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Tradition mit Zukunft?
GESELLSCHAFT | HINTERFRAGT (15.10.2007)
Von iley Redaktion
Bis auf die Mitgliederzahlen scheinen studentische Verbindungen kaum dem Wandel der Zeit zu unterliegen. Noch immer besingen sie Frauen als schön und ihnen dienstbar und für viele hört Deutschland an der Oder noch lange nicht auf.

Im Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg in Europa an sein Ende gelangt. Deutschland war besetzt, Hitler hatte sich erschossen und auch die letzten deutschen Truppen auf entlegenen griechischen Inseln hatten den Glauben an den „Endsieg“ verloren. Für die Alliierten stellte sich die Frage, wie der militärische Sieg in mehr als in einen „zwanzigjährigen Waffenstillstand“ (Foch) wie nach 1918 verwandelt werden konnte. Neben der symbolischen Auflösung Preußens wurde ein Programm der „Reeducation“ ausgearbeitet, um den für die Zukunft entscheidenden Krieg um die Köpfe zu gewinnen. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf den Universitäten, den Orten an denen die Eliten des alten und wohl auch des neuen Deutschlands sozialisiert wurden.
Die sich als „unpolitisch“ und nur der verhängnisvollen deutschen Staatsideologie verpflichtet sehenden akademischen Eliten waren im höchsten Grade nationalistisch gesinnt und hatten sich in den Freikorps zuerst mit Waffen der Weimarer Republik verweigert, um dann als Funktionseliten der ersten deutschen Demokratie die Grundlage zu entziehen. Die Verhinderung einer Wiederholung dieser in der Diktatur mündenden Entwicklung hatte für die Westalliierten oberste Priorität. Als erster Schritt wurden jene Organisationen verboten, die für die Alliierten den Boden für die deutsche Aggression bereitet hatten. „All National Socialist organizations in universities are abolished and will not be permitted to be revived. The revival of other student organizations (especially Verbindungen, Burschenschaften and their Altherrenbuende) of a nationalistic, reactionary or para-military character will not be permitted.” [1] Ausdrücklich ging das Verbot über die direkten Organisationen der Partei hinaus und bezog sich auch auf studentische Verbindungen, eine deutsche Besonderheit der Organisationsform.

Annelie Kaufmann

Cartellversammlung in Münster (c) Annelie Kaufmann

Nach 1950 wieder formiert

Doch das Verbot der Alliierten währte nicht lang. Schon bald waren die Deutschen wieder sich selbst überlassen. Belastete Hochschullehrer kehrten an die Universitäten zurück und auch die Verbindungen konnten sich 1950 in der Bundesrepublik wieder formieren. Im Gegensatz zu ihrem gemeinsamen Kampf gegen die Weimarer Republik gab es nun aber große Unterschiede zwischen verschiedenen Strömungen, die sich in ihren Grundzügen bis heute nicht verändert haben. Während „christliche“ Verbindungsformen sich mit dem neuen gesellschaftlichen System arrangierten und sich vor allem der mann-männlichen Protektion widmeten, ist in den fechtenden, den schlagenden Verbindungen, bis heute ein völkisch-nationalistischer Geist zu spüren.
Die im Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ organisierten Verbindungen schlugen so 1987 den „Stellvertreter des Führers“, Rudolf Heß, für den Friedensnobelpreis vor und behaupten bis heute auf ihrer Homepage, dass „keine Abtretung der Ostgebiete stattgefunden hat“ [2]. Bei anderen, nicht rechtsextremen, aber doch rechtskonservativen Verbindungsarten wie den Sängerschaften ist der völkische Nationalismus codierter ausgedrückt und in einen harmloser scheinenden Ethnopluralismus übersetzt. Von den Gefahren „wenn sich die Völker über ein vernünftiges Maß hinaus“ [3] mischen und ein „Bevölkerungsbrei mit all den üblen Begleiterscheinungen, wie man sie von kulturlosen großen Menschenansammlungen kennt“ [4] entsteht, ist so in der Sängerzeitung zu lesen. Die homogene, über die gemeinsame Kultur definierte Volksgemeinschaft wird hier der bloß durch eine gemeinsame Staatsbürgerschaft vereinten Gesellschaft gegenübergestellt. Bei solchen Einstellungen ist es nicht verwunderlich, dass auch einer der NPD-Abgeordneten im sächsischen Landtag, Jürgen Gansel, in einer Burschenschaft organisiert ist.

