Polska
REISE | ZUR IDENTITÄT (15.06.2008)
Von Katharina Nocun | |
Der flughafen ist ein einziges knäul von exilpolen und oder ihren eltern. Alte damen in gestärkten weißen hemden und wollröcken stehen dort, ihre obligatorischen handtaschen eng an sich gepresst. Neben ihnen ihre kinder ganz westlich in schwarzen lederschuhen und passend lockerem jackett. Auch gestärkte hemden, aber andere, neuere generationen. Bei der holprigen landung wird applaudiert. Nicht für die art der landung, doch dafür, dass noch alle am leben sind, wie mir scheint. Deutlich erkennt man die gefalteten hände der alten frauen, die sich erleichtert vom gebet lösen. Andere länder andere sitten. Nur der geisha-hafte tanz der stewardessen bleibt wohl an jedem ort der gleiche. Ein ausgestreckter arm, eine atemmaske, ein schwenk mit dem anderem arm, ein notausgang leuchtet auf, drei schritte nach vorn, einen zur seite. Das schlauchbot für wasserlandungen. Vorgetanzte sicherheitsmaßnahmen, während man die preise für sandwiches abwägt. Und dort, am flughafen katowice dann, sicherheitsbeamte, die wie schlägertrupps aus der unterwelt aussehen und grimmig dreinblichen, als seien sie die letzte bastion der stärke, welche den flughafen davor bewahrt, von terroristen überrannt zu werden. Mit zur schau getragenen schusssicheren westen und pistolen am gürtel versuchen sie sicherheit auszustrahlen, kommen aber trotz all der anstrengung und gerunzelter augenbrauen nicht über ein gefühl von unbehagen hinaus. Polen ist im krieg, das vergisst man schnell. Mir fällt auf, die polen warten anders, schon in dortmund. Sobald sich eine schlange am check-in bildet, stehen fast alle auf und stellen sich hinten an. Ganz so als würde der letzte keinen platz mehr im flugzeug bekommen. Postsozialistische wartekultur. Ich stieg zuletzt ein und wunderte mich. Auch meinen koffer hole ich erst ab, als der pulk um das förderband sich einigermaßen gelichtet hat und eine alte frau schaut mich an, als wäre ich lebensmüde oder zumindest meines schönen koffers wenn nicht schon lebens überdrüssig. Der flughafen ist nun doppelt so groß, der anbau größer als der ursprungsflugafen und als die tür sich öffnet, starren mich gespannte gesichter an, in den händen einen fest in die schwitzende faust gepressten blumenstrauß mit kitschigem silber- und goldpapier umwickelt. Im bus auch wieder nur exilpolen, aber diesmal aus aller welt. Eine italienerin stellt sich mit derbem schlesischen einschlag in der stimme dem busfahrer vor. Sie heißt edyta. All diese über die welt verstreuten gosias, magdas, kasias und olas. Polen ist zumindest in dieser hinsicht weit vor deutschland im weltweiten konurrenzkampf zu finden. Das land polen ist exportweltmeister, es hat eine zeit lang sehr viele menschen sehr erfolgreich auf den markt und aus dem land geschmissen. Auch in meiner zweiten heimatstadt gibt es mittlerweile eine schlesische bäckerei und fleischerei, welche an feiertagen die verlorenen kinder mit mutters mohnkuchen beliefert. Jeder hier hat ein stück zu hause mitgenommen, selbst wenn es nur die vorliebe für kitschige heiligenbilder ist. Und nun werden wir wieder an diesem knotenpunkt ins land geschwemmt, zusammen mit unseren devisen und geschenken für die verwandtschaft. Unsere geschichten von der welt sind zum glück nicht zollpflichtig, genauso wenig wie das heimweh. Polnische Feinkost am Bahnhof. (c) Nocun An der toilette kassiert eine prostituierte in meinem alter ihr geld von einem grobschlächtigen mann mit freundlichem jedoch verbrauchten gesicht. Es riecht nach verfall in diesen hallen. Die feuchtigkeit kriecht durch den beton und schimmel bildet wälder in den dunklen ecken der bahnhofsdecke. Um es mit einem wort zu sagen: behaglichkeit macht sich breit. Ich bin zu hause, die luft riecht nach abgasen, der bordstein ist zersprungen. Die zeit hält gerne im osten, die dinge zollen ihr weit mehr respekt hier als anderswo. Man sieht die zeit überall. In den straßen, zerfurchter beton, aufgesprengt von der dichte der kalten winter, unkrautbevölkert von den heißen sommern, urstromtäler im beton leiten den frühling und herbst in die kanalisation. Die lackfarbe ist aufgeplatzt und blättert gemächlich von der wand. Sie hat alle zeit der welt, in dem wissen, dass der zeitpunkt der erneuerung nicht vom zustand der jetzigen farbe beeinflusst wird. Alles hat seine zeit. Selbst die menschen, die alten, sehen anders aus hier. So als wäre die mauer durch ihre gesichter unter den augenliedern verlaufen und die wende hat danach an der selben stelle furchen in ihr gesicht gegraben. Nicht die schönen alten gepflegten menschen, nein es sind die alten mütterchen, die ihr netz kartoffeln nach hause tragen, die das bild der stadt konservieren in der alten zeit. Sozialistische prachtbauten säumen den weg nach tychy, jeder anders verfallen. Und so hat der zahn der zeit aus den einheitsbauten individuen gemacht, mit eigener geschichte und eigener zeit. Der zug fährt nie wirklich an, sondern hält den gesamten weg über das tempo, welches man bei der