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Das Lied der Deutschen
GESELLSCHAFT | ZUR IDENTITÄT (15.10.2005)
Von Heinz Kobald
"Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt." So wie es nach der jüngsten Vergangenheit dieses Landes missverstanden wird, so werden wir es nicht mehr singen wollen. Es ist auch nicht immer so gesungen worden.

Es gab da einige Versionen, in denen es ganz anders gesungen worden ist. Das Lied, das die Deutschen heute singen, das hat August Heinrich Hoffmann von Fallersleben auf Helgoland am 26. August 1841 geschrieben. Heute singen die Deutschen nur noch seine 3. Strophe als ihr offizielles Deutschland-Lied. Und das auch erst seit 1991.

Ralph Segert

Bochumer Alleestrasse, 2003 (c) Ralph Segert

3. Strophe
Einigkeit und Recht und Freiheit für
das deutsche Vaterland,
danach laßt uns alle streben brüderlich mit
Herz und Hand.
Einigkeit und Recht und Freiheit sind
des Glückes Unterpfand.
Blüh' im Glanze dieses Glückes, blühe
deutsches Vaterland!

Ja, blühen sollte es. Dieses Blühen sollte aber bald wieder geschehen, denn es hat viel von seinem Blühen eingebüßt. Trotzdem öffnen sich da neue Blüten und wachsen - und daneben am selben Strauch - fallen andere Blütenblätter in sich zusammen und verwelken: 2005 wird für die deutschen Anlagen- und Maschinenbauer mit einem Produktionswert von 144 Milliarden Euro ein Rekordjahr. Doch trotz der von 3 auf 4 v.H. angehobenen Wachstumsprognose und positiver Aussichten für das kommende Jahr schreckt der Industriezweig vor Neueinstellungen zurück.

Der Bundesverband "Deutsche Tafel e.V." hat die fünfhundertste "Tafel-Gründung" in Deutschland gefeiert. Die "Tafeln" sammeln seit 1993 von Supermärkten und anderen Handelsunternehmen überschüssige Lebensmittel ein (Motto: "Jeder gibt, was er kann") und verteilen sie an bedürftige Menschen. Inzwischen gibt es bundesweit über 1.200 Ausgabestellen. 25.000 Bürger engagieren sich heute ehrenamtlich als Tafelhelfer, um "das Leben in unserer Gesellschaft wärmer zu gestalten". Gegenwärtig müssen 500 000 Menschen mit Lebensmittelspenden versorgt werden.
"Wir können vor der wachsenden Armut nicht mehr die Augen verschließen."

Zum Gesang der Deutschen
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es gar keine deutsche, vor allem keine einheitliche Nationalhymne. Unvereint und zerstritten mit sich selbst sang jedes deutsche Land eine eigene Hymne. Die Preußen waren da mehr siegeszuversichtlich: "Heil dir im Siegerkranz!", die Bayern dagegen mehr königstreu: "Heil unserm König, heil, Langleben sei sein Teil!" und selbst die Thüringer im kleinen Weimarer Großherzogtum sangen auf ihren Fürsten: "Möge Gott dich stets erhalten, Weimars edles Fürstenhaus". Als deutsche Nationalhymne galt vor 1866 das Lied "Was ist des Deutschen Vaterland" von Ernst Moritz Arndt (1769-1860), gedichtet 1813 und 1825 komponiert von Gustav Reichardt (1797-1884).

Die "Wacht am Rhein" wurde 1840 von Max Schneckenburger (1819-1849) gedichtet. Bei Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 wurde die "Wacht am Rhein" wieder zur deutschen Volkshymne. Wenn auch die "Wacht am Rhein" heute vergessen ist, damals erfreute sie sich einer großen Popularität. Doch wirkte der deutsche Nationalstolz in ihr eher blass gegenüber der heute noch leidenschaftlich gesungenen französischen Nationalhymne "Marseillaise".

Schließlich ist dieses Deutschland auch kein Staat ohne Vergangenheit. Nur in seiner jetzigen Gestalt ist er ein sehr junges Staatsgebilde. Außerdem hat er einen Teil davon wieder bekommen, der mehr als vierzig Jahre lang unter anderen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen regiert worden ist. Diese Wiedereinverleibung verursacht noch heute enorme Verdauungsschwierigkeiten. Trafen da doch Millionen von Menschen aufeinander, die in völlig verschiedenen Gesellschaftsordnungen erwachsen geworden waren. Aber der heute so viel gelobte Kanzler der Wiedervereinigung hat die Deutschen darauf nicht nur nicht vorbereitet sondern sie ganz schlicht und einfach belogen. Und dieses ehemalige andere Deutschland hatte auch eine Nationalhymne! Sie begann jedoch an einem Nullpunkt in der Geschichte Deutschlands.

1. Strophe
Auferstanden aus Ruinen
Und der Zukunft zugewandt,
Laß uns dir zum Guten dienen,
Deutschland, einig Vaterland.
Alte Not gilt es zu zwingen,
Und wir zwingen sie vereint,
Denn es muß uns doch gelingen,
Daß die Sonne schön wie nie
|: Über Deutschland scheint. :|

Auch in ihr wurde gesungen "Deutschland, einig Vaterland".
"Denn es muß uns doch gelingen ... Sonne ... über Deutschland scheint."
Da war sie doch, die Gemeinsamkeit der Deutschen: In dem einen Lied das Blühen, in dem anderen Lied die Sonne. Und beides gehört zusammen. Doch die, die vom Blühen sangen, hatten die Sonne vergessen. Und die, die die Sonne besangen, für die reichte die Sonne nicht für das Blühen. Darin scheint sich mir auch die Tragik in der Seele der Deutschen zu verstecken: Nach der Vollkommenheit streben, aber dann doch das Lebensnotwendige vergessen.

