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'Die Schweiz soll ein klares Zeichen für Meinungsfreiheit setzen'
POLITIK | INTERVIEW über WikiLeaks (17.12.2010)
Von Michael Billig
Die Piratenparteien Europas unterstützen aktiv WikiLeaks. Sind sie der politische Arm der Enthüllungsplattform? iley hat bei Denis Simonet, dem Chef der Schweizer Piraten, nachgefragt. Er hat WikiLeaks-Gründer Julian Assange vor anderthalb Monaten in Genf getroffen und fordert seither politisches Asyl für ihn.

privat

Schweizer Piratenchef: Denis Simonet. (c) privat

Herr Simonet, Sie sorgen dafür, dass WikiLeaks weiter im Netz erreichbar ist. Wie machen Sie das?

Denis Simonet: Vor sechs Monaten haben wir im Vorstand der Piratenpartei Schweiz beschlossen, wikileaks.ch zu registrieren und als Weiterleitung auf die Wikileaks-Server einzurichten. Diese Weiterleitung funktioniert auch schon seit damals. Eigentlich ist es nur eine Art Vermittlungsdienst.

Sie stellen keine Server bereit?

Simonet: Nein, wir hosten keinen Content. Denn wir verstehen uns nicht als Aktivistengruppe. Wir wollen unsere Ziele auf dem politischen Weg erreichen. Und das beinhaltet das Aufzeigen von Problemen, Diskussionen und Gesetzesänderungen.

Sind Sie also so etwas wie der politische Arm von WikiLeaks?

Simonet: Nein, wir sind kein Teil von WikiLeaks. Es gibt eine Überschneidung unserer Interessen, weshalb wir das Projekt ideologisch unterstützen. Deshalb auch die Weiterleitung: Wir wollen damit zeigen, dass Whistleblowing-Plattformen heute wichtig sind. Grundsätzlich geht es uns aber um eine umsichtige Digitalpolitik. Außer uns verschlafen alle Parteien dieses extrem wichtige Thema. Ich wünsche mir öffentliche Diskussionen um digitalpolitische Themen genauso sorgfältig, wie wir sie bei der Ausländer-, Sozial- oder Umweltpolitik führen.

Sie haben Julian Assange Anfang November in Genf getroffen und mit ihm Pizza gegessen. Wie kam es zu diesem Treffen?

Simonet: Wir hatten beschlossen, das Asylgesuch von Assange in der Schweiz zu unterstützen. Daher suchte ich den Kontakt zu ihm. Nach ein paar Tagen und über diverse Personen gelang es dann, das Treffen zu vereinbaren.

Wie war es?

Simonet: Es ging um seine Medienkonferenz, wo er seine Überlegungen zur Beantragung von politischem Asyl in der Schweiz kund tat. Wir haben ihm erklärt, wie die Schweiz funktioniert und dass sie eine gut funktionierende Demokratie hat und für eine starke Medienfreiheit steht. Das hat kürzlich das Bundesgericht wieder bestätigt, als es den Quellenschutz für Online-Kommentare auf Medienplattformen gelten ließ. In einem offenen Brief fordern wir den Bundesrat auf, das Asylgesuch aus digitalpolitischen Gründen zu prüfen. Dieses Anliegen unterstützen mittlerweile auch bekannte Schweizer Politiker, darunter auch drei Nationalräte.

Ihr Treffen fand wenige Wochen vor Veröffentlichung der US-Depeschen statt. Wie hat Assange auf Sie gewirkt?

Simonet: Ruhig und überlegt, aber natürlich auch vorsichtig. Er hat uns aber nichts über diese Veröffentlichung verraten.

Der deutscher Ex-WikiLeaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg kritisiert, dass die Person Assange zu stark im Vordergrund stehe. Inhalte gerieten in den Hintergrund. Gibt Ihnen das zu denken?