bahnhofseinfahrt erwarten würde. Es ist der eilzug und ich mache mir sorgen, ob ich die haltestelle erkennen werde, denn an den bahnhöfen stehen meist keine namen, nur vereinzelt menschen. Die infrastruktur ist nicht auf tourismus ausgelegt. Wer hier hin will, sucht arbeit oder familie. Tourismus ist immer woanders. Draußen, aus dem fenster, sehe ich ein anderes polen. Ein polen, in dem man als nicht ortskundiger schwierigkeiten hat sich auf der autobahn zurechtzufinden, weil werbung und straßenhinweise oft zu nahe bei einander stehen. Werbung überall, auf großen und kleinen und riesigen schildern. Das wort promocja sticht heraus. Nein, gemeint ist keine promotion, nur der heruntergesetzte eisbergsalat bei lidl, die neuen puma schuhe bei tesco, der kasten cola bei carrefour, die bohrmaschine bei obi, die schultornister bei auchan... Es scheint als wolle kein großer konzern bei der neustrukturierung und gefühlten wiederauferstehung polens fehlen. Ich frage mich nur, wer bei einem so niedrigen durchschnittseinkommen und der arbeitslosigkeit all die mengen zeug konsumieren soll. Überfluss, den man sich nicht leisten kann, muss in der seele schmerzen und ich verstehe, warum die polen angst vor dem großen ausverkauf haben. Land ist billig wie kaum etwas und in den vorstädten schießen einkaufsmalls wie pilze aus einem modrigen waldboden. Entlang der autobahn ein panorama aus parkplätzen mit neuen autos. Auch die autobahn ist neu und führt nicht mehr durch die innenstadt. Und so ändert sich nicht nur polen, sondern auch der weg dort hin. Führte er früher noch durch all die zentren, in denen ich mich nur durch das autofenster auskannte, bleiben sie mir diesmal verborgen. Ob der ruß der lkws oder der tiri noch immer an den wänden klebt, ist trotzdem nicht fraglich, sondern so gut wie sicher. Denn irgendwie scheint jede staatsform der letzten 50 jahre sich zumindest als inoffizielles ziel, die zerstörung historisch gewachsener stadtkerne gesetzt zu haben. Erst der sozialistische plattenbau weit draußen vor der stadt und nun das passende einkaufscenter daneben, so dass der block weder abgerissen noch renoviert wird, sondern sich der morphose der umwelt zu unterwerfen scheint. Als wäre seine funktion nun die des kontrastes, um durch seinen Verfall den neuen glasfassaden nur noch mehr glanz zu verleihen. Die ökologische nische der gezielten schäbigkeit. Sozusagen. Ich merke, wie sich die gedankenfetzen lagsam in polnisch einzufärben beginnen, so als hätte ich nun auch geistig die kontrollen passiert, welche die eine heimat von der anderen trennen. Meine gehirnrinde ist in aufruhr und zieht unablässig daten aus der umgebung um meinen wortschatz auf den neuesten stand zu bringen. Die gedanken haben einen anderen tonfall im polnischen, viel weicher und unbestimmter, ganz so als wären sie nicht fähig dinge außerhalb dieser realität zu beschreiben. Muttersprachen sind so. Ein junger mann verteilt christliche handzettel in jeden abteil. „Ich glaube an den einen, größten, einzigen gott, der über uns trohnt und auf mich wartet”. Tychy hat nur zwei gleise, obwohl 140.000 einwohner eigentlich mindestens drei erfordern sollten. Nach meiner anerzogenen gefühlten notwendigkeit jedenfalls, die hier unrecht behalten muss angesicht der betonierten strukturen. Zu hause fahre ich nie taxi, hier bin ich reich und es wird zu meinem gewohnten fortbewegungsmittel. Das war schon immer so. Als der taxifahrer mich bittet, die deutschen anzeigen in seinem bmw zu übersetzen, komme ich bei dem wort betriebsanleitung ins stocken. Mir fällt ein, dass ich nie eine polnische bedienungsanleitung gelesen haben, sondern immer die englische gewählt habe. Daher fällt mir durch sprachverwantschaft und querverweise doch noch instrukcija ein. So eine schande aber auch, das englische ist mir zumindest im technischen bereich des alltags bereits näher. Linguistische globalisierung und gedachte entflechtung und entgrenzung. Der zweite satz meiner oma ist die frage, wann ich denn so dünn geworden sei. Die antwort "immer" verunsichert sie nicht, wie immer weigert sie sich zu glauben, dass ich schon immer so war, obwohl die familiengallerie im grünen zimmer eigentlich recht eindeutig meine these untermauern sollte. Wir gehen ins rote zimmer, den speiseraum. So bekomme ich auch gleich das obligatorische zwei gänge menü serviert, dass ich ohne jede diskussion zu vertilgen habe. Fast schon traue ich mich nicht zu sagen, was ich mag, weil es sonst morgen in unmenschlichen mengen im kühlschrank lagern könnte. Der verrückte hund knurrt erst, dann winselt er um sein leben und jault wie von sinnen, er weiß, was meine ankunft für ihn bedeuten kann, wenn er es sich nicht mit mir verdirbt. Meine großeltern werden zu alt für lange spaziergänge und er weiß es. Die zimmer haben sich nicht verändert, alles ist an exakt dem selben platz, an dem es immer steht, fast könnte man meinen, es habe sich nichts verändert. Doch die zeit hat meine großeltern eingeholt. Als meine oma mich umarmt, ist sie wieder ein stück kleiner. |