Bürger entscheiden – und wer trägt die Konsequenzen?
WIRTSCHAFT | LEIPZIGER ALLERLEI (15.03.2008)
Von Ronald Hild | |
Am 27. Januar dieses Jahres gab es in Leipzig den ersten Bürgerentscheid in der Geschichte der Messestadt. Exakt 416.072 Leipziger waren zum Votum darüber aufgerufen, ob wichtige kommunale Firmen wie die Stadtwerke auch weiter hundertprozentig im städtischen Besitz bleiben sollen. Das Ergebnis der Abstimmung war bereits am Abend bekannt gegeben worden. Die Konsequenzen des Entscheids und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen werden aber in der Stadt und bei den Menschen in Leipzig noch eine lange Zeit nachwirken. Hintergrund Der Bürgerentscheid in Leipzig war schon Wochen vor der Abstimmung eines der zentralen Gesprächsthemen in der sächsischen Metropole. SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung hatte geplant 49,9 Prozent der sich in kommunaler Hand befindlichen Stadtwerke an den französischen Anbieter Gaz de France zu verkaufen. Das Angebot der Franzosen belief sich auf 520 Millionen Euro. Geld, das nach den Plänen Jungs zur Schuldenreduzierung, aber auch für Investitionen in Kindertagesstätten, Schulen und Straßen verwendet werden sollte. Vor allem die sich aus der Verschuldung ergebenden jährlichen Zinszahlung von 40 Millionen Euro hätten auf diese Art zwar nicht gänzlich abgebaut aber doch beschränkt werden können. 170.621 stimmten mit "JA". (c) Bürgerbegehren Leipzig Gegen die Pläne des Oberbürgermeisters formierte sich jedoch Widerstand. Nicht nur im Stadtrat wurde der geplante Verkauf kontrovers diskutiert, auch unter Leipziger Bürgern gab es Widerspruch. Unter dem Namen „Stoppt den Ausverkauf unserer Stadt“ konstituierte sich eine Bürgerinitiative, welche die Auffassung vertritt, „dass die Leipziger Bürgerinnen und Bürger die Entscheidung über die Veräußerung des kommunalen - und damit auch ihres - Eigentums selbst treffen sollten.“ [1] Die dafür aufgeführten Gründe sind verschieden: Zum einen, dass die „Unterwerfung von notwendigen Einrichtungen der Daseinsvorsorge unserer Stadt unter private Gewinninteressen“ nicht im Interesse der Leipziger Bürger sein könne. Zum anderen war die Initiative der Meinung, dass nicht alle anderen Möglichkeiten ausgelotet worden seien. Die Bürgerinitiative erreichte, dass die Bürger Leipzigs über den geplanten Verkauf der Stadtwerke abstimmen sollten. Die Frage, die mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten sein würde, lautete: „Sind Sie dafür, dass die kommunalen Unternehmen und Betriebe der Stadt Leipzig, die der Daseinsvorsorge dienen, weiterhin zu 100% in kommunalem Eigentum verbleiben?“ Der Entscheid blieb also nicht auf die Stadtwerke beschränkt, sondern wurde auf kommunale Betriebe im Allgemeinen erweitert. In der Folge brach eine regelrechte Werbekampagne über die Messestädter herein. Auf Plakaten wurden Prominente aber auch „einfache“ Bürger gezeigt, die sich für den Verbleib der Betriebe in kommunaler Hand aussprachen. Werbung für den anteiligen Verkauf gab es auf der Gegenseite nicht. Lediglich im Lokalteil der Leipziger Volkszeitung wurden die Beweggründe für den Verkauf erläutert. Der Bürgerentscheid und seine Konsequenzen Insgesamt nahmen 170.621 Leipziger Bürger, das entspricht etwa 41 Prozent der Wahlberechtigten, den Aufruf zum Bürgerentscheid am 27. Januar an. Mit etwa 87,4 Prozent sprachen sich die Leipziger deutlich gegen den Verkauf aus. Während Mike Nagler, einer der Initiatoren des Bürgerentscheids das Ergebnis als einen „Sieg für die Demokratie“ bezeichnete, zeigte sich Oberbürgermeister Jung enttäuscht über den Bürgerentscheid. „Ich bedaure das Ergebnis“, sagte Jung und kündigte gleichzeitig an, dass alle Ausgaben des städtischen Haushalts auf den Prüfstand gestellt werden müssten. „Wir werden jetzt sehr heftig rudern müssen.“ Auf die Frage, welche Folgen der Entscheid für die Stadt hätte, antwortete Jung: „Ganz konkret bedeutet das für 2008, dass ein neues Defizit von 20 Millionen Euro entsteht.“[2]. Der Bürgerentscheid in Leipzig war nicht nur auf den aktuellen Anlass, den geplanten Verkauf der Stadtwerke, beschränkt geblieben, sondern war zu einer grundsätzlichen Entscheidung über die Veräußerung von kommunalen Betrieben geworden. Die Leipziger Bürger hatten ein deutliches Votum gegeben, dass innerhalb der nächsten drei Jahre keines der kommunalen Unternehmen verkauft werden darf. Nun ließe sich argumentieren, dass der Souverän, das Volk entschieden habe und damit den Politikern die Tendenz ihrer Entscheidungsfindungen aufgezeigt hat. Der Bürgerentscheid gleichsam als Beleg für das Potential und die Möglichkeiten für direkte Demokratie. Diese Argumentation würde aber dem komplexen politischen System nicht gerecht werden. Das Haushaltsdefizit in der Stadtkasse, das laut Burghard Jung zusätzlich entstanden war, muss zwangsläufig durch Einsparungen oder durch Steuererhöhungen ausgeglichen werden. Das Votum der Bürger zwang dem Stadtrat nicht nur die Verpflichtung auf, den Stadtetat zu überarbeiten, sondern beschränkte durch die prinzipielle Ablehnung von Verkäufen kommunaler Betriebe die Stadt gleichzeitig auch in ihrer finanzpolitischen Flexibilität. In den folgenden Monaten und Jahren wird sich deshalb zeigen, welche Folgen der Bürgerentscheid für die Leipziger bringt. In den Tagen nach dem Entscheid begann sich jedenfalls schon Ernüchterung breit zu machen, als die Messestädter erkannten, dass die finanzielle Belastung der Stadtkasse zwangsläufig auf sie zurückfallen wird. Erkenntnisse, die vor dem Entscheid nicht berücksichtigt wurden oder ignoriert werden wollten. -------------------------------------- [1] http://www.buergerbegehren-leipzig.de [2] Vgl. Leipziger Volkszeitung (LVZ), 28. Januar |