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Wir sind Weltbürger - ganz einfach
GESELLSCHAFT | IM GESPRÄCH (15.02.2006)
Von Jörg Rostek
Bartholomäus Grill arbeitet für die Wochenzeitung Die Zeit als Korrespondent in Afrika. Seit über 20 Jahren bereist er den Kontinent, sein Büro hat er in Kapstadt. Wir haben mit ihm über seinen Beruf, sein Buch und die Lage in Afrika gesprochen.

Bartholomäus Grill

Der Blick eines Korrespondenten. (c) Bartholomäus Grill


iley: Herr Grill, wie fühlen Sie sich?

Bartholomäus Grill: Gemischte Gefühle, wie immer in Afrika.

iley: Sie kommen gerade aus Rio de Janeiro. Haben Sie Afrika vermisst?

Bartholomäus Grill: Nein, denn vieles von Afrika findet man in Brasilien wieder. In der Geschichte dieses Landes spielen aus Afrika verschleppte Sklaven eine ganz wesentliche Rolle. Sie wurden damals eingesetzt auf den Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen der portugiesischen Kolonialherren. Deswegen hat Brasilien ein ethnisches, kulturelles und religiöses Erbe aus Afrika.

iley: Wie darf man sich den Alltag eines Afrika-Korrespondenten vorstellen?

Bartholomäus Grill: Er sitzt am Schreibtisch und hat vor sich einen Laptop und schreibt die Geschichten auf, die er während seiner Reisen durch Afrika erlebt und recherchiert hat. Mein Berichtsgebiet umfasst ja insgesamt fünfzig Länder, und da gibt es viel zu berichten. Ansonsten sitzt der Korrespondent in seinem Büro, liest, recherchiert, telefoniert, geht mit Informanten zum Mittagessen, besucht das Parlament, fährt in die Townships, spricht mit Ärzten, Sozialarbeitern, Aktivisten. Ein Korrespondent beschäftigt sich mit der gesamten Vielfalt der politischen, sozialen, ökonomischen, kulturellen Wirklichkeit seines Sprengels.

iley: Ihre Arbeit kann auch sehr gefährlich sein. Was passiert denn, nachdem ein Journalist, sagen wir, in Afrika, körperlich misshandelt wurde? Wie kann er sich wehren, an wen, seine Menschenrechtsansprüche richten?

Bartholomäus Grill: Zuallererst wird er versuchen, aus dieser gefährlichen Situation wieder herauszukommen. Denn normalerweise ist er ja allein. Wenn sein Leben bedroht ist, wird er versuchen, die Botschaft, die Heimatredaktion, die Polizei zu erreichen. Im Grunde aber verhält er sich in Afrika nicht anders wie bei einem Überfall in Berlin.

iley: Sprechen wir über ihr Buch, "Ach, Afrika", das im Jahre 2003 erschienen ist. Wie hat es der deutsche Buchhandel aufgenommen, wie hat es die deutsche Bevölkerung aufgenommen?

Bartholomäus Grill: Das Buch ist überraschender Weise ein kleiner Bestseller geworden. Es sind mittlerweile 20.000 Stück verkauft. In Insiderkreisen wird es als eine Art neue Afrika-Fibel bezeichnet. Offenbar habe ich die Ambivalenz der Gefühle, die viele, die sich mit Afrika beschäftigen, befällt, präzise beschrieben. Viele Leserinnen und Leser finden sich offenbar in "Ach, Afrika" wieder.

iley: Wurde das Buch auch in Afrika veröffentlicht?

Bartholomäus Grill: Nein, es gibt leider noch keine englische Ausgabe, obwohl ich mich darum bemühe. Es ist nämlich sehr bedauerlich, dass Afrikaner dieses Buch nicht lesen können.

iley: Wie beurteilen Sie denn die Präsenz afrikanischer Literatur bzw. die Qualität der Literatur über Afrika im deutschen Buchhandel?

