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Gedanken zu einer atomfreien Zeit
WIRTSCHAFT | NACH FUKUSHIMA (22.03.2011)
Von Boje Maaßen
Nach Fukushima geht es nicht mehr um das "Ob", sondern um das "Wie". Gegen die Atomenergie zu sein, ist notwendig, aber nicht hinreichend. Es müssen Wege aufgezeigt werden, wie der riesige weltweite Energiebedarf verkleinert werden kann.

Wikipedia

Das südhessische Atomkraftwerk Biblis A ist seit dem 18. März für drei Monate vom Netz. Wie kommen wir ohne den dort produzierten Strom klar? Können wir ganz drauf verzichten? (c) Wikipedia

Nach dem Physiker Hans-Peter Dürr entsprechen die Energieumsätze um das Jahr 2003 weltweit der Einwirkung von 130 Milliarden Energiesklaven, wobei vier Energiesklaven die physische Arbeit eines Pferdes (PS) zwölf Stunden am Tag ohne Pausen leisten. Ein US-Amerikaner beschäftigt hundertzehn, ein Europäer sechzig, ein Chinese acht und ein Bangladeschi weniger als einen Energiesklaven für sich, wobei sich diese Zahlen seit jener Zeit wiederum nach oben verschoben haben. Dürr bemerkt zu den notwendigen Veränderungen, dass sie trotz alledem kein steinzeitartiges Leben verlangten oder dass wir künftig nicht in "Schutt und Asche" vegetieren müssten, sondern bei heutiger Technik für alle wenigstens den Lebensstandard eines Schweizers von 1969 ermöglichen, was dem Einsatz von fünfzehn Energiesklaven entspricht.

Das Nahe statt das Ferne

Dieser in etwa anzustrebende Wert im Energieverbrauch ist nur durch eine Änderung des gegenwärtig vorherrschenden individuellen und kollektiven Lebensstils zu erreichen. Der bisherige Lebensstil, der auf Bedürfnisse und Prinzipien wie Bequemlichkeit, Schnelligkeit, Fernreisen, Vergrößerung des Warenkorbs und Billigkeit ausgerichtet ist, muss durch Sparsamkeit, Nachhaltigkeit, Intensität der sozialen Beziehungen und Naturbegegnungen, regionales Handeln, Bildung relativiert werden: Geistig-seelisch statt materielle Ausrichtung, Eigenbewegung statt Fremdbewegung, das Nahe statt das Ferne. Die Erhaltung der Erde hat Vorrang vor Wirtschaft. Das gilt allerdings nur, wenn es um Bedürfnisse geht, die nicht der Selbsterhaltung dienen.

Alternative Technologien, Effizienzsteigerung, kollektives und individuelles Sparen und Selbstversorgung wären Kandidaten für Maßnahmen zur Reduzierung des Energiebedarfs. Dazu einige Anmerkungen und Bewertungen:

- Die Entwicklung und Realisierung der Alternativen Technologien sind auf dem richtigen Wege, in ihnen steckt aber ein größeres Potential.
- Die Effizienzsteigerung im kollektiven und individuellen Gebrauch ist trotz einiger isolierter Erfolge insgesamt noch unbefriedigend. Das liegt nicht nur in Nachlässigkeit und Bequemlichkeit begründet, sondern oft auch in Unwissenheit bzw. Fehlen der notwendigen Voraussetzungen.
- Gleiches gilt für Einsparungen in den vier Bereichen Wärme, Beleuchtung, Verkehr und Produktion. In der Produktion sehe ich großes Potential in der Beschränkung auf sinnvolle Produkte, nicht so sehr im Produktionsprozess selbst, wenn es um die Ersetzung von körperlich schwerer und geistig stupider Arbeit geht.
- Die Selbstversorgung ist praktisch zum Erliegen gekommen: Schrebergartenkolonien, Gärten oder Obstbäume an öffentlichen Wegen sind Belege dafür. Die Schönheit des Erntens ist keine Realerfahrung mehr, und die vielfältigen Ideen der ökologischen Bewegung um 1980 sind nicht mehr existent.

Ökologischer Churchill

Die Umstellung von energieaufwendigen zu ernergiesparsamen Lebensstilen wird gesellschaftlich und individuell große Probleme und Aufgaben nach sich ziehen. Die Folgen für Wirtschaft, für Arbeitsplätze, für soziale Sicherungssysteme sind unübersehbar. Hier haben Schönrednereien keinen Platz, sondern es bedarf des schonungslosen Muts eines "ökologischen Churchills". Ich denke aber, dass die Zukunftssicherung der Erde und der nachfolgenden Generationen nicht Schmerzen, sondern materieller Einschränkungen bedarf. Das ist ein großer Unterschied, zumal diese Einschränkungen teilweise auch ein Mehr an Lebensqualität mit sich bringen.

Da in jeder alternativen Bewegung Änderungen und damit unter Umständen Zwang verlangt werden bis hin zur Gefahr einer ökologischen Diktatur, gilt es, den notwendigen Zwang soweit wie möglich einzuschränken und mit vielen Freiheitsgraden auszustatten: In welchem Feld oder in welchem "Mix" Energieeinsparungen realisiert werden, sollte von jedem Kollektiv und Individuum autonom entschieden werden. Hilfreich könnte sein, eine negative Hierarchie seines Energieverbrauchs aufzustellen, die mit den energiegestützten Aktivitäten beginnt, die man entweder gar nicht in Anspruch nimmt oder auf die man leicht verzichten könnte. Am Ende ständen schmerzhafte Verzichte, die noch gerade oberhalb der Selbsterhaltung enden.

Meine Liste könnte wie folgt aussehen: Verzicht auf Motorensport zu Land, Wasser und Luft in jeglicher Art, Hallenbäder, exotische Früchte, Fernreisen, Fernsehapparat insbesondere mit großflächigen Mattscheiben, Auto, Geschirrspüler. Schwieriger wäre schon der Verzicht auf das tägliche Duschen, auf Zugfahrten und Internetnutzung. Das ist meine Liste, die meines Freundes sieht schon anders aus, denn jeder muss selbst entscheiden, wo sie oder er Energie sparen wird.
   








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