Jassir Arafat - Versuch einer Beleuchtung
POLITIK | ROTER TEPPICH (15.01.2005)
Von Heinz Kobald | |
Rahman Abdal Rauf Arafat Al-Qudwa Al-Husaini wurde am 27. August 1929 im Gaza-Streifen geboren. Am 11. November 2004 stellte man im Percy-Hospital bei Paris seinen Tod fest. Damit endete die zweite Intifada und Jassir Arafat droht in Vergessenheit zu geraten. Es war Jassir Arafat, der seinen Landsleuten, wenn auch nur zeitweise, die Hoffnung auf jene 22 Prozent Palästinas gab, die den Palästinensern nach dem Nahostkrieg von 1948 noch geblieben waren, einen eigenen Staat zu gründen. Seinen Namen "Jassir" legte er sich zu Beginn seiner militärischen und politischen Laufbahn zu. Sein Kampfname wurde "Abu Ammar". Zu Zeiten des Propheten Mohammed war Jassir Ammar ein siegreicher Feldherr. Den Traum vom Staat Palästina haben Ariel Scharon sowie Arafats Konkurrenz in der Hamas und auch die eigenen Gefolgsleute mit ihren Attentaten gegen israelische Zivilisten für lange Zeit begraben. Jassir Arafat war in einer autokratischen politischen Kultur aufgewachsen. Doch er fühlte sich als Ausgestoßener. Einer Beiruter Zeitung sagte er 1969: "Ich bin ein Flüchtling, denn ich besitze nichts, denn ich wurde von meiner Heimat verbannt, meine Heimat hat man mir weggenommen." Seine frühe politische Prägung wurde durch die Gründung Israels 1948 auf arabischem Territorium und den von ihm schmerzhaft erlebten Verrat der arabischen Staaten bestimmt. Als deren Armeen nach Palästina kamen, um gegen Israel zu kämpfen, forderten sie als erstes die Palästinenser auf, ihre Waffen abzugeben. Arafat kannte sowohl die ägyptischen als auch die syrischen Gefängnisse von innen. Um die politischen Verhältnisse in seiner Heimat zu beeinflussen, gründete Jassir Arafat um 1959 die Palästinensische Kampforganisation Al Fatah. Ihr voller Name lautet "Harakat El-Tahrir El-Falastin" (Bewegung zur Befreiung Palästinas). Ihr bewaffneter Kampf gegen Israel begann ab 1964 vom Libanon aus. An Silvester sollte ein Fatah-Kommando nach Israel eindringen und eine Wasserpumpstation in die Luft sprengen. Doch der Arabische Geheimdienst erfuhr von dem Plan und vereitelte ihn. Die Palästinische Befreiungsorganisation (PLO) hatte kurz zuvor beschlossen, die Interessen der Palästinenser politisch zu vertreten, nicht kriegerisch. Trotzdem setzte die Al Fatah ihre Aktionen fort. Drei Tage nach dem verfehlten Anschlag wagten sich erneut Bewaffnete nach Israel. Diesmal funktionierte aber der Zeitzünder nicht. Erfolglos kehrten die Kämpfer zurück und wurden von jordanischen Grenzern in ein Gefecht verwickelt. Dabei starb ein Fatah-Mann. Den ersten "Märtyrer Palästinas" tötete eine arabische, nicht eine israelische Kugel. Friedensnobelpreis für Arafat Vier Jahre danach wurde die Kampforganisation Al-Fatah in die PLO aufgenommen. Zugleich wählte man Jassir Arafat als neuen Vorsitzenden des Exekutivrates der PLO. Die Position hatte er bis zu seinem Tod inne. Arafat führte Al-Fatah zur stärksten palästinensischen Guerilla-Einheit. Sie kämpfte nicht nur gegen Israel. In Jordanien versuchte sie 1970 vergeblich den jungen Monarchen zu stürzen. 1975 verwickelten sich Al- Fatah und die PLO in den Bürgerkrieg im Libanon. Als 1982 die israelische Armee bis Beirut vorstieß, wurde die Lage für Arafat bedrohlich. Sie war nie ernster gewesen. Die arabischen Staaten wollten den Provokateur außer Reichweite wissen und schafften ihn für zwölf Jahre ins luxuriöse Exil nach Tunis. 