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Kabarettist Bölck: Der Wähler sollte auf sein Kreuz festgenagelt werden können
KULTUR | UNTER VIER AUGEN (27.09.2009)
Von Jörg Rostek
Wir haben den Kabarettisten Lothar Bölck, langjähriges Mitglied der "Leipziger Pfeffermühle", gefragt, was er von der repräsentativen Demokratie Deutschlands hält. Er hat spritzige Antworten gegeben.

iley: Herr Bölck, ist die Bundesrepublik Deutschland demokratisch?

Lothar Bölck: Die Frage kann ich mit einem klaren "Jein" beantworten. Deutschland ist eine parlamentarische Demokratie. Die gewählten Volksvertreter vertreten für eine Legislaturperiode das Volk. Vor der Wahl versprechen die Volksvertreter dem Volk, ihm in allen Belangen an die Seite zu treten, um ihm nach der Wahl nach allen Regeln in den Hintern treten zu können.
privat

Lothar Bölck zitiert Goethe: "Politik ist eine Hure." (c) privat

Sie haben sich also nur vertreten. In der Richtung. Wenn man bedenkt, dass die Mehrheit des deutschen Volkes gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist, gegen die EU-Verfassung, gegen das ungerechte Steuersystem und, und, und, dann kommen Zweifel auf, ob man Demokratie mit Volksherrschaft übersetzen kann. Deshalb plädiere ich für direkte Demokratie. Denn wenn wir die gesellschaftlichen Strukturen nicht verändern, werden sich die gesellschaftlichen Veränderungen strukturieren. Kritik an der Demokratie ist Bedingung für die Demokratie.

iley: Wie würden Sie die Frage beantworten, wer in Deutschland die Macht hat?

Bölck: Politiker haben keine Macht, bestenfalls Vollmacht, im Sinne der Macht zu handeln. Wir haben eine Räterepublik. Alle Macht haben die Aufsichtsräte.

iley: Sie machen politisches Kabarett. In ihrer gegenwärtigen Aufführung nehmen sie die deutschen Politiker, maßgeblich die Bundestagsabgeortneten ganz schön aufs Korn. Finden Sie nicht, dass sie ungerecht sind? Halten Sie Politiker wirklich für Volksverräter?

Bölck: Nein, das ist eine satirische Sichtweise. Allerdings, im Sinne, dass sich Politiker am Ende stets selbst verraten, ja.

iley: Woher kommen Ihre politischen Überzeugungen? Aus Ihren Erfahrungen? Und wenn ja, können Sie uns einige davon schildern?

Bölck: Frage: Sie haben vier Kinder und eine Weltanschauung? Ja! Sie sterben mal an Überzeugung. Ich sammle politische Erkenntnisse, in dem ich hinterfrage. Das Wesen erscheint, die Erscheinung ist wesentlich. Wer sich nicht zum Wesen äußern will oder kann, geht ins Detail. Der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Insofern will ich Exorzist sein.
Meine Erfahrungen stammen aus zwei gesellschaftlichen Systemen. Im realen sozialistischen Politbürokratismus hat man uns versprochen: Der Mensch steht im Mittelpunkt! Aber die Funktionäre, wussten, die Mittel haben sie nicht. Im Kapitalismus ist der Mensch Mittel. Punkt. Und jeder soll seine Mittel finden. Eins habe ich gelernt: Egal wo, das Geld regiert in jeder Gesellschaft. Wenn heute nur noch aus Geld Geld gemacht wird, dann sagt klein Lieschen: das weiß se, am Ende bleibt ein großer Haufen Scheine.

iley: Sie sagen in Ihrer Show, dass die Wählerinnen und Wähler nach der Wahl für den Ausgang zur Verantwortung gezogen werden müssen. Haben Sie eine Idee, wie das geschehen könnte?

Bölck: Jeder Bürger sollte verpflichtet werden, auf seinem Wahlschein hinter dem gemachten Kreuz seine Unterschrift zu leisten. Ich denke, in einer Demokratie sollte der Bürger für das, was gewählt hat, hinterher verantwortlich gemacht werden können. Anders gesagt: Er soll auf das Kreuz, das er gemacht hat, später festgenagelt werden können. Eine grauselige Vorstellung: Einmal falsch gewählt und man hängt sein Leben lang in einem bayrischen Klassenzimmer rum. Demokratie muss auch wehtun.

iley: Warum will die SPD nicht mit der Linkspartei koalieren? Wie lange, glauben Sie, kann sie das noch durchhalten?

Bölck: Die SPD sollte sich endlich wieder zu ihren sozialdemokratischen
Grundsätzen bekennen, dann wird sie auch wieder gewählt. Die SPD flattert mit ihren Flügel und vergisst das Fliegen. Viele sagen: Wir trauen der SPD nichts mehr zu! Ich sage das nicht. Ich traue der SPD inzwischen alles zu. Auch eine Koalition mit der Linkspartei. In beiden Parteien gibt es viele Flügel, aber damit können sie noch lange nicht gemeinsam Klavier spielen.

iley: Glauben Sie an eine Fortsetzung der "Großen Koalition"?

Bölck: Ich glaube an den Fortschritt.

iley: Was halten Sie von dem neuen deutschen Einbürgerungstest? Würden Sie ihn bestehen?

Bölck: Ich bin für einen Einmenschungstest. Und den zu bestehen, würde auch mir
nicht leicht fallen.

iley: Warum sind Sie gegen den Afghanistan-Krieg?

Bölck: Ich bin ein militanter Pazifist. Nein, im Ernst. Ich bin gegen jede Art von Krieg. Uns wird weisgemacht: Krieg sei die radikalste Form der Abrüstung. Ich denke, wenn diejenigen, die Krieg wollen, sich persönlich auf dem Schlachtfeld gegenüberstehen müssten, sie würden sich friedlich einigen. Was haben wir in Afghanistan verloren? Am Ende wieder einen Krieg. Nach zwei Weltkriegen hoffe ich, die Menschheit kann nicht bis "Drei" zählen. Der Satz: Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst, ist falsch. Im Krieg sterben Menschen. Ich frage mich immer: Wie können Politiker damit leben, dass auf ihren Befehl Menschen sterben müssen?

iley: Würden Sie einem jungen Menschen raten, in die Politik zu gehen? Was sind Ihrer Meinung nach die Voraussetzungen für einen guten Politiker?

Bölck: Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ein guter Politiker ist. Ich würde jeden jungen Menschen raten, sich für Politik zu interessieren, sich einzubringen und einzumischen. Goethe sagte: Politik ist eine Hure. Würden sie einen Menschen raten, auf den Strich zu gehen?

Herr Bölck, vielen Dank für das Gespräch!
   




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