab. Mangels Geld verzichtete die Bürgerinitiative auf einen Rechtsstreit. 15000 Unterschriften waren vergebens gesammelt worden.

Kostentransparenz

In Nordrhein-Westfalen sind laut Gemeindeordnung (§26) die Initiatoren eines Bürgerbegehrens verpflichtet, einen KDV vorzulegen. Ein KDV ermittelt die zusätzlichen Ausgaben bzw. Mindereinnahmen, die auf eine Kommune zukommen, wenn ein Bürgerbegehren erfolgreich wäre. Außer in Bayern und Hamburg ist in allen Bundesländern ein KDV dann Vorschrift, wenn ein Bürgerbegehren sich auf den Haushalt einer Gemeinde auswirkt.
Ein KDV muss die Anschaffungs-, Herstellungs, aber auch die Folgekosten eines von einem Bürgerentscheid betroffenen Projekts aufführen. Besonders brenzlig wird es für die Initiatoren eines Bürgerbegehrens dann, wenn sich eine Kommune in der Haushaltssicherung befindet, also nicht eigenständig über ihre Finanzen bestimmen darf.

Reformpläne der Landesregierung

Die rot-grüne Minderheitsregierung in Düsseldorf hat die Demokratiebarriere erkannt. In ihrem Koalitionsvereinbarung heißt es: „Wir wollen mehr direkte Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger in unseren Städten und Gemeinden erreichen. Orientiert am bayrischen Modell werden wir deshalb die Hürden bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden senken und die Ausschlüsse einschränken. Durch eine Modifizierung des KDVs werden wir eine Unzulässigkeit aus diesem Grunde in Zukunft vermeiden.“

Mittlerweile hat die Landesregierung einen Referentenentwurf für ein neues Gesetz ausgearbeitet. Noch ist offen, wann er in den Landtag eingebracht wird. Er dokumentiert unter anderem die Absicht, die Bürgerinnen und Bürger von der Bürde des KDVs zu befreien. Für die Kostenermittlung sollen, so teilte ein Fraktionssprecher iley mit, künftig die Kommunalverwaltungen zuständig sein. Weiter soll der Deckungsvorschlag dazu dienen „die Information der Bürger über die Kosten der Maßnahme als wesentliches Entscheidungskriterium (bei einem Bürgerentscheid, Anm. d. Verf.) sicherzustellen“, heißt es in dem Entwurf.

Verantwortlich für die Erstellung des KDVs soll nicht mehr wie früher eine Bürgerinitiative sein, sondern die Stadtverwaltung. Dafür soll ein „Anzeigeverfahren“ sorgen, welches die Kommunalverwaltungen in NRW verpflichtet, „unverzüglich eine plausible und summarische Kostenschätzung zu erstellen“ und an die Bürgerinitiative weiterzureichen. Gleichzeitig würde eine Bürgerinitiative dazu angehalten, einem Bürger vor der Leistung einer Unterschrift die Kostenschätzung „zur Kenntnis zu geben“. Es bleibt zu hoffen, dass sich das positiv in der Demokratiebilanz Nordrhein-Westfalens niederschlagen wird.
   





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