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Wo der Staat an Grenzen stößt
WIRTSCHAFT | ACTA (30.04.2012)
Von Michael Billig
Martin Schulz genoss in Münster einen ungestörten Auftritt. Vor zwei Monaten demonstrierten auf den Straßen der Universitätsstadt mehr als 1000 Menschen gegen ACTA. Diesmal blieben Proteste aus. Der Präsident des Europäischen Parlaments nutzte die Chance, um klarzumachen, was ihn an dem Abkommen gegen Produktpiraterie stört.

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Martin Schulz (hinten links) gab an der Uni Münster eine etwas spezielle Vorlesung zum Thema Acta. (c) iley.de

Für den Sozialdemokraten Schulz ist das Internet kein rechtsfreier Raum. Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, besser bekannt als ACTA, lehnt er dennoch ab. Er zählte in einem Hörsaal im Schloss in Münster eine Reihe von Gründen für seine Anti-Haltung auf. Deutlich wurde: Ihm geht es in der Debatte um ACTA vor allem darum, das Europäische Parlament zu stärken – gegenüber den EU-Mitgliedsstaaten ("Das ist keine deutsche Debatte.") und gegenüber der Europäischen Kommission, die das Abkommen "hinter verschlossenen Türen" beschlossen habe.
Der Lissabon-Vertrag sehe die Einbeziehung der Parlamentarier vor. "Wichtig ist der offene Dialog", sagte Schulz. Vor wenigen Tagen hat der Präsident höchstselbst mit Facebook-Nutzern zum Thema ACTA gechattet und sich als "Idiot" beschimpfen lassen müssen. Er habe aber auch viele Anregungen und Analysen bekommen, erzählte Schulz.
Nun stand Martin Schulz leibhaftig in Münster. Jura-Studenten, lokale Hochschul- und Polit-Prominenz, Jungsozialisten und Piraten gehörten zu seinem Publikum. Vor ihnen betonte er vorsichtig, aber unmissverständlich, dass der Nationalstaat beim internationalen Schutz des Urheberrechts und im Kampf gegen Produktpiraterie an seine Grenzen stoße. Er müsse um die Kraft der europäischen Gemeinschaft ergänzt werden, so Schulz.
Der Parlamentspräsident formulierte meistens diplomatisch, ja präsidial – solang es um Europa ging. Ging es um China, klangen seine Worte kämpferisch: "Wir müssen unseren technologischen Fortschritt absichern." Es werde Regeln brauchen, an die sich auch Länder wie China halten müssten. Bei ACTA sei das nicht der Fall.
Sein Eintreten fürs Parlament war überzeugend, seine inhaltliche Kritik an ACTA aber faserig. Sie verlief in viele Richtungen. Das Vertragswerk etwa sei unpräzise verfasst, stifte Verwirrrung statt Klarheit. Urheberrechtsverletzungen im Internet aufzudecken sei nicht, wie in ACTA vorgesehen, Sache der Provider. Sie machten sich zu Hilfspolizisten. So viel konnte Schulz gerade noch auf den Punkt bringen. Handelt es sich bei ACTA um einen Angriff auf individuelle Grundrechte? Diese Kritik warf er selbst als leise Frage in den Raum und ließ sie offen stehen.
Wo fängt Urheberrechtsbruch an? Was haben Produktpiraterie, "gefälschte" Medikamente und illegale Musik-Downloads miteinander zu tun? Wie lässt sich der Gesetzesbruch im Netz verfolgen? Der Parlamentspräsident hatte dazu keine konkreten Antworten parat. Er sprach stattdessen von zwei Schulen, die unterschiedliche Standpunkte einnehmen. Hier die einen (die Piraten?), für die Wissen unbegrenzt verfügbar sein soll. Auf der anderen Seite die (Industrie, Verleger, Künstler etc.?), die ihr "geistiges Eigentum" international geschützt sehen wollen. Martin Schulz positionierte sich in Münster irgendwo dazwischen, klare Tendenz zu denen, die Arbeitsplätze und soziale Absicherung schaffen.
   





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