Doch waren das nicht die Worte von Ernst Moritz Arndt (1769-1860), die er 1813 gedichtet hatte. Dieses Lied hatte Johannes R. Becher auf Anregung von Wilhelm Pieck geschrieben und war am 12. 10. 1949 fertiggestellt. Die erste Melodie hatte Ottmar Gerster dafür schon am 23.10.1949 fertig komponiert. Eisler und Becher waren befreundet und so spielte Eisler für das Neue Lied der Deutschen seinem Freund Becher ebenfalls eine Melodie vor. So kam es, dass das Politbüro und der Ministerrat des anderen Deutschlands die Hymne Eisler/Becher auswählten. Was ist nun das Vaterland der Deutschen? Jetzt gab es zwei Antworten auf diese Frage.

Doch als Ernst Moritz Arndt (1769-1860) sein Lied 1813 für das Vaterland der Deutschen gedichtet hatte, da dachte er nur an eines. Die Musik komponierte 1825 Gustav Reichardt (1797-1884) dazu. Vor 1866 war es das Lied der Deutschen - und es begann mit einer Frage: "Was ist des Deutschen Vaterland"?

1. Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist's Preußenland? Ist's Schwabenland?
Ist's wo am Rhein die Rebe blüht?
Ist's wo am Belt die Möwe zieht?
|: O nein, o nein, o nein, o nein!
Sein Vaterland muß größer sein! :|

Dieser frühere Gedanke von einem größeren Vaterland scheint in der Jetzt-Zeit nicht besonders gepflegt zu werden. Denn nach der Aufhebung der letzten Teilung wünschen sich sogar einige das kleinere Deutschland wieder. Aber welchen von den beiden Teilen wünschen sie sich wirklich? Viele sprechen da noch von einer Mauer, die tatsächlich in diesen vierzig Jahren für eine Zeit die beiden Teile getrennt hat. Diese Mauer aber ginge nach ihrem Fall jetzt noch durch die Köpfe der Menschen.

Und wenn wir beim Gesang der Deutschen stehen geblieben sind, dann bleibt noch die Frage nach der Sprache der Deutschen. Sprechen die Deutschen wirklich Deutsch? Und woher kommt ihre Sprache?

Was ist unter dem Begriff Deutsch zu verstehen?
Der Begriff "deutsch" geht auf Karl den Großen (747-814) zurück. In den lateinisch geschriebenen Urkunden seiner Zeit ist von einer "lingua theodisca" oder "theudisca" die Rede, die als "Volkssprache" der "lingua Romana" gegenübergestellt wird, der Sprache Roms, in der das Reich verwaltet, die christliche Botschaft verkündigt und Recht gesprochen wurde.
Der Wunsch Karls des Großen, dem Volk (gotisch "thiuda", germanisch "theuda") solle Recht, Gesetz und Glaubenslehre in seiner eigenen Sprache nahegebracht werden, steht also am Anfang der Entwicklung einer deutschen Sprache, die als Hochsprache über den Dialekten der überregionalen Verständigung dienen sollte.

Der Name für die Deutschen entsprang dem Namen für die gemeinsame Sprache der germanischen Stämme. Diese Entwicklung begann mit dem 786 erstmals geschriebenen lateinischen Wort THEODISCUS, das abgeleitet von theoda = "Volk? und "zum Volk gehörig? bedeutet. LINGUA THEODISCA benannte die "Volkssprache?, die im Unterschied zum Lateinischen gesprochen wurde.

Dieses Wort geht auf Karl den Großen zurück, der seine Sprache weder als "lingua vulgaris? (vulgär) noch als "lingua barbara? (barbarisch) oder gar als "lingua gentilis? (heidnisch) verstand. Im "Capitulare Italicum? Karls des Großen von 801 bezeichnete LINGUA THEODISCA die "Sprache des nichtromanischen Volkes.? Ein ethnischer Begriff war damit noch nicht geschaffen, es war eine reine Sprachbezeichnung. Doch war LINGUA THEODISCA zur der Zeit in jedem Siedlungsgebiet noch eine andere, z.B. Alemannisch, Alt-Sächsisch, Baierisch oder Ostfränkisch. Deutsch als überregionale Verkehrssprache gab es lange Zeit östlich des Rheins nicht.

Fazit: Gemeinsames Singen
Nun, da wir wiedervereint nur noch eine Nationalhymne gemeinsam singen, sollten wir sie vielleicht doch öfter miteinander singen. Gemeinsames Singen verbindet auch. Und vielleicht bei den Worten Einigkeit und Brüderlichkeit etwas tiefer in das Verständnis für den Sinn dieser beiden Worte hinab steigen. Aber das ist gewiss wieder so ein unbrauchbarer Gedanke, den ich da mit dem Zeigefinger aus meinem Hirn gebohrt habe während ich so eine alte Melodie vor mich hinbrumme und der Zukunft zugewandt bin.
   




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