Bartholomäus Grill: Da müssen wir unterscheiden. Es gibt eine regelrechte Schwemme von Büchern über Afrika, sie laufen auf einer Schiene, die ich Kuki-Gallmann-Kitsch nennen möchte. Diese Bücher handeln mehr von den Schreibern selber als vom Gegenstand ihrer Beschreibung. Sie haben mehr mit ihren Projektionen, Sehnsüchten und unerfüllten Wünschen zu tun als mit der sozialen Realität Afrikas und der Afrikaner. Dann gibt es eine Reihe seriösen Publikationen, die eher auf dem wissenschaftlichen Feld angesiedelt und für ein Fachpublikum gemacht sind. Sie sind leider meist sehr dröge und trocken geschrieben, so dass sie keine größere Leserschaft erreichen. Und dann gibt es ein paar wenige Bücher, die versuchen, ein realistisches und zugleich emphatisches Bild von diesem Kontinent zu zeichnen. Ryszard Kapu?ciñski, der große Pole, wäre da zu nennen, oder Bruce Chatwin, der Brite. Oder Kollgegen wie Stefan Klein von der Süddeutschen. Aber Bücher aus dieser Liga sind normalerweise keine Bestseller.

iley: Warum sollte man sich überhaupt mit Afrika beschäftigen und nicht lieber, sagen wir, "Big Brother" anschauen?

Bartholomäus Grill: Warum soll man sich mit Amerika beschäftigen? Oder mit Russland? Warum soll man sich überhaupt mit der Welt beschäftigen? Weil man ein Weltbürger ist - ganz einfach.

iley: Wie erklärt man dies einem Menschen, wenn dieser sich nicht damit beschäftigt?

Bartholomäus Grill: Hierauf darf ich mit einem afrikanischen Sprichwort antworten: "Was Süße ist, lernt man im Munde kennen."

iley: Der Filmregisseur Michael Haneke spricht, in diesem Kontext, von einer Verdrängungskultur, die über dem Westen hänge und der Markt würde das kulturelle Gedächtnis auslöschen. Hat er Recht?

Bartholomäus Grill: Nein, er hat nur zu einem bestimmten Teil Recht. Es gibt einerseits diese Verdrängungskultur, aber andererseits haben wir eine Fülle von afro-romantischen Filmen, Texten, Büchern, Artikeln, Kitsch und so fort. Afrika boomt - das Afrika von Tanja Blixen, Corinne Hoffmann oder Stefanie Zweig. Die Verdrängung setzt meist ein, wenn es um die Kolonialgeschichte geht, um unsere unsere eigene schuldhafte Verstrickung. Oder wenn es um Hiobsbotschaften aus Afrika geht. Man will in Europa gar nicht so genau Bescheid wissen über die Hungersnöte, die Kriege, die Seuchen, das Elend. Da hat man seine Klischees und Stereotype. Aber prinzipiell von einer Verdrängung zu sprechen, dass entspricht nicht der Wirklichkeit.

iley: Henning Mankell schrieb in der Zeit-Ausgabe vom 12. Januar 2006, die Berichterstattung in den Massenmedien über Afrika sei geprägt von einer "unvermeidlichen Polarität von arglistigen Lügen und der eifrigen Suche nach der Wahrheit".

Bartholomäus Grill: Das halte ich für arg übertrieben. Mankell hat einen undifferenzierten Rundumschlag gemacht. Er tut damit vielen Kollegen und Afrika-Chronisten unrecht. Mankell verbreitet selber ein Klischee, wenn er einer ganzen Berufsgruppe eine verengte Wahrnehmung unterstellt.

Bartholomäus Grill vor Afrikakarte
iley: Wie greifen die westlichen Industriestaaten gegenwärtig in das Leben der Menschen auf dem afrikanischen Kontinent ein?

Bartholomäus Grill: Na ja, die Industriestaaten selber greifen überhaupt nicht ein, weil sie keine Arme haben. Das Bild stimmt nicht. Sie meinen vermutlich: Welche Auswirkungen haben die Politik und die Wirtschaft der Industriestaaten auf Afrika? Das ist eine sehr komplexe Frage. Zunächst muss man sich die Relationen vor Augen halten. Afrika hat einen Anteil am Welthandel von maximal 1,5 Prozent. Dementsprechend klein ist die ökonomische Bedeutung des Kontinents.

iley: Bei einer Einwohnerzahl von etwas über 800 Millionen Menschen.

Bartholomäus Grill: Ja. Aber wenn man Südafrika wegnimmt sind es noch 750 Millionen, und die haben nicht einmal die Wirtschaftskraft von Belgien oder Finnland! Sehen Sie, was ich meine? Es gibt bestimmte Rohstoffe, bei denen Afrikas Anteil größer ist, beispielsweise bei Öl, Coltan, Uran, Diamanten, Gold. Aber die ressourcenreichen Länder werden in der Regel ausgebeutet und geplünderte von Bergbaukartellen in Zusammenarbeit mit der politischen Elite des entsprechenden Landes.

iley: Glauben Sie, dass die Afrikanische Union daran etwas ändern könnte?

