Bundeswehr à la de Maizière
POLITIK | 100 TAGE IM AMT (11.06.2011)
Von Frank Fehlberg | |
100 Tage ist der neue Verteidigungsminister im Amt. Thomas de Maizière führt das Ministerium auf eine sachliche und überlegte Weise. An den Reformplänen zur Bundeswehr hält er fest. Sein Konzept lässt stellenweise den Innenminister durchschimmern. Die Gorch Fock befindet sich wieder in ruhigeren Gewässern. Doch wohin steuert die Bundeswehr? (c) Alexander Hauk / pixelio.de De Maizière räumt im Ministerium auf Das kopflos umher stolpernde Projekt Bundeswehrreform und die personalpolitischen Entscheidungen im Fall "Gorch Fock" hatten zuletzt nahegelegt, dass zu Guttenberg mit seinen Aufgaben überfordert war. Die rasche Aussetzung der Wehrpflicht stellte die Bundeswehr unter enormen Handlungsdruck, die hitzige und zuweilen unüberlegt erscheinende Kurzentschlossenheit des Ressorts verunsicherte zivile Mitarbeiter und Soldaten. Sein verspäteter und wohlinszenierter Rücktritt in der Affäre um seine Doktorarbeit verhalf zu Guttenberg zu Unrecht zum Status des „im Amte unbesiegten“ Staatsmannes, der aus kleinlichen Gründen zu früh seine kolossale Arbeit einstellen musste. Doch weit gefehlt. De Maizière wurde als erfahrener „Macher“ mit den Aufräumarbeiten der Guttenberg’schen Sandkastenspiele betraut und zeigte in den ersten 100 Tagen, wie ein gestandener Staatsmann seinen Posten zu bekleiden hat. Keine BWLer-Pomadenfrisur, kein genüsslich in den Medien zelebrierter familiengeschichtlicher Schmalz, keine schmierig inszenierten Medienauftritte. Der Ersatz des vormaligen Reform-Staatssekretärs Walther Otremba mit seinem Vertrauten aus dem Innenministerium, dem Geheimdienst-Fachmann Klaus-Dieter Fritsche, gelang dem Wahl-Sachsen de Maizière zwar nicht. Dafür holte er sich mit Stéphane Beemelmans einen langjährigen guten Bekannten, der ihn – seit der gemeinsamen Zeit in der sächsischen Politik – auf seinen Positionen auf Bundesebene vielseitig einsatzfähig begleitete. Wehrdienst aus Ehre, nicht für Geld Besuche von Wehrübungen und im Feld waren die große Stärke des medial versierten Vorgängers, auf ihnen beruhte selbst bei nicht wenigen Soldaten sein Ruf als verständiger Mann der Truppe. Der erste Truppenbesuch des „gelernten“ Panzergrenadiers de Maizière Anfang März verlief leiser und nüchterner, aber doch nicht ohne ungewohnte Töne. Die Aussetzung der Wehrpflicht, machte der Neue deutlich, kommt nicht ihrer Abschaffung gleich. Neue Formen der Freiwilligkeit propagierte der Vertreter der Sachlichkeit mit seltsam pathetischen Worten: „Wenn wir glauben, wir könnten junge Leute mit Geld in die Bundeswehr locken, dann halte ich das für falsch und es kämen vielleicht auch die falschen. [...] Der Ehrendienst der Gesellschaft ist etwas, was sich auszahlen muss, nicht in Geld, sondern in Ehre.“ Die von de Maizière angekündigten grundsätzlichen Überlegungen zur Wehrreform mündeten am 18. Mai in ein bei der Bundeswehr traditionell sehr hoch angesiedeltes Grundsatzpapier, die „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ (VPR). Zuletzt hatten Volker Rühe (1992) und Peter Struck (2003) diese strategischen Maßgaben für den Geschäftsbereich ihres Ressorts erlassen, um auf die veränderte Sicherheitslage der Bundesrepublik zu reagieren. Die Bundeswehrreform wird in den Richtlinien de Maizières vor allem als ein Erfordernis der Funktion der deutschen Armee im internationalen Kontext dargestellt. „Die Organisation der Bundeswehr folgt ihrem Auftrag und nicht umgekehrt“, wie der Minister in seiner Regierungserklärung vom 27. Mai zur „Neuausrichtung der Bundeswehr“ nachdrücklich betonte. Die Funktion der Streitkräfte als permanenter Einsatzarmee tritt damit geradezu fahrlässig vor ihre demokratie- wie sicherheitspolitische Legitimation. Bundeswehr als Instrument für alle Fälle? Eine Infragestellung der sicherheitspolitischen Erfordernisse ist bei dem neuen Minister in Hinsicht auf den vorherigen Erlass Peter Strucks kaum erkennbar, eher eine Ausweitung der Sphäre, deren Beeinflussung er der Bundeswehr zutrauen will. Einige Passagen der VPR lassen den kritischen Beobachter die Falten auf die Stirn treten. Er wähnt, die Aussagen eines Innenministers und Geheimdienstkoordinators vor sich zu haben. Der „internationale Terrorismus“ wabert weiterhin als unscharfer Feind über allen Überlegungen, die in diesem Grundsatzpapier der Landesverteidigung in den fragwürdigen Satz münden: „Die traditionelle Unterscheidung von äußerer Sicherheit und öffentlicher Sicherheit im Inneren verliert angesichts der aktuellen Risiken und Bedrohungen mehr und mehr ihre Bedeutung.