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Offizier und Erweckungsprediger
KULTUR | PORTRÄT Georg Schramm (11.09.2011)
Von Frank Fehlberg
Georg Schramm ist Offizier der Reserve. Aus dieser lässt sich der Kabarettist jedoch in Paraderollen wie der des zornigen Rentners Lothar Dombrowski nur zu gerne locken. Eine Collage und Deutung seiner bitterernsten Kritik aus der „extremen Mitte“ der Gesellschaft.

WDR

Georg Schramm alias Oberstleutnant Sanftleben (c) WDR

Seine Solo-Programme und Texte sind nicht „belanglos-fröhlich“, seine Bühnenrollen erlauben sich eine Schärfe der gesellschaftspolitischen Kritik, die ohne die kabarettistische Maske mindestens als Populismus, eher aber als Demagogie abgetan würde. Dabei beruft sich der Rationalist Schramm gerade auf die Vernunft, die sich durch Zorn ein Gehör und ihre Wirkung zu verschaffen sucht. Doch ist es nicht Schramm persönlich, der oft grenzwertig mal positiv fordernd, mal ironisch brechend, mal inkorrekt polternd die Ausfallerscheinungen der Gegenwart anprangert. Es sind seine alter ego Lothar Dombrowski, der alte Sozialdemokrat August und der zackige Presseoffizier Oberstleutnant Sanftleben.

Dombrowski als Mann der extremen Mitte

Sie meinen, der Begriff der gesellschaftlichen Mitte schlösse die Entwicklung einer extremistischen politischen Orientierung in eben jener aus? Die „extreme Mitte“ als soziale und politische Unmöglichkeit? Dann kennen Sie Lothar Dombrowski noch nicht. Dombrowski tänzelt leichtfüßig zwischen dem Aufruf zur Revolution und altpreußischer Seligkeit. Das alte Preußen Friedrichs des Großen sei kein National- sondern ein „Rationalstaat“ gewesen. „Preuße sein bedeutet eine Geisteshaltung“, wie Schramm Dombrowski in seinem – wie er verspricht – für immer einzigen Buch seine Grundüberzeugungen skizzieren lässt. Schramm sei im Übrigen nur der Name einer Rolle, die sich Dombrowski seiner Gesellschaftsfähigkeit unter unangenehmen Bevölkerungsgruppen halber zugelegt hat.
Als altpreußischer Konservativer mit eindeutigem Hang zur Apologie des Sozialstaats ist Dombrowski mit keiner der „Volksparteien“ zufrieden. Die historische Herkunft des Sozialstaats ist ihm eine preußische. Das klägliche „Minimum an Staatssozialismus“ der Bismarck-Ära schiebt der zornige alte Mann, der seinen Arm im Zweiten Weltkrieg „beim Russen gelassen“ hat, der damaligen „Lobby des Kapitals“ in die Schuhe. „Damals schon“, setzt er nach. Allerdings sind ihm Parteikonservative und nationale Alleingänger ebenfalls aller Kritik wert, er vermisst Alternativen zur derzeit modischen „Alternativlosigkeit“ im konservativen Lager: „Wo bleibt der große Wurf der Konservativen, ethisch fundiert, meinetwegen auch christlich, Hauptsache fundiert?“

Sozialdemokratische Stammtischfigur: August

Eine weitere Rolle ist diejenige des „Druckers August“. Mit dieser an seinen Vater erinnernden Figur führt uns Schramm die Befindlichkeiten fremdelnder Ur-Sozialdemokraten vor, ohne freilich „falschen Applaus“ von „bräsigen Christdemokraten“ oder „alerten Freidemokraten“ kassieren zu wollen. August ist ein altgedienter hessischer Sozialdemokrat, regelmäßiger Gast des Stammtischs und damit in vielen seinen Äußerungen nicht immer auf der aktuellen Parteilinie. Geschichtsselige SPD-Basisromantik ist die Sache des Genossen – und ein Auge für gegenwärtige Auswüchse des Kapitalismus. Ein lieber Kerl, der die „Wörter von früher“ und die Arbeitskämpfe mit den „Bataillonen“ der Gewerkschaften vermisst.
Die Botschaften des Druckers August sind auf ihre Art natürlich ebenfalls konservativ. Er feiert beschwörend die Sozialromantik an seinem – bald wegrationalisierten – Arbeitsplatz: Sein Chef „is keiner von dene Dreckskapitaliste und dem Gesindel“, sondern ein grundanständiger Doktor, kein „richtiger“, sondern „im Kopf“, „für irgendwas“. Doch diese Zeiten seien vorbei. Heute versteckten sich die „Dreckskapitalisten“ hinter der Wohltätigkeitsmaske der „Rotarier“ und „Lioner“. An deren Wochenmarkt-Ständen träfen sich die Leute, „die sich ihr Lebtag beim Schaffe die Finger net dreckig gemacht habe“. Und wenn August den alten Feind von Angesicht zu Angesicht auf dem Wochenmarkt trifft, neigt er doch schon mal zu klassenkämpferischen Ausfällen: „Wisst ihr, was ich von euch halt? Wenn es euch net gäb, dann bräuchte wir auch kein Stand.“