Bartholomäus Grill: Ich bin fest davon überzeugt. Die AU ist auf einem sehr guten Weg. Sie hat sich eine neue Sicherheitsarchitektur verordnet und der Herstellung des Friedens höchste Priorität eingeräumt. Denn solange kein Frieden herrscht, brauchen wir nicht über Entwicklung zu reden. Außerdem hat sich die AU ein ökonomische Erneuerungsprogramm NEPAD gegeben, und dabei ist etwas entscheidend Neues passiert: Zum ersten Mal in der postkolonialen Geschichte Afrikas räumen afrikanische Eliten ein, dass sie selbst verantwortlich sind für die Entwicklung ihres Kontinents.
Die Reform der Afrikanischen Union, also der Übergang von der OAU zur AU, ist ein großer Schritt. Allerdings gibt es manche Skeptiker, die jetzt schon sagen, sie sei zum Scheitern verurteilt. Man muss sie nur daran erinnern, wie lange die Europäische Union gebraucht hat, um zu entstehen und sich zu konsolidieren und welche schweren Rückschläge sie bis heute verkraften muss. Stichwort: die Verfassungsdebatte und die gescheiterten Volksabstimmungen in Frankreich und Holland. Wer drei Jahre nach der AU-Gründung schon prophezeit, das wird eh nichts, den halte ich für ziemlich arrogant. Wir müssen den Afrikanern mehr Zeit geben, wir müssen mehr Geduld haben.

iley: Angenommen in einem afrikanischen Staat ereignet sich ein Genozid, sollte dann jemand von außen eingreifen? Und wenn ja, wer könnte das tun?

Bartholomäus Grill: Diese Frage beantwortet ganz eindeutig die UN-Konvention zur Verhütung des Völkermordes aus dem Jahre 1948. Die Weltgemeinschaft muss eingreifen, wenn ein Genozid stattfindet, egal, ob es sich um ein afrikanisches Land, um Brasilien oder um Deutschland handelt. Diese Konvention ist entstanden unter dem Schock des Holocaust - nie wieder sollte sich ein derartiges Menschheitsverbrechen wiederholen können.
Leider ist es in der Praxis so, dass eben nicht eingegriffen wird. Beispiel Ruanda 1994. Man hat eine Intervention vermieden, indem man das Wort Völkermord vermieden hat. So einfach ist das, so rabulistisch läuft die Geopolitik manchmal ab. Wenn man es nicht Völkermord nennt, dann kann man ja tatenlos zuschauen. Dann handelt es eben um ethnische Unruhen, Stammeskriege oder einen bellum omnium contra omnes, um einen Krieg, in dem jeder gegen jeden kämpft. Und keiner kennt sich mehr aus. In Ruanda war aber schon sehr früh erkennbar, dass ein Völkermord geschieht, man hätte eingreifen müssen, und die afrikanischen Nachbarstaaten hätten die allerersten sein müssen.
Die Tragödie in Ruanda wirft erneut die Frage auf: Was ist ein Völkermord? Wie definiert man ihn? Geschieht in Darfur momentan ein Völkermord oder nicht?

iley: Ist es ein Völkermord?

Bartholomäus Grill: Alle Anzeichen sprechen dafür. Es werden bestimmte ethnische Gruppen systematisch attackiert, ihre Dörfer werden zerstört, die Menschen vertrieben. Wir werden Zeugen von großflächigen "ethnischen Säuberungen". Die Menschenrechtskommissionen, die die Lage genauer untersucht haben, kommen alle zum gleichen Schluss: Es ist ein Völkermord.

iley: Glauben Sie, dass deutsche Soldaten, unter dem Dach der UN, bald im Kongo tätig sein werden?

Bartholomäus Grill: Das halte ich nicht für ausgeschlossen. Es sind ja längst Bundeswehrsoldaten in Afrika im Einsatz, als Militärbeobachter in Darfur oder in Dschibuti, bei der "Operation Enduring Freedom" im Kampf gegen den Terrorismus. Und wenn der UN-Generalsekretär die MONUC im Kongo verstärken will, die größte UN-Militärmission mit derzeit 17.000 Blauhelmen, dann könnte es durchaus sein, dass auch Deutschland gefragt wird. Entschieden wird dann allerdings nach innenpolitischen Maßgaben. Ist der Auslandseinsatz überhaupt durchsetzbar? Wie kann man es den Bürgern verkaufen, dass unsere Bundeswehrsoldaten im Kongo sterben könnten? Das wird dann wieder heftige Diskussionen auslösen.

iley: Der deutsche Verteidigungsminister Jung (CDU) hat sich auch sehr offen dafür ausgesprochen. Eben mit dem Argument Ruanda.

