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GESELLSCHAFT | FLUCHT AUS VIETNAM (15.02.2005)
Von Hartmut Zimmermann
"Der Empfang für uns in Fulda war super." Die Erinnerung von Minh Nha Trang Le stützt sich zuerst auf die Berichte ihrer Eltern und Verwandten. Denn als die junge Frau aus Vietnam nach Osthessen kam, war sie gerade einmal drei Monate alt. Sie war die Jüngste in jener 64 Menschen umfassenden Gruppe von Vietnam-Flüchtlingen, die vor rund 25 Jahren eine erste Bleibe in Fulda fanden.

Beim Lesen in den Archivbänden bestätigt es sich: Die Bevölkerung Osthessens nahm Ende der 70-er Jahre enormen Anteil am Schicksal der Flüchtlinge aus Vietnam. Die Familie Le fand ihre erste Bleibe in der früheren "Isolierstation" des einstigen Städtischen Krankenhauses in der Rangstraße. In das Gebäude zog später der Türkische SV ein, inzwischen wurde es zu Gunsten des Neubaus eines Pflegestifts abgebrochen.

Nha Trang Le trägt die Erinnerung an ihre Herkunft im Namen, denn in Nha Trang, einer heute rund 250000 Einwohner zählenden Stadt auf halbem Weg zwischen Da Nang und Saigon, ist sie geboren. Die Eltern hätten schon 1978 fliehen wollen, aber dann sei ihre Mutter schwanger geworden und die Familie habe daher die Geburt des Kindes abgewartet. Dann ging es bei Nacht und Nebel los: 52 Menschen, rund die Hälfte davon aus der Familie Le, wollten mit einem Boot Richtung Philippinen fliehen. Als auf See Kompass und Wasserpumpe des Schiffs ausfielen, waren alle froh, unbehelligt irgendwie bis Hongkong gekommen zu sein. Deutschland sei - auch wegen des vagen Wissens um die Nazi-Vergangenheit - kein Ziel erster Wahl gewesen, berichtet die junge Frau und fügt hinzu, dass sie heute angesichts der politischen Situation froh sei, nach Deutschland und nicht in die USA gekommen zu sein. Kanada, USA oder Australien seien damals erheblich gefragter gewesen. Doch in dem Übergangslager in Hongkong hätten sich dann Vertreter diverser Botschaften eingefunden und über ihre Länder berichtet. Ein Teil der Verwandtschaft sei schließlich nach Kanada gegangen.

Weil die kleine Nha Trang erkrankte und wegen einer Magen-Darmentzündung ins Krankenhaus musste, teilte sich die Großfamilie. Die Familie Nha Trangs und ihre engere Verwandtschaft entschied sich für Deutschland und kam so in das Flüchtlingswohnheim in Hasselroth bei Hanau. Von dort ging es dann im September 1979 nach Fulda. "Die Menschen waren sehr freundlich und hilfsbereit", erzählt Nha Trang Le. Patenfamilien, zu denen sie noch lange Kontakt gepflegt habe, hätten sich um die Flüchtlinge gekümmert. Wie lange die Familie in der Rangstraße wohnte, weiß Nha Trang Le nicht mehr genau. Ein oder zwei Jahre, länger sicherlich nicht", meint sie. Danach sei die Familie nach Almendorf umgezogen. In dem Petersberger Ortsteil wuchs das Mädchen dann auf: Kindergarten, Schule in der Steinhäuser Wendelinus-Schule. Dann kam der Wechsel zum Gymnasium: 1999 machte Nha Trang Le an der Freiherr-vom-Stein-Schule ihr Abitur. Die Eltern hatten zu jener Zeit das Lokal "Shanghai" in der Petersgasse übernommen. Bis zu diesem Jahr lebte die Familie im Fuldaer Land. Inzwischen sind Nha Trangs Eltern ins rheinische Bad Honnef umgezogen, während die Tochter in Münster Ethnologie studiert. Auch von den anderen Familien aus der Gruppe der 64 Flüchtlinge hat es in den vergangenen Jahren viele in andere Regionen der Bundesrepublik verschlagen. Die Erinnerungen an die Zeit der Flucht sei bei ihren Eltern noch sehr lebendig, berichtet Nha Trang: "Heute wundern sie sich nicht selten, was für ein Risiko sie damals im Alter von 19 und 24 Jahren auf sich genommen haben." Reisen in die vietnamesische Heimat haben die Eltern inzwischen mehrmals unternommen. "Aber sie können sich nicht vorstellen, dauerhaft wieder dorthin zurückzukehren", ist sich Nha Trang sicher. "Sie sind in ganz vielen Bereichen auch von Deutschland geprägt."

Für die Tochter stellt sich diese Frage nicht. "Ich bin eine Deutsche mit dem Privileg, vietnamesischer Herkunft zu sein. Dadurch wird mein Leben um ein Vielfaches bereichert", beschreibt die junge Frau ihr Selbstverständnis. Ihr Kontakt zu Fulda ist nicht abgerissen, denn in der Barockstadt ist ihr Freund zu Hause. Wenn es nach Nha Trang geht, die Reisen als ihr liebstes Hobby nennt, wird auch die Verbindung zu Vietnam nicht verloren gehen: "Nach dem Studium ist mein Ziel, in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit tätig zu werden - am liebsten natürlich in Vietnam."
   




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