Schneidiges Weltbild: Oberstleutnant Sanftleben

Schließlich gibt es da noch den Presseoffizier Sanftleben, der die deutsche Sicherheitslage aus allen Perspektiven pointiert analysiert. Nicht selten erhellt er mit seiner straffen militärischen Art nicht nur die äußeren Bedrohungslagen, sondern auch die inneren. Ausgefeilte „Produkte“ der „Finanzindustrie“ stellt Sanftleben mit soldatischer Klarheit als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ dar, gegen welche die „europäische Wehrfähigkeit“ kaum noch etwas ausrichten könnte. „Big Money“, der transnationale Feind im Hinterzimmer, könne sich leider fest auf die ausschließliche „Defensivstrategie“ der Eurozone verlassen, die zwingend zur Kapitulation ihrer Realwirtschaft führen wird. Sanftleben bedauert selbst zutiefst, dass man heute keine Probleme mehr mit einer Panzerdivision lösen kann. Seine ersehnte „Auftragslage“ für die Bundeswehr bei ein paar Flaschen Rotwein im Offizierskasino: die Befreiung der Kaimaninseln vom internationalen Finanzterrorismus. Der ausschlaggebende Vorteil läge auf der Hand – die „Heimatfront“ stände hinter den Soldaten.
So forsch der Oberstleutnant über „Weichzielverluste“ und den Tod als „den denkbaren Abschluss eines soldatischen Arbeitstages“ sinnieren kann, so überzeugend wirkt er, wenn er im Afghanistaneinsatz der Bundeswehr keinen „sterbenswerten Sinn“ mehr erblickt. Unter Einspannung von Clausewitz kann er glaubhaft – kaum mehr kabarettistisch – von der fehlenden „Kultur des Scheiterns“ des westlichen Wertesystems sprechen. Einzig auf diesem Weg könne man schließlich dem Tod der jungen Soldaten am Hindukusch noch einen Sinn verleihen. Ein Soldat müsse den Sinn seines Einsatzes eben immer noch aus anderen Quellen herleiten, als ein „Autoverkäufer“. Demgemäß sei das anwachsende Söldneraufgebot in allen Krisengebieten ein Hindernis für den Entschluss zum Rückzug: diese würden buchstäblich ihren Arbeitsplatz mit der Waffe verteidigen und daher der Einstellung des Kampfes sehr kritisch gegenüberstehen.

Schramm-Dombrowski als Veranstaltungsschreck

In allen Rollen Georg Schramms kehren gewisse Haltungen immer wieder: konservativ, geschichtsselig, hoffnungslos romantisch, auf jeden Fall aber idealistisch und auf dem festen Boden einer vernunftgeleiteten Staatspolitik mit ausgeprägtem sozialen Gewissen. Kaum als Kabarettist, sondern als ätzender und antiharmonischer Bühnenredner störte Schramm alias Wutrentner Dombrowski mit dieser brisanten Ideenmelange mehr als einen Selbstbeweihräucherungsauflauf der Etablierten. Zuletzt nahm er im April den Baden-Württemberger Ehren-Kleinkunstpreis entgegen und stauchte zum Dank das anwesende Politiker-„Gesindel“ der Landes-CDU zusammen. „Zorn ist wichtig für die Gesellschaft“, rechtfertigte Schramm die Entgleisungen seines altpreußischen alter ego.
Manche interpretieren die Tiraden Dombrowskis als „Klassenkampf“, der Rentner als linker Revolutionär. Wäre da nicht seine störende Verehrung von Friedrich dem Großen und dessen „Rationalstaat“, so hätte diese Einschätzung sicher das Meiste für sich. Aber seine weiteren Rollen, die man wohl getrost als Gutteil seiner politischen Weltanschauung ansehen kann, deuten darauf hin, dass wir es bei Schramm schwerlich mit einem linken Radikalen zu tun haben. Nein, mit dem überspitzten Dombrowski und den nicht selten selbstironischen August und Sanftleben spricht Georg Schramm lediglich laut vernehmlich die Interessen der „Mittelschicht“ und des „Prekariats“ aus.

Speerspitze der „Empörten“

Damit vertritt er die sogenannten „Empörten“ (nach Stéphane Hessel), die derzeit von Spanien über Griechenland bis Israel auf die Straßen gehen und die „echte Demokratie“ einfordern. Die „Bewegung“ der Abgehängten, sofern man sie schon so nennen kann, traut den etablierten Parteien nicht über den Weg, da diese eine angemessene Reaktion auf die wirtschaftlichen Fehlentwicklungen aus strukturellen Gründen der Verflechtung schwerlich entwickeln können. Die „Empörten“ sind dort konservativ, wo sie sich für die Erhaltung und Wiederherstellung erprobter Traditionen des demokratisch organisierten Gemeinwesens einsetzen. Und sie sind dort links, wo es gilt, die systematische und zerstörerische Untergrabung des Gemeinwesens durch Einzelinteressen weniger „Global Player“ zu erkennen und zu bekämpfen. Die „Empörten“ sind damit so etwas wie die „extreme Mitte“, die erzürnt einen lebenswerten gesellschaftlichen Normalzustand für die Masse einfordert. Georg Schramm, so viele empörte Bürger er schon in seiner gespaltenen Persönlichkeit vereinigt, ist unzweifelhaft einer ihrer Erweckungsprediger in Deutschland. Hier ist die vereinte Empörung von gefährdeter Mittelschicht und bereits abgehängter Unterschicht noch ein ganzes Stück Arbeit.


Lesetipp
Georg Schramm: “Lassen Sie es mich so sagen...” - Dombrowski deutet die Zeichen der Zeit, 268 Seiten, Verlag Blessing, 2007

Weiterführende Links
http://theaterkontor.de/schramm/tour.htmAktueller Tourplan von Georg Schramm
   



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