Bartholomäus Grill: Ich kann Minister Jung nur zustimmen. Aber leider gibt es viele Leute, die sagen, um Gottes Willen, das ist ja militärischer Interventionismus oder gar humanitärer Neokolonialismus. So ein Unsinn! Den Kritikern würde im empfehlen, mal die Stadt Bukavu am Kivu-See im Ostkongo zu besuchen, und zwar gerade dann, wenn eine versprengte Rebelleneinheit mordend und brandschatzend über die Stadt herfällt und am Ende tausend Frauen vergewaltigt wurden - weil die Blauhelme durch ein unklares Mandat nicht in der Lage waren, die Stadt zu verteidigen und sich feige zurückgezogen haben. Fragen Sie einmal die vergewaltigten Frauen, was sie von einer militärischen Intervention zu ihrem Schutz halten!

iley: In Nigeria überfallen Afrikaner ausländische Unternehmen, warum?

Bartholomäus Grill: O je, das ist eine lange, komplizierte Geschichte. Die Überfälle finden im ölreichen Niger-Delta statt, dort werden die Mitarbeiter von ausländischen Ölkonzernen gekidnappt. Die Entführer nennen sich gerne Rebellen, die für die Unabhängigkeit ihrer Region kämpfen, weil die eben sehr ressourcenreich ist, und weil die normalen Menschen nichts von diesem Reichtum abkriegen. Alle Öleinnahmen fließen in die Kasse der Zentralregierung in Abuja und in die Taschen der Multis. Und deshalb kämpfen im Niger-Delta diverse Gruppen um ihre Anteile am Ölsegen, wobei allerdings der Übergang von Befreiungskampf-Rhetorik und kriminellem Bandentum fließend ist. Oft handelt es schlicht um brutale Erpressungen, die nichts mit Befreiungskampf zu tun haben, oft stehen Warlords hinter den Aktionen, die sich nur selbst bereichern wollen. Man muss also sehr genau unterscheiden zwischen zivilen und legitimen Widerstandsgruppen und terroristischen Erpresserbanden.

iley: Wie könnte man denn moralisch agierende Unternehmen dazu bringen, in Afrika zu investieren?

Bartholomäus Grill: Unternehmen entscheiden nie nach moralischen Grundsätzen, sondern immer nach ökonomischen. Sie werden nur dann in Afrika investieren, wenn die ökonomischen Rahmenbedingungen investitionsfreundlich sind. Kein Konzern der Welt investiert aus humanitären Erwägungen, das wäre Traumtänzerei. Ein Unternehmen muss auch nach ökonomischen Kriterien entscheiden und nicht nach moralischen. Es kann zum Beispiel nicht sagen: Ich verkaufe meine Produkte nur noch an "gute" Menschen, schlechte Menschen bekommen meine Fernseh-Geräte nicht. Das wäre doch absurd, oder?
Etwas ganz anderes ist es, wenn wir über die Profite reden, die Firmen in Kriegsregionen machen, mit sogenannten Blutdiamanten zum Beispiel. Wenn Profit quasi aus dem Blut und Knochen von Menschen geschlagen wird, dann handelt es sich eindeutig um schwere Menschenrechtsverletztungen. Dann geht es nicht mehr um ökonomische Fragen, sondern um strafrechtliche.

iley: Was passiert gegenwärtig in der Elfenbeinküste? Können sie die Vorgänge dort kurz beschreiben?

Bartholomäus Grill: Das ist viel zu kompliziert, um es mit ein paar Sätzen zu beantworten.

iley: Es scheint nur, dass die Berichterstattung in den deutschen Medien sehr oberflächlich ist.

Bartholomäus Grill: Ja, aber wie sollte ich in einer zweiminütigen Antwort etwas anderes zustande bringen als eine oberflächliche, scherenschnittartige Darstellung der Lage in Côte d'Ivoire? Ich müßte zwei Stunden antworten, um die Oberflächlichkeit der Berichterstattung, die Sie kritisieren, zu überwinden. So aber würde ich sie nur replizieren.
Ich selber war als Berichtserstatter oft genug gezwungen, oberflächliche Antworten auf komplexe Probleme geben zu müssen. Die Wirklichkeit ist einfach immer viel komplexer. Und entscheidend sind ja meistens auch nicht die Fakten, sondern die Vorstellungen, die sich die Menschen von Fakten machen. Wenn in Afrika eine Fähre mit dreihundert Menschen versinkt, ist das eine geringe Todeszahl in der Wahrnehmung der Deutschen. Wenn beim Einsturz einer Eishalle in Bayern 14 Menschen sterben, ist das eine verdammt hohe Zahl, sie sind in der Vorstellung der Menschen viel, viel mehr als die dreihundert toten Afrikaner.

iley: Noch eine konkrete Frage zur Situation dort, in der Elfenbeinküste. Es ist ja so, dass Gbagbo und seine Partei FPI (Front Patriotique Ivorien) sagte, er sei nicht länger gewillt die "Rekolonialisierung unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen" zu unterstützen. Er fordert den Abzug der 7.000 UN-Soldaten. Warum sagt er so was?

