Invasion der Barbaren - Für eine stolze Kunst
KULTUR | DEBATTE (15.09.2007)
Von Jörg Rostek | |
"Jedes Kunstwerk stellt sich eines Tages den Menschen. Ein Künstler arbeitet nicht für sich, sondern für das Publikum. Jeder Kunstschaffende stellt sich irgendwann einmal die Frage: Wird es ihm gefallen? ..Aber solange es nicht da ist, ihr Künstler, seid gewarnt. Versucht nicht den Menschen zu geben, was sie wollen, denn sie wissen nicht, was sie wollen. Versucht nicht, ihnen entgegen zu kommen... Sie wissen nicht, wo sie stehen. Ihr verirrt Euch auf der Suche nach ihnen. Seid niemals mit Euch zufrieden. Nur wenn ihr an EUCH die härtesten Anforderungen stellt und gebt, was ihr zu geben vermögt, werden ihr bestehen." (Messala) Das Zitat aus dem Film "Nachtblende" von Andrzej Zulawski behandelt die Konfrontation des Künstlers mit dem Publikum. "Wird es ihm gefallen?" Diese Frage ist bedeutend. Vor allem für junge Künstlerinnen und Künstler, die nach Anerkennung suchen. Aber was tun, wenn das Publikum den Film, das Theaterstück, das Kunstwerk trotz allem Herzblut ablehnt? Eine Möglichkeit wäre ihm ins Gesicht zu spucken, anstatt mit dem Publikum ein Rosen (c) Jörg Rostek "Du sollst nicht lügen!" Betrachten wir die Darstellungsweise eines Regisseurs/einer Regisseurin, Charaktere von ProtagonistInnen in einem Film innerhalb der Handlung dazustellen, stellen wir fest, dass es vollkommen langweilig ist, zu wissen, was als nächstes passiert. Nichts ist uninteressanter als Vorhersehbarkeit in einem Film. In dem Moment, in dem wir die Helden eines Films verstehen, herrscht Stillstand. Außerdem entspricht Durchschaubarkeit nicht der Realität. Menschen sind nicht durchschaubar. Ihre Handlungen sind nicht rational. Die Taten unserer Verwandten, Freundinnen und Freunde, ja der Menschen, die wir lieben bleiben uns unverständlich.Wir wissen nicht, woran wir bei unseren Nächsten sind. Ist meine Frau treu? Hilft mir mein Freund, wenn ich in Not bin? Antworten auf solche Fragen erhalten wir nur selten. Selbst wenn sie handeln, wie wir es erwarten, können wir nie genau erkennen, warum sie es tun. Die Lüge, würde sie immer entdeckt, wäre sinnlos. Hätte sie sich im Laufe der Jahrtausende nicht für das Individuum bewährt, würden die Menschen sie nicht mehr benutzen. "Du sollst nicht lügen" predigen Eltern ihrem Kinde. Sie tun dies, weil sie sich im eigenen Heim nicht unsicher und ausgeliefert fühlen wollen. Aber alle Menschen lügen. Sie können es weil sie frei sind. Wären sie es nicht, hätte die Wahrheit zu sagen, soweit sie den Menschen bewusst ist, keinen Sinn, wäre bedeutungslos. Die Chance zu erkennen Nehmen wir es hin. Nichts und niemand kann uns vor der Lüge schützen. Auch nicht die Kunst. Der Glaube ist kein Netz, das uns vor dem Sturz in die Dunkelheit derartiger Erfahrungen mit der Ungewissheit bewahren kann, denn wir tappen bereits darin. Deshalb sollte man für Filme, die verstören und Fragen offen lassen dankbar sein. Sie zeigen die Welt wie sie ist und nicht wie wir sie uns wünschen. Das Kino ist, genauso wie das Fernsehen, das Theater und die Literatur, die Chance zu erkennen, dass wir nur an der Oberfläche der Welt kratzen. Aber bleiben wir aus aktuellem Anlass bitte beim Kino. Ingmar Bergman und Michaelangelo Antonioni haben das Leben ausgehaucht, sind gestorben. Lieber Leser, liebe Leserin, haben sie einmal eines ihrer Werke erlebt? Wenn nein, fragen Sie sich bitte warum nicht. Wenn ja, fragen Sie sich, weshalb, Filme, die uns zeigt, wie wenig wir mit beiden Beinen auf der Erde stehen, sind erfrischend. "Persona" von Ingmar Bergman und "Blow up" von Michaelangelo Antonioni sind derartige. Aber auch "Nachtblende" von Andrzej Zulawski, "Die Verachtung" von Godard, "Die Stadt der Frauen" von Federico Fellini, "Gosford Park" von Robert Altman, "Rashomon" von Akira Kurosawa, "Leere Häuser" von Kim Ki Duk und "Die Invasion der Barbaren" von Denys Arcand. Welch Glück, dass es solche Filme gibt und wie klein und nichtig wirken dagegen die pompösen Possen der Geldeintreiber, die den Menschen das geben, was sie glauben zu wollen und ihnen eine heile Welt vorgaukeln, so dass sie ihr tristes Leben für Augenblicke verdrängen können. "...und dabei über unsere Naivität lacht." Wir brauchen kritische Filme, kritische Kunst, die uns zeigen, wie das Leben wirklich ist und wie es sein kann. Eine Kunst, die uns nicht beschützt, die kein Mitleid mit uns hat, uns nicht dort abholt woher wir kommen, sondern uns in menschliche Abgründe stößt. Die uns fremde Weltorientierungen vermittelt, uns erkennen lässt, dass Menschen Täter und Opfer zugleich sein können. Die verhindert, dass wir Opfer werden. Die unsere Kritikfähigkeit schult. Die uns zum Handeln zwingt, und dazu bringt unsere Idee zu verwirklichen, so dass wir nicht in uns verharren. Eine Kunst, die sie Struktur von Identitäten offen legt. In uns den Wunsch erzeugt vom Objekt zum Subjekt zu werden, uns moralisch sensibilisiert, so dass wir uns stärker in andere Menschen hineinfühlen können. Eine Kunst, die unsere Erfahrung der Gegenwart steigert und uns gegen Mächte aufstehen lässt, die uns manipulieren. Ein Kino, eine Kunst, die unsere bequeme einschläfernde Ordnung zerkaut und sie uns in voller Verachtung ins Gesicht speit. Auf ihr rumtrampelt und dabei über unsere Naivität lacht. Ein stolzes Kino, eine stolze Kunst. |