Die Arbeitnehmerarmee
POLITIK | DEUTSCHE STREITKRÄFTE (11.03.2013)
Von Frank Fehlberg | |
Eine dreifache Entfremdung wird dieser Tage bei der Bundeswehr offensichtlich. Sie tut sich zwischen Minister, Truppe und Gesellschaft auf. "Marktkonform" trägt der Zeitgeist seinen Angriff vor - Verteidigungsminister Thomas de Maizière hat bereits kapituliert. Kein Job wie jeder andere: Deutsche Soldaten kontrollieren nördlich von Kundus, Afghanistan, die Straße. (c) Bundeswehr/Bienert Befehl von ganz oben: "Weitermachen" Über diese ignorante Zurechtweisung hinaus bietet das Interview tiefere Einblicke in die Gemütslage des Verteidigungsministers - und in die innere Verfassung der Bundeswehr während ihrer Jahrhundert-Reform. Die Wehrpflicht ist ausgesetzt, die Suche nach Freiwilligen gestaltet sich schwierig und die Führung der Bundeswehr im Stil eines Staatsunternehmens auf Schrumpfungskur schlägt sich im Selbstbild und im Außenbild der dienenden Soldaten nieder. Auslandseinsätze haben längst nicht mehr die mediale Präsenz wie noch vor einem Jahrzehnt. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie im Volk hingenommen werden, ist eher Zeichen von Desinteresse als von (Ein-)Verständnis. Thomas de Maizière verweist auf die Berichterstattung und die vermehrte Reflexion der Auslandseinsätze in den Medien. Aber "Spielfilme, Dokumentationen, sogar Romane" können nicht darüber hinweg täuschen, ja sie sind ein Zeichen dafür, dass das Erleben der Soldaten im Grunde zu weit weg vom Alltag der Gesellschaft ist. Die Folgen sind Mängel im politisch-sozialen Selbstverständnis des einzelnen Soldaten und wachsende blinde Flecken auf der außen- und sicherheitspolitischen Brille der Gesellschaft. Leistet ein Soldat "gute Arbeit"? "Hört einfach auf, dauernd nach Anerkennung zu gieren." - Der Verteidigungsminister besucht Patriotsoldaten in der Türkei. (c) Bundeswehr/ Sebastian Reker Den Soldaten redet der Verteidigungsminister ein, diese erführen Wertschätzung, nähmen diese aber nicht zur Kenntnis. "Vielleicht liegt es daran, dass sie auch unangenehme Dinge tun müssen, wie Menschen bedrohen, verletzen oder gar töten, und denken, dass sie deswegen nicht gemocht werden." Das wäre menschlich verständlich, da die Arbeit des Soldaten "schmutzig" ist, zumindest aber ambivalent, jedenfalls nie per se "gut". Sie fordert dem moralisch Handelnden enorme psychische Stabilität und beherrschte Entscheidungsfähigkeit ab, die er auch aus dem moralischen Gefüge seines zivilen wie militärischen Umfeldes zieht. Wenn er dort als "Freiwilliger" vor allem nach seinem Verdienst beurteilt wird, wie er heute fürchten muss, muss er sich diesem Urteil der Gesellschaft über die "Güte" seiner Arbeit aus Selbstschutz entziehen. Dies hat inzwischen auch die Frau des Ministers festgestellt, die als Schirmherrin der Familienbetreuung der Bundeswehr mit Angehörigen in Kontakt kommt. Aber solange scheinbar unpersönlicher "Drohnenkrieg" und tägliche Gefechte nicht eine noch größere Anzahl der Soldaten betreffen, greift die Mutmaßung de Maizières nur eines von vielen Elementen des Missbehagens in der Bundeswehr heraus. Die tiefere Ursache der Entfremdung Die Entfremdung zwischen Truppe und Gesellschaft hat die tiefere Ursache, dass das "Volksheer" der Demokratie sich heute in Äußerlichkeiten und Innerlichkeiten einer exklusiven Organisation von buchstäblichen "Kriegsdienstleistern", also mithin dem Söldnertum angenähert hat. Die Fernsehspots der Freiwilligen- und Berufsarmee suggerieren ein gut bezahltes und aufregendes Arbeitsleben, Politik und "sterbenswerter Sinn" (Georg Schramm) spielen keine Rolle. Die Bundeswehr hat ein "Karriere"-Portal, auf dem sie "interessante und abwechslungsreiche Aufgaben mit hohen Anforderungen" stellt, nein "bietet". "Dafür bieten wir Ihnen Teamwork, berufliche Qualifizierung und ein attraktives Gehalt." Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr ist dem betriebswirtschaftlichen Zwang unterworfen, am Arbeitsmarkt die tägliche Arbeit als interessante und finanziell lohnenswerte "Herausforderung" darzustellen und damit zu verbrämen. Wer die soldatische Pflichterfüllung vorrangig und mit der entsprechenden Motivation zum Geldverdienen auf sich nimmt bzw. diese Einstellung von seinen Mitmenschen unterstellt bekommt, der trifft in der Gesellschaft auf alle Vorurteile und Wertschätzungen, auf die der Angestellte einer beliebigen Branche auch trifft. Das Angestelltenverhältnis, zu dem das Soldatsein seit Aussetzung der Wehrpflicht mutiert ist, ist das Kernproblem der gesellschaftlichen Stellung der Bundeswehr und ihres öffentlichen Ansehens. Deutsche Soldaten in Afghanistan. - de Maizières: "Soldaten müssen unangenehme Dinge tun." (c) Bundeswehr/Bienert Wehrpolitik nur noch Sache der PR-Arbeit Gemeinsame Erfahrungen prägen sich ein, konstituieren eine Gemeinschaft - positiv wie negativ. Freilich sollte eine Wehrdiensterfahrung im Rechtsstaat positiv wirken, aber dieser Zug ist wohl längst abgefahren. Heute wird die Erfahrung der Kameradschaft und des Füreinandereinstehens quer durch die sozialen Milieus nur noch von den wenigsten bewusst gemacht, die Rückkopplung zwischen Truppe und Gesellschaft ist praktisch nicht mehr vorhanden. Wie der "Vorstandsvorsitzende" des "Unternehmens", wie also de Maizière mit diesem Kontaktverlust zum tatsächlichen "Kunden", der Gesellschaft, die den Militärapparat erst legitimiert, umgeht? Richtig, eine gute PR ist alles: "Die Wahrnehmung der Bundeswehr hat nichts damit zu tun, ob es die Wehrpflicht noch gibt oder nicht, sondern vielmehr mit den Einsätzen und was über sie berichtet wird", so der Verteidigungsminister. Das Prinzip des Staatsbürgers in Uniform ist nur noch das Aushängeschild der Firma, der Inhalt ist der stets gut gelaunte Arbeitnehmer in der Arbeitskleidung des bewaffneten Gutmenschen. Nicht die politische Daseinsberechtigung der Bundeswehr bestimmt ihr Streben, sondern nur noch ihre "Einsätze". Das fortwährende Tun als Selbstzweck - wieder eine Analogie zur kapitalistischen Ethik (nach Max Weber). In ihrer Fortsetzung in den militärischen Handlungsbereich kommt diese Ethik ohne weltweite Konflikte gar nicht aus. Man mag an dieser Stelle lieber nicht weiterdenken. Der neueste Kriegseinsatz: Pakete für die ECOWAS-Truppe in Mali. (c) Bundeswehr Inzwischen wirft man dem Minister die Demütigung der Soldaten vor. Oberst Ulrich Kirsch, Vorsitzender des Deutschen BundeswehrVerbandes, betrachtet die Darstellungen de Maizières über die Aufmerksamkeitsgier der Kameraden als "enttäuschend" und "unangemessen". In der "Bild" ließ er verlauten, die Truppe brauche keinen "Oberlehrer" an ihrer Spitze. Setzte Kirsch an die Stelle der Metapher des "Oberlehrers" diejenige des "Konzernchefs", hätte er es besser getroffen. Zerrüttung zwischen Geld, Gefecht und Gefallenen Manchmal blitzt beim Vorstandsvorsitzenden de Maizière noch die Truppenmoral durch, wenn er das Soldatsein nach der erfolgreichen Anwerbung des Freiwilligen plötzlich nicht mehr als Angestelltenverhältnis erachtet. "Wenn man dann Soldat ist, wird es anders. Denn dann kommt etwas dazu, das altmodisch klingt, es aber nicht ist: Kameradschaft. Das ist etwas anderes als Teamgeist. Dass ein Rekrut, ein Feldwebel und ein General sich zusammen und gemeinsam als Soldaten empfinden, dass auf der Patrouillenfahrt in Afghanistan unter hoher Gefahr formale Dienstgrade praktisch keine Rolle mehr spielen, diese Form von Zusammengehörigkeit gibt es in keinem anderen Beruf." Hier tun sich die Risse auf, die sich zwischen dem eigentlichen Dienst an der Gemeinschaft, dem staatlich verwalteten "Job" zum Geldverdienen sowie der gemeinsamen Gefechts- und Sterbenserfahrung bilden, die, für sich betrachtet, auch Söldner menschlich zusammenschweißt. Diese Risse werden zu Spalten und schließlich zu Abgründen, für das Individuum wie für das Kollektiv, wenn diese drei Elemente weiterhin voneinander wegstreben. Den Dienst an der Nation als "gute alte Zeit" zu bezeichnen und vor allem dringlich auf die Gegenwart bezogen sehen zu wollen, fällt dem Idealisten leicht, dem Pazifisten und dem Betriebswirtschaftler dagegen schwer. Auch von der Bundeswehr bis hin zum Ersatz des Zivildienstes, zum "Bundesfreiwilligendienst", ist das durch Erfahrung gereifte Gefühl der Gemeinschaft nun auf dem Rückzug. Die Wertmaßstäbe haben sich zu Gunsten des Individualismus und der Unternehmensethik verschoben. Das Extrem des nationalistischen Militarismus gilt zu Recht als Schreckensbild - das Extrem des abgeschotteten Söldnertums aber bleibt unterschätzt und bildet einen der vielen Spaltpilze der heutigen Gesellschaft. Die unternehmerische Führung staatlich-demokratischer Institutionen sollte uns in diesen Tagen mehr Angst machen als die allgemeine Pflicht im Sinne des Dienstes an und von einer freiheitlich organisierten Gemeinschaft von Staatsbürgern. |