Konservative Einstellungen zu Frauen

Doch auch in nicht rechtsextremen schlagenden Verbindungen, wie den Corps, die in ihren Reihen auch ein sozialdemokratisches Mitglied des Europaparlaments haben, finden sich vor allem zu Frauen extrem konservative Einstellungen. „Die Hand, die die Wiege bewegt, bewegt die Welt. Unschwer ist zu erkennen, daß damit der Einfluß der Frauen auf das Weltgeschehen gemeint ist“ [5] heißt es so auf deren Homepage in einem besonderem Artikel zum „schönen Geschlecht“. Die Rolle der Frauen wird auf Heim und Herd beschränkt und dies biologistisch gerechtfertigt.
Wichtig für diese Unterteilung in eine Männerwelt der Tat und einen den Frauen vorbehaltenen passiven Lebensbereich ist auch, was einen „wirklichen“ Mann auszeichnet. Einen großen Teil ihres Selbstverständnisses als „echte Männer“ ziehen die Corpsstudenten aus der Tradition des studentischen Fechtens. Nur wer sich dem Kampf mit der blanken Waffe stellt und auch bei einer Verletzung nicht zusammenzuckt, kann ein echter Corpsstudent werden. Für dieses Initiationsritual gibt es einen genauen Regelkatalog, der das Verhalten des Einzelnen reglementiert und Ausdruck über das Selbstverständnis des beim Fechten inszenierten Männerbunds gibt. „Die Anwesenheit von Damen auf dem Paukboden ist nicht erlaubt. Das Mitbringen von Hunden ist verboten“ [6] heißt es so lapidar im Regelwerk der schlagenden Verbindungen in Münster. Frauen und Hunde gehören nicht zum Männerbund und dürfen deshalb nicht an dessen geheimen Riten teilnehmen.

Netzwerke funktionieren weiter

Viele der obigen Charakteristika hätten auch dem Buch „Der Corpsstudent als Idealbild des wilhelminischen Kaiserreiches“ [7] entnommen werden können. Umso erstaunlicher erscheint, dass es studentische Verbindungen so wenig verändert bis ins dritte Jahrtausend geschafft haben. Tatsächlich gab es statt einer inhaltlichen Erneuerung nur einen tiefen Einbruch bei der absoluten und relativen Zahl der Verbindungsstudenten. Nie mehr haben die Verbindungen die Bedeutung im universitären und gesellschaftlichen Leben wiedererlangt, die sie vor den späten 60er Jahren des 20. Jahrhunderts innehatten. Auch wenn viele Netzwerke alter Verbindungsstudenten in Politik und Wirtschaft auch weiterhin funktionieren, bleiben gerade bei den allzu deutlich völkisch-nationalistischen Verbindungen die absoluten Zahlen der Mitglieder recht niedrig. Die neuen, „kritischen“ Generationen von Studierenden ab den 60er Jahren und der sprunghafte Anstieg der Akademikerzahlen durch die Bildungsexpansion haben das Elitenreproduktionsmonopol der Verbindungen zerbrochen.
Doch seit den späten 80er Jahren und der „konservativen Wende“ in der Regierungszeit Kohls haben zumindest die weniger eindeutig rechten Verbindungstypen wieder regeren Zulauf.
Die „christlichen“ Verbindungen, aber auch die schlagenden Corps haben sich gut an die Bedingungen des Erfolgs im Neoliberalismus angepasst. Die immer schon gut an das jeweilige herrschende System angepassten Corps bieten so an einer eigenen „Akademie“ Kurse in den gewünschten „soft-skills“ wie Rhetorik oder Zeitmanagement an, um ihren Mitgliedern zum Erfolg zu verhelfen. Dadurch soll auch weiterhin gewährleistet sein, dass „national gesinnte Menschen in alle führenden Berufe unserer Gesellschaft“ [8] entsandt werden, wie der alte Corpsstudent und ehemalige Innenminister Manfred Kanther einmal schrieb.