“ Auch auf die schwierige Abwägung zwischen allgemein wirtschaftlichen und staatspolitischen Zielen des Engagements der Bundeswehr kommt das Papier nur in unzureichender Weise zurück. Die gewünschte Gewährleistung des „freien Welthandels“ geht nicht immer einträchtig mit der mehrfach betonten „Verantwortung für Frieden und Freiheit“ einher. Bundespräsident a.D. Horst Köhler war dereinst für seine Äußerungen zum möglichen militärischen Einsatz für wirtschaftliche Interessen übermäßig angegriffen worden und resigniert zurückgetreten. (iley-Artikel: Köhlers Stop-over in Mazare de Sharif) In den neuen VPR liegt neben dem Schutz des „ungehinderten Welthandels“ auch der „freie Zugang […] zu natürlichen Ressourcen“ im deutschen Sicherheitsinteresse. Es bleibt im Einzelfall abzuschätzen, welche Einsätze ein solch weitreichender Satz ausschließen sollte. Zusammenarbeit mit Wirtschaft und „privaten Einrichtungen“ Eine Vermengung politischer und wirtschaftlicher Interessen deuten die VPR hingegen für das „Beschaffungswesen“ einer gestrafften und weltweit in Divisionsstärke einsatzfähigen Bundeswehr an. Zwar wird der deutschen Wehrindustrie eine „dienende Funktion“ zugewiesen, bei der Materialbeschaffung sei jedoch „marktverfügbaren Lösungen […] Vorrang einzuräumen“. Die daraus folgende Vorgabe lässt erahnen, dass auch die Wehrreform de Maizières kaum neue Ansätze einer demokratietheoretisch sauberen Scheidung zwischen privaten und gesamtstaatlichen Interessen formuliert: „Im Rahmen der bundeswehrinternen Ausbildung und für den Betrieb der Bundeswehr werden Kooperationen mit der Wirtschaft sowie anderen staatlichen Institutionen und privaten Einrichtungen eingegangen.“ „Die Wirtschaft“ kann das neuerliche Bekenntnis zur Auslagerung von Kompetenzen nur ermuntern, haben ihre versierten Vertreter doch längst mehrere Füße in der Tür des Großkunden Bundeswehr. Reservisten - Staatsbürger in Uniform? Während in den VPR der Amtsvorgänger bis 2003 – auf dem Höhepunkt des Kampfes gegen den „internationalen Terror“ – immer wieder betont wurde, wie wichtig die Wehrpflicht gerade aus sicherheitspolitischer Sicht sei, behauptet de Maizière kurzerhand das Gegenteil. Die Betonung der Wehrpflicht als „Klammer“ zwischen Gesellschaft und Armee entfällt. Diese Aufgabe wird hauptsächlich den Reservisten aufgebürdet. Sie werden als die übrig gebliebenen „Staatsbürger in Uniform“ mit der gesellschaftspolitischen Legitimation deutscher Militärpolitik allein gelassen und – wie sollte es bei einer rein funktionalen Definition der neuen Bundeswehr anders sein – auch noch für die Nachwuchsgewinnung eingespannt. Wird die deutsche Armee damit ein „kleines Familienunternehmen“? Zumindest aber hat sie sich als zukünftig „attraktiver Arbeitgeber“ schon einmal eine unschlagbare Rekrutierungsmethode einfallen lassen. Die Schwächen bleiben Thomas de Maizière mag sich weit mehr als Karl-Theodor zu Guttenberg Gedanken über die Bundeswehr und ihre Bedeutung für das demokratische Gemeinwesen gemacht haben. Seine Ehrendienst-Antwort auf die Wehrpflicht-Frage stimmt den Befürworter der Einberufung ein wenig milder und seine „neue Sachlichkeit“ ist größeren Respekts würdig als der niedere Rummel um den Freiherrn. De Maizières Marschrichtung in administrativen und sicherheitspolitischen Belangen aber weist ähnliche fundamentale Schwächen auf. Auch durch die vorrübergehende Zurückhaltung der Bundesregierung in Libyen wird die Entwicklung der Bundeswehr zu einer Kontingentarmee in „internationalen“ Diensten mit scharfem betriebswirtschaftlichem Beigeschmack nicht in Frage gestellt. |