Bartholomäus Grill: Präsident Gbagbo ist ein Verbrecher, er ist vollkommen unglaubwürdig. Ich habe ihn vor Jahren interviewt, als er noch Oppositionsführer war, er wollte Côte d\\\'Ivoire in eine blühende Demokratie verwandeln. Stattdessen hat er in einem Bürgerkrieg das Land gespalten. Seine Anhängern schwelgen in chauvinistischen Exzessen. Nun fordert Gbagbo, die Friedenstruppen der Uno müssen raus - als seien sie die Ursache aller Probleme, sie und die furchtbaren Franzosen, die ehemaligen Kolonialherren. Als seien Gewalt und Chaos von außen gesteuert, das ist Hetzpropaganda, mit der der Präsident seine Parteijugend aufwiegelt. Dieser Mann ist vollkommen indiskutabel, er ruiniert sein Land. Er ist ein schlimmer Kriegstreiber, manche Kollegen halten ihn für einen afrikanischen Faschisten.

iley: Jean Ziegler träumte in der Zeit vom 17. November 2005 von der Wiederkehr Babeufs. Ich zitiere: "Ich träume von Babeufs Wiederkehr, weil die Zeiten des Hungers und der Ungleichheit noch nicht vorbei sind." Herr Grill, brauchen wir einen zweiten Babeuf?
Auch gibt es einen Film "Der Marsch", in dem eine afrikanische Menschenmasse aus einem Flüchtlingslager heraus, von einem Afrikaner angeführt, beschließt, in den Norden Afrikas zu ziehen, um dann auf das europäische Festland überzusetzen.

Bartholomäus Grill: Dieser "Marsch" ist längst Realität. Wir haben letztes Jahr in Ceuta und Mellila, den spanischen Enklave in Marokko, gesehen, welche Tragödie sich an den Sperrzäunen der EU abspielte. Tausende von Afrikanern durchqueren unter brutalsten Strapazen die Sahara, um in das gelobte Land zu kommen. Es sind allerdings nicht nur Asylsuchende und politisch Verfolgte, im Gegenteil, sie sind eher in der Minderzahl. Es sind überwiegend Menschen, die nach einem besseren Leben suchen. So besehen gibt es viele kleine Babeufs. Es gibt sie überall in der Dritten Welt, in Mexiko bei den Zapatisten, in Brasilien bei der Landlosenbewegung. Es ist also keine Frage, ob wir die Babeufs brauchen - sie sind längst da.
Auch in Südafrika nimmt der Volksprotest gegen die ANC-Regierung zu. Die Menschen sind zornig, weil das nach dem Ende der Apartheid versprochenene bessere Leben immer noch nicht begonnen hat. Sie marschieren aus ihren Slums zur Stadtverwaltung, zum Bürgermeister, und hauen ihm die Bude kurz und klein. Diese Unruhen oder Brotaufstände gibt es ständig, es wird nur nicht darüber berichtet. Es gibt sie auch in China, wo die Arbeiter gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen rebellieren.

iley: Außerdem schreibt Ziegler noch in diesem Artikel: "Wie könnte ich ohne Tagträume die Unempfindlichkeit und Unverbindlichkeit der Regierungen und meine Erinnerungen an Afrika ertragen?" Herr Grill, wie ertragen Sie ihre Erinnerungen an Afrika?

Bartholomäus Grill: Ich versuche, das Elend und die Gewalt nicht zu überhöhen, sondern ganz pragmatisch zu sehen: Es gibt gewaltige Probleme in Afrika, und man kann die Ursachen benennen. Ich versuche sie zu analysieren und Wege zu finden, wie man die Verhältnisse ändern könnte. Ich frage mich beinahe jeden Tag: Wie kommt man aus dieser Misere heraus? Und da helfen Tagträume recht wenig.

iley: Herr Grill, danke vielmals für dieses Gespräch.
   






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