Gegenbeschluss

Doch die in den Verbindungen vermittelte Geisteshaltung stößt auch auf Widerstand. Nachdem ein Unvereinbarkeitsbeschluss der Mitgliedschaft in einer studentischen Verbindung und in der SPD am parteiinternen Widerstand gescheitert war, verabschiedete der Dachverband der Verfassten Studierendenschaften (ASten), der fzs, einen Unvereinbarkeitsbeschluss: „Die Grundsätze und die Praxis von Verbindungen widersprechen denen der Geschlechtergerechtigkeit und die Chancengleichheit betreffenden Ziele einer nach demokratischen Grundsätzen organisierten Studierendenvertretung.“ [9] Auch viele lokale Studierendenvertretungen setzen sich mit der Vergangenheit und Gegenwart der studentischen Verbindungen auseinander. Nachdem das Studierendenparlament der Uni Münster eine Streichung der Verbindungen aus der Matrikel der Universität empfohlen hat, arbeiten nun auch der AStA der Uni und der Fachhochschule in Form eines neu erschienenen Readers zu Verbindungen. Die Zukunft wird zeigen, ob es den Verbindungen, die zum Teil auch als Vorbild der neuen Ehemaligenvereine der Hochschulen dienen, gelingen wird, ihre frühere Stellung wiederzuerlangen.


Zusatz: Zur Gründung der Männerbünde

Studentische Verbindungen entstanden als universitäre Männerbünde ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und forderten seitdem einen starken Nationalstaat „deutscher Art“. Was diese „deutsche Art“ bedeutete, zeigte sich schon früh bei einem Fest auf der Wartburg, als sie neben den Büchern jüdischer Autoren und Symbolen der neoabsolutistischen deutschen Kleinstaaten auch den französischen code civil, den Vorläufer des bürgerlichen Gesetzbuches, in die Flammen warfen. Neben einer Ablehnung des französischen Staatsmodells, dass sich statt auf die Herkunft der Bürger auf deren Bekenntnis zur Verfassung setzte, entwickelte sich in den Verbindungen auch weitaus früher als in der Gesamtgesellschaft ein rassistisch begründeter Antisemitismus, zudem bald ein Antisozialismus und ein Antifeminismus hinzukamen. Einzig einige „christliche“ Verbindungen standen dem preußisch-protestantischen Nationalstaat mit einer gewissen Skepsis gegenüber. Spätestens durch das Erleben der „Schützengrabengemeinschaft“ des ersten Weltkriegs und durch die gemeinsame Niederschlagung von Arbeiterunruhen im Ruhrgebiet näherten sich die verschiedenen Verbände aber immer mehr an. Den großen Einfluss auf die Elitenbildung in Deutschland verdanken die Verbindungen ihrer inneren Organisation, vor allem dem so genannten „Lebensbundprinzip“. Die schon im Berufsleben stehenden Verbindungsmitglieder, die alten Herren, protegierten die Jüngeren. Die alten Herren unterstützen ihren Nachwuchs finanziell und halfen entscheidend dabei mit, diesen autoritär-hierarchisch zu prägen und diese Prägung so an die nächste Generation weiterzugeben. Die innere Struktur als hierarchischer Männerbund mit Ritualen wie dem Fechten bei einigen von ihnen, tat ihr übriges, um neue Mitglieder politisch-kulturell zu prägen. (js)

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[1] zitiert nach: Antifa Referat der Uni Freiburg, http://www.u-asta.uni-freiburg.de/engagem....pdf, S. 1, abgerufen am 9.10.2007, 14:30
[2] http://www.burschenschaftliche-gemeinschaft.de/, abgerufen am 8.10.2007, 17:10
[3] Rang, O., Wie deutsch sollte die sein?, in: Zsagar, H. (Hrsg.), Deutsche Sängerschaft. Verbandsorgan der Deutschen Sängerschaft (Weimarer CC), Dormagen 2005, S. 22
[4] Ebd.
[5] http://www.die-corps.de/Frauen_und_Corps....html, abgerufen am 8. Oktober 2007, 12:14
[6] zitiert nach: Setter, J. (Hrsg.), Paukkomments. Eine Materialsammlung, Schriftenreihe der Studentengeschichtlichen Vereinigung des CC, Jever 1986, S. 275
[7] Studier, M., Der Corpsstudent als Idealbild der Wilhelminischen Ära. Untersuchungen zum Zeitgeist 1888 bis 1914, Schernfeld 1990
[8] Oberhessische Presse Marburg, 28.05.1990
[9] http://www.fzs.de/aktuelles/positionen/62...html, abgerufen am 4.10.2007, 12:35
   





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