Simonet: Grundsätzlich geht es bei Whistleblowing ja nicht um Personen sondern um Informationen. Von daher wäre es schon besser, wenn eher über digitalpolitische Aspekte der Informationsgesellschaft berichtet würde als über eine einzelne Person.

Es gibt auch Kritik daran, dass WikiLeaks Dokumente nur schrittweise der Öffentlichkeit zugänglich macht und einige Medien vorab exklusiv bedient. Sehen Sie darin auch ein Problem?

Simonet: Da die Piratenpartei viel Wert auf unser Grundrecht auf Privatsphäre legt, ist es in Ordnung, dass sie sich Zeit nehmen, die Depeschen auf Verletzung derselben zu überprüfen. Es dauert sicher sehr lange, 250.000 Depeschen zu sichten.

Denken Sie wirklich, dass dies der Grund für die schrittweise Veröffentlichung ist?

Simonet: Das müsste man wohl WikiLeaks fragen. Es gilt immer abzuwägen zwischen Transparenz des Staatswesens und Privatsphäre von Privatpersonen.

Domscheit-Berg will nun eine alternative Whistleblower-Plattform Openleaks gründen. Was halten Sie davon?

Simonet: Da wir Whistleblowing-Plattformen in der heutigen Zeit als notwendig erachten, ist das natürlich eine gute Sache. Ob die Art von Openleaks besser oder schlechter als die von WikiLeaks ist, kann ich nicht beurteilen.

Doch selbst die Piraten sagen: Es gibt Dinge, die sollten geheim bleiben.

Simonet: Das ist eine der digitalpolitischen Fragen. Es gibt bestimmt Situationen, wo Informationen vorerst zurückgehalten werden müssen. Die Frage ist eher, wie lange.

Besteht nicht die Gefahr, dass Menschen einander denunzieren oder sogar gefälschte Dokumente ins Netz stellen?

Simonet: Das kann schon passieren. Man sollte einen Plausibilitätscheck machen. Das gilt aber für das gesamte Internet. Man sollte Informationen kritisch sehen und noch andere Quellen prüfen. Da ist natürlich Medienkompetenz erforderlich.

Vor anderthalb Jahren haben Sie in einem Interview gesagt, dass die Piraten die Schweiz "einnehmen" wollten. Hat sich der Einsatz für Wikileaks dabei als hilfreich erwiesen?

Simonet: Wir haben Prozent Mitglieder gewonnen und ein paar hundert Reaktionen per E-Mail erhalten. Außerdem konnten wir unser Anliegen einer umsichtigen Digitalpolitik plazieren. Ich denke schon, dass das hilfreich war.

Wie sind die Zugriffszahlen auf wikileaks.ch?

Simonet: Wir sind bei ein paar tausend Zugriffen pro Sekunde.

Gab es Probleme, etwa Angriffe von Hackern?

Simonet: Das ist schwierig zu sagen. Vermutlich nicht. Die DNS-Server schnurren jedenfalls seit dem 5. November vor sich hin.

Haben Sie noch Kontakt zu Mitgliedern von WikiLeaks?

Simonet: Nein, das Treffen mit Assange war der einzige Kontakt.

Haben Sie ein Foto von dem Treffen?

Simonet: Nein.

Assange sitzt zurzeit in Großbritannien fest. Steht Ihre Forderung nach politischem Asyl für ihn weiter im Raum?

Simonet: Klar, die Schweiz soll sich international positionieren und ein klares Zeichen für Meinungs- und Pressefreiheit setzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Weiterführende Links
http://www.nzz.ch/nachrichten/blogs/digi...nders_1.8688278.htmlKommentar von Denis Simonet in der Neuen Züricher Zeitung: Transparenz bereichert Demokratien (15.12.10)
http://www.freitag.de/politik/1049-verrat-an-dem-wof-r-wikileaks-stehen-sollteInterview mit Daniel Domscheit-Berg auf freitag,de: Verrat an dem, wofür WikiLeaks stehen sollte (9.12.10)
   






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