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Die Wüste kultivieren ...
KULTUR | KULTUR/...MEDIEN/...KRITIK (15.08.2005)
Von Jörg Rostek
"Kannst du dir vorstellen, dass du in dein Auto steigst, das Radio anmachst und ein Popsender gute Musik spielt? Das wäre wirklich prima, gab Neil zu."

Michael Billig

Eins.., zwei..., drei! (c) Michael Billig


Betrachten wir kurz unsere heimisch-deutsche Kulturindustrie. Wir sehen: Die medial übertragene geistige Vergiftung der Menschheit.

Die Folgen:
Die Verblödung des Einzelnen und die Sexualisierung der Geschlechter verstümmeln die Kreativität und verschmutzen die Wahrnehmung der den Schmutz Aufsaugenden. Schon im Kindesalter findet diese Verschmutzung statt, eine Verstümmelung der kindlichen Unschuld durch Künstler und Produzenten, denen ihre durch Medien erwachsene Verantwortung scheißegal ist. Doch das scheint Kultur uninteressierten Eltern entweder ebenfalls egal oder beinahe schon selbstverständlich, da sie sich selbst von Kindesbeinen an nicht für Kultur interessierten. Sicher, mit der Schule war man mal im Theater oder in irgendeinem Museum, aber dann kam der Job, die Frau/der Mann, die Kinder....

"Ich hab's Vincent schon gesagt, da draußen gibt es bereits tonnenweise tolle Filme und Bands. Die Leute kennen sie nur nicht, weil sie gar nicht danach suchen."

So nimmt das Drama seinen Lauf, sprich: die Negation von Kultur und die Verherrlichung des Materiellen. Die Verbreitung von Kunst ohne Bedeutung. Nicht nur wird nicht beachtet, dass die durch Millionen Euro finanzierte Pervertierung von Bild, Ton und Schrift zur Zementierung stupider Ahnungslosigkeit führt, sondern auch, dass der uns in fast allen Lebenslagen umgebende Schwachsinn als Bürger in selbstverschuldete Unmündigkeit tritt und uns somit eine konstruktive Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen verwehrt. Ja, der Wunsch etwas beizutragen entsteht gar nicht erst. Verantwortungsvolles Handeln, wozu? Solidarität untereinander, wozu? Sich für Politik interessieren, wozu? Beantwortet MTV diese Fragen? Oder BILD? Oder die Privaten? Die Werbestrategen? Nein, natürlich nicht, denn der geistig arme Zustand der Bedürfnisträger lässt sich verstärken, lenken und profitabel gestalten. Und Wahrheit ist schwer zu vermarkten. An der Erbärmlichkeit des Fernsehprogramms wird auch die geplante 4,2 Mrd. Euro schwere Übernahme des Pro Sieben Sat.1 Konzerns durch den Axel Springer Verlag leider nichts ändern, wohl eher wird das Gegenteil der Fall sein und die Qualität wieder Mal auf der Strecke bleiben. Die Konzentration der deutschen Medienwelt wird die Meinungsfreiheit weiter einengen. Wir sollten endlich anfangen unsere Fernseher aus dem Fenster zu werfen. Bereit? Eins.., zwei..., drei!


Vom Herdentrieb geleitete Jugendliche fragen sich nicht, wer was warum geschrieben hat. Sie wissen nicht, dass sie so sind wie sie sind, weil ihre Umwelt so ist wie sie ist. Schon längst sind sie Kunden und konsumieren schreiend nach mehr durch die Kultur-Industrie produziertes und von Konzernen infiltriertes Fließbandgedöns. Leider ist Dummheit ansteckend. So darbt das Originelle. Wenn Idioten für Idioten idiotisches fabrizieren, kann daraus kein Genie entstehen. Engagierte zielgerichtete weltverbessernde Nachwuchskünstler, wo seid ihr? "Kultur kommt von können und nicht von wollen, sonst hieß es ja Wollst", heißt es in einem deutschen Kabarettstück.

Wie könnte man diesen Zustand beenden und wieder große Werke schaffen? Der US-amerikanische Autor Joey Goebel stellt dazu in seinem neuen Roman "Vincent" folgende These auf: Inspiration, Genie und kulturelle Schaffenskraft entspringen durch Leiden. Das klingt logisch, denn:

"Wie sie wissen hat es solche Menschen immer gegeben, verlorene Seelen, die zufällig zu den größten Künstlern aller Zeiten gehörten. Dostojewski, Zola, Keats, Coledrige, Browning, Poe, Dickinson, Toulouse-Lautrec, Rilke, Kafka, Woolf, Joyce, Mann, Lowell, Plath, Robinson, Lardner, Lawrence, Pound, Toole, Berlioz, Beethoven, Schumann, van Gogh, Munch und Rothko sind Namen, die einem sofort dabei einfallen."

Man stelle sich vor, eine Unterhaltungsfirma baue eine Akademie für künstlerisch talentierte Kinder. Dazu hätte jedes Kind einen persönlichen Manager, dessen Aufgabe darin bestünde, dem Klienten tiefstes, die Kreativität förderndes Leid zuzufügen. Die Kunst, die dadurch entstünde, würde dann, nach dem sie veröffentlicht wurde, helfen die Kulturlandschaft nachhaltig zu verbessern und so auch die Gesellschaft als Ganzes. Erdacht und initiiert würde diese Idee von einem der einflussreichsten Medienmogule der Gegenwart, der, schwer an Krebs erkrankt seine bisher produzierten künstlerischen Katastrophen bereut. Leid weniger zum Wohle aller. In Joey Goebels Roman wird diese Fiktion Wirklichkeit.

Vincent ist so ein Kind, sogar das begabteste und deshalb das leidvollste. Denn sein Manager leistet ganze Arbeit. Zusammen versuchen sie "die Wüste zu kultivieren". Was dies für Vincent bedeutet, wird er auf schmerzvolle Weise herausfinden.
Wer kurzzeitig dem Labyrinth des kulturellen Schwachsinns entkommen möchte, wer einigermaßen noch alle Tassen im Schrank hat, oder sie wieder einsammeln möchte, der drehe nicht durch, sondern der lese den neuen intelligent-originellen, humorvollen und kulturkritischen Roman von Joey Goebel: "Vincent". Von leichten literarischen Schwächen einmal abgesehen ein wirklich lesenswertes Buch.

"Vincent" erscheint im September 2005 und wird verlegt von Diogenes.

   



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