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Im Bermuda-Dreieck der Wahlzulassungen
POLITIK | AUFGEFALLEN (23.09.2009)
Von Andi Weiland
29 Parteien sind zur Bundestagswahl zugelassen, einige andere nicht: etwa die Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands oder die Partei Freie Union. Darüber entschieden hat ein so genannter Bundeswahlleiter, der seit dem besonders kritisch beäugt wird.

"Where is my vote, Bundeswahlleiter?" fragen die Mitglieder und Sympathisanten der "PARTEI" auf T-Shirts und im Internet.[1] Denn der Bundeswahlleiter, Roderich Egeler, hatte im August 2009 die Partei von Titanic-Herausgeber Martin Sonneborn nicht zur Bundestagswahl zugelassen. In einer Pressemitteilung [2] begründete er seine Entscheidung damit, dass die "PARTEI" keine Landesverbände vorweisen konnte. "Obwohl sie hierzu verpflichtet ist."
Sonneborn argumentiert dagegen, dass seiner Partei wegen "mangelnder Ernsthaftigkeit", wie es Egeler noch in einer mündlichen Begründung verlauten ließ, die Zulassung aberkannt wurde. Gegen diese Begründung wollte Sonneborn Rechtsmittel einlegen [3].

Wegen einer fehlenden Unterschrift nicht zugelassen

Die "PARTEI" ist nicht die einzige Partei, die nicht zur Wahl antreten darf. Zu den bekanntesten Vertretern zählen unter anderem die Anarchistische Pogo-Partei Deutschland (APPD), die Marxistische-Lenistische Partei Deutschlands (MLPD) sowie die von Gabriele Pauli neugegründete Partei Freie Union (FU). Die FU soll nur wegen einer fehlenden Unterschrift nicht zur Wahl zugelassen worden sein, die eigentlich auch im Nachhinein abgegeben werden konnte.

Der Bundeswahlleiter brachte sich mit den Ablehnungen so sehr in den medialen Mittelpunkt, dass die Frage aufkam, was ein Bundeswahlleiter überhaupt macht und vor allem darf. Laut Eigendefinition auf der Homepage ist
bundeswahlleiter.de

Bundeswahlleiter Roderich Egeler (c) bundeswahlleiter.de

wird der Bundeswahlleiter vom Bundesminister des Innern auf unbestimmte Zeit ernannt. Weiter heißt es:
"Dabei hat es sich wegen der mit diesem Amt verbundenen Aufgaben und seiner technischen Möglichkeiten als vorteilhaft erwiesen, den Präsidenten des Statistischen Bundesamtes zum Bundeswahlleiter zu bestellen."

War die Pogo-Partei zu faul?

Die Behörde wird also von einem Organ der Legislativen ernannt und ist für die ordnungsgemäße Durchführung der Wahlen in Deutschland zuständig. Die Zulassung der Parteien zu Wahlen erfolgt hierbei über eine Kontrolle verschiedener Kriterien, zum Beispiel die Einhaltung der Parteisatzung und die Aktivität. Ein Bundeswahlausschuss beurteilt diese Kriterien.
Der Bundeswahlausschuss setzt sich hierbei aus acht Mitgliedern zusammen, die von den Parteien vorgeschlagen werden. Vorsitzender dieses Ausschusses ist der Bundeswahlleiter. In den Sitzungen können manchen Parteien Nachlässigkeiten im Rechenschaftsbericht die Zulassung kosten. So argumentierte das Ausschussmitglied Johannes Risse (SPD) bei der APPD: "Unter Punkt 6 steht: 'Keiner in der Partei hat mal wieder was gemacht'" [4]. Was vielleicht nur für den Humor der Partei spricht, wurde von dem Ausschuss für bare Münze genommen.

Jede Stimme bringt den Parteien Geld

Für Parteien stellt die Zulassung zur Wahl nicht nur die politische Legitimation sondern auch eine finanzielle Grundlage dar. Demnach bekommen Parteien 85 Cent je Stimme für die ersten vier Millionen Gesamtstimmen [5]. Diese Gelder sind jedoch durch mehrere Regeln eingeschränkt.
Dies führt aber trotzdem dazu, dass basierend auf der letzten Bundestagswahl selbst das Stimmenschlusslicht, die Partei 50plus, mehr als 2.500 Euro erhalten hat und sich somit ein Wahlkampf auf amortisieren lässt. Die NPD bekam sogar mehr als 300.000 Euro Abschlagzahlungen. Als Stimmenspitzenreiter konnte die CDU mit 9,3 Millionen Euro haushalten.

Juristen sehen demokratische Grundwerte gefährdet

Neben der finanziellen Grundlage stellt sich aber die viel wichtigere Frage der Übereinstimmung mit den demokratischen Grundwerten Deutschlands, die eine freie Parteienzulassung vorsieht. So kritisieren auch Rechtswissenschaftler [6], wie der Düsseldorfer Parteienrechtsexperte Martin Morlok, dass die Urteile zu einzelnen Parteien auf einer falschen Annahme getroffen wurden. Problematisch wird es zudem, wenn wie im Fall von der FU wegen einer fehlenden Unterschrift kein Gericht angerufen werden kann: "Das ist rechtsstaatlich nicht hinnehmbar. Im Nachhinein können diese Fehler dazu führen, dass die Wahl wiederholt werden muss" so Morlok. Auf der anderen Seite sieht das Grünenmitglied des Ausschusses Hartmut Geil es weiterhin für notwendig an, dass es das Recht auf Nichtzulassung von Parteien gibt. Jedoch sollten die Kriterien genauer bestimmt sein.

OSZE schickt Wahlbeobachter

Es kommt zu einem Spannungsfeld zwischen der gesetzlichen Entscheidungspflicht des Bundeswahlausschusses und der Demokratischen Wahrnehmung, dass es eine freie Parteienzulassung gibt. Diese Problematik beschäftigt auch erstmal die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) [7], die wegen der Nichtzulassung kleiner Parteien zwölf Wahlbeobachter nach Deutschland schicken.
Zudem versucht Gabriele Pauli vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Urteil des Bundeswahlleiters zu klagen. In beiden Fällen ist jedoch erst mit einem Bericht [8] und einem Urteil nach der Wahl am 27. September zu rechnen. An diesem Tag werden sich also ein paar Wähler fragen: "Where is my party, Bundeswahlleiter?"

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