1988 erkannte er erstmals den Staat Israel an. Nach dem Golfkrieg 1991 war Jassir Arafat moralisch am Ende. Es war, als ob er schon in ein tiefes Grab gefallen wäre. Das Abkommen von Oslo riss ihn plötzlich wieder ans politische Tageslicht. Die Autonomie-Verwaltung für Gaza und das West-Jordanland wurden geschaffen. Der PLO-Führer durfte nach insgesamt 27 Jahren mit seinen Getreuen nach Palästina zurückkehren. Im August 1993 erklärte sich Israel erstmals bereit, direkte Gespräche mit der PLO zu führen. Es war die endgültige Anerkennung der PLO als politische Vertretung der Palästinenser. Nach den Verhandlungen folgte am 13. September des gleichen Jahres in Washington die Unterzeichnung eines Israelisch-Palästinensischen Abkommens über eine Teilautonomie im Gaza-Streifen und in Jericho im Westjordanland. Der PLO-Zentralrat billigte den Vertrag und ernannte Arafat zum Leiter der geplanten Palästinensischen Nationalbehörde. Das Abkommen wurde als Ende eines Jahrhundertkonfliktes gefeiert. Die Verhandlungspartner Arafat, Rabin und Peres dafür 1994 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Im Jahr darauf einigten sich Arafat und Peres noch auf die Palästinensische Autonomie im Westjordanland. Arafats persönliches Leben war bis auf die Zeit im Exil stets von einem kargen Dasein geprägt. Fragen danach beantwortete er mit den Worten: "Ich bin mit der Revolution verheiratet." Später war er es auch mit Suha Tawil. Am 27. Juli 1990 nahm er die damals 28-jährige zur Frau. Sie war griechisch-orthodoxe Christin und trat zum sunnitischen Islam über. Suha Tawil studierte Literatur und Politik in Paris. Fünf Jahre nach der Hochzeit schenkte sie Arafat eine Tochter. Ihr Name ist Zahwa, was "Erwachen" bedeutet. Die tatsächliche Verwirklichung des Friedens stellte sich sehr bald als äußerst schwierig dar. Denn Jassir Arafat, der inzwischen als Repräsentant eines politisch gemäßigteren Kurses angesehen wurde, hatte nicht mehr genügend Einfluss oder den pragmatischen politischen Willen, die militanten Terroraktionen verschiedener PLO-Mitglieder zu verhindern. So gewannen in den letzten Jahren radikale islamisch fundamentalistische Gruppen wie die Hamas und der Dschihad (Heiliger Krieg) in den besetzten Gebieten im Gaza-Streifen und im West-Jordanland zunehmend an Macht. Auch nicht zuletzt, weil sie für die Not leidende palästinensische Bevölkerung ein Hilfsnetz aufbauten. Das fehlende Staatsamt am Ende seiner Karriere unterscheidet Arafat von der Vielzahl anderer nationaler Politiker, die ihre Völker aus kolonialer Unterdrückung geführt haben. Das vorige Jahrhundert, ein Jahrhundert der Befreiungskämpfe gegen die Kolonialmächte, ist voll mit diesen Führungsfiguren. Ihre Größe bestand darin, dass sie sich nicht in den Dienst der Kolonialherren gestellt, sondern den Aufstand gewagt haben. Einstein riet, für die Lösung von Problemen nicht die gleichen Mittel einzusetzen, mit denen diese Probleme geschaffen worden sind. Arafat hat weder den Weg eines Nehru beschritten noch den Rat von Einstein befolgt. Er konnte auch nicht den Zorn in den Herzen der stolzen Araber zähmen. Nehru konnte in den Seelen der Inder auf eine andere Bereitschaft bauen, ihre Unabhängigkeit von der Vorherrschaft einer fremden Macht zu erreichen. Wer wollte aber allein Arafat einen Vorwurf daraus machen, wenn er selbst ebenso unvernünftig handelte wie seine Widersacher. Er selbst zog die Uniform eines Revolutionärs niemals aus, während seine Gegner zwar ihre Uniformen als Generäle mit zivilen - zivilisierten - Anzügen vertauschten, dennoch aber durch die Sprache ihrer Waffen weiterhin in einem Unmaß Blut vergossen. Nur kurze Zeit nach seinem Tod gehörte die volle Aufmerksamkeit der nahen Zukunft in Palästina. Am 9. Januar wurde Mahmud Abbas als neuer Ministerpräsident gewählt. Arafat erscheint dagegen nur noch als der dunkle Schatten eines hemmenden Hindernisses, das überwunden zu sein scheint. Wir alle jedoch werden auch in der Zeit nach Arafat die hilflosen Zuschauer bei dem Geschehen auf dieser Welten-Bühne in Palästina bleiben. |