Surfen will gelernt sein
GESELLSCHAFT | INTERNET UND SCHULE (15.01.2008)
Von Sarah Khalil | |
Wenn man den Begriff „im Netz surfen“ wörtlich nimmt, dann werden an Deutschlands Schulen derzeit Hunderte Nichtschwimmer auf Surfbretter gestellt und bei Windstärke sechs losgelassen. Wer Glück hat kommt schneller und besser voran denn je. Wer Pech hat, geht unter. Denn Surflehrer gibt es leider nicht. Dieses Bild spiegelt die Situation wieder, in der sich viele deutsche Schulen befinden. Die Technik hat Einzug gehalten, Schüler und Lehrer sollen Internetplattformen und Online-Chats so selbstverständlich nutzen wie traditionelle Lehrbücher. Die neuen Medien stellen hohe Ansprüche an den Nutzer – er muss die Technik beherrschen und sich daran gewöhnen, mehr zu sein als ein passiver Rezipient. Als Folge müssen Lehr- und Lernprozesse umstrukturiert werden. All das trifft auf Schulen mit großen Klassen, veralteter Technik und vielen Lehrern kurz vor der Pensionsgrenze. "Fast keine Schule ist darauf ausgerichtet, mit den heutigen Anforderungen an Lehre klarzukommen", weiß Studiendirektor Gerd Homberg. „Spätestens seit 2004 muss die öffentliche Verwaltung den Gürtel enger schnallen. Hierarchien wurden abgebaut. Lehrer sollen nun mehr Verantwortung übernehmen. Sie sollen steuern statt rudern, sich daran gewöhnen, dass sie im Wettbewerb stehen, statt ein Monopol zu besitzen“, beschreibt er die Lage. Nichts von dem, was Homberg bemerkt, hat die Lehrerschaft gelernt. „Heute endet der Ernst des Lebens nie“ Als Homberg sein Referendariat abgeschlossen hatte, erschienen zwei Dinge sicher: Er glaubte, genug zu können, um den Rest seines Lebens zu unterrichten. Und: Das, was er seinen Schülern beibrachte, sollte reichen, damit sie bis zur Rente kommen. Heute weiß er, dass beide Annahmen falsch waren. Denn der Einzug des Computers hat Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft und damit auch auf Didaktik, Konzeption und Unterrichtstechnik. „Heute beginnt der Ernst des Lebens vor der Schulzeit und endet nie“, beschreibt Homberg die Veränderungen. Es reiche nicht, Schülern nur zu vermitteln, was im Lehrplan steht. Sie brauchen auch Anwendungswissen und Schlüsselqualifikationen. Doch „niemand weiß, was Schlüsselqualifikationen sind“, sagt Homberg nicht ohne Häme. Wenn nicht einmal das Lernziel klar ist, können Lehrer erst recht nicht wissen, wie sie es erreichen können – geschweige denn, ob sie dazu Medien einsetzen sollten, deren Sinn, Funktion und Nutzen ihnen oft unklar ist. So wird der Medieneinsatz oft zu einer bunten Bilderschau, in der zwar viel blinkt, aber nichts rüberkommt. „Sie erinnern sich sicherlich an Stunden, in denen sie sich selbst zurücklehnten, während sie den großen Zampano da vorne machen ließen“, sagt Homberg zu seinen heutigen Studenten. Der Spuk vom E-Learning Gibt es einen Weg aus diesem Dilemma? Der Lehrer und Dozent Homberg glaubt, dass die neuen Medien den Unterricht sinnvoll ergänzen können. Dazu müssten Schulen einen geordneten und geleiteten Transformationsprozess durchlaufen. Erst an dessen Ende können Lehrer wissen, was die Medien können und, wie sie helfen, Lernziele zu erreichen. So können Didaktik, Organisation und Technik auf den Unterricht mit den Medien abgestimmt werden. Eine Voraussetzung dafür ist, dass der Lehrer im Umgang mit den neuen Medien fortgebildet ist. Das kostet Geld und Zeit und erfordert Schulungen, die ihrem Namen gerecht werden, statt schlecht organisierte Seminare von vermeintlichen Experten, die Pädagogen eher vom Besuch abschrecken. „Nur so ausgebildet können Lehrer das E-Learning schätzen lernen und zugleich entzaubern.“ E-Learning heißt, dass ein Wissen zu jeder Zeit an jedem Ort zugänglich ist. Das ist viel, aber kein Wundermittel. Der Nutzen des elektronischen Lehrangebots liegt auf der Hand. So bieten Lernplattformen wie zum Beipiel abitur-online.nrw oder eFit schon jetzt umfangreiches Material, dass auch sehr gut recycelt werden kann. „Das ist auch eine bedeutende Erleichterung für den Lehrer“, betont Homberg, selbst Erfinder der Internetplattform moodle. Denn wenn der Lehrer nicht Stunden damit verbringen muss, alte Aufgaben neu zusammenzustellen, bleibt auch mehr Zeit für individuelle Förderung Das Bereitstellen von Aufgaben ist nur eine von mehreren Formen des E-Learnings. Der Computer kann alle Phasen des Lernens unterstützen. So helfen virtuelle Seminarräume, Online-Tutorien und das Bildungsfernsehen, ein neues Thema kennen zu lernen. Durch online-Simulationen können Schüler testen, ob sie sich den Unterrichtsgegenstand wirklich angeeignet haben. In der vierten Stufe helfen online-Tests, das Gelernte zu bewerten. Und wenn es darum geht, neues Wissen anzuwenden, stehen Video- und Voice-Chats, Foren oder die gute alte E-Mail zur Verfügung. Immer kann der Lehrer den individuellen Lernstand des Schülers überprüfen und sich ihm anpassen. „Medienkompetenz ist derzeit ein Zufallsprodukt" Trotz dieser Möglichkeiten warnt Homberg vor zu viel Euphorie. E-Learning könne die Präsenzschule nie ersetzen. Vielmehr sieht er die Zukunft im "Blended Learning" - einer Mischung aus Präsenzlernen an der Schule und Internetmodulen. Derzeit ist kaum eine Schule mit genug Personal ausgestattet, um "Blended Learning" zu praktizieren. „Da fällt dann ein Lehrer aus und dessen Klasse wird zum Selbstlernen missbraucht, weil sie nicht betreut werden kann.“ Und das wird wohl vorerst so bleiben, denn „Schulen können nicht über ihr Geld verfügen. Man kann dort nicht eine Technik einführen, wie in einem anderen Unternehmen.“ Dort, wo es versucht wird, sind die Folgen für die Gerechtigkeit verheerend. An vermeintlichen Elite-Gymnasien in Wohlstandsvierteln wird die Technik und Fortbildung für den digitalen Unterricht schon jetzt gesponsort. Auf der Strecke bleiben dabei Grund- und Hauptschulen in sozialen Brennpunkten. „Das ist ein Verlust von Chancengleichheit. Die Befürchtung, dass die Ausdifferenzierung des Schulsystems für viele nicht bessere, sondern eine schlechtere Bildung bedeutet, ist berechtigt“, fasst Homberg seine Sorge zusammen. Viele Lehrer sind angesichts dieser Situation motiviert, gegenzusteuern. „Doch sie werden allein gelassen. Und so lautet Hombergs Fazit: „Medienkompetenz ist derzeit ein Zufallsprodukt. Hier sehe ich eine große Gefahr für die Zukunft." |