Auf dem Marktplatz von Hoyerswerda singt eine Schlagersängerin von erster Liebe. Sie tut das auf Sorbisch, denn Hoyerswerda ist zweisprachig und heißt auch Wojerece.
singende Kinder in sorbischen Trachten (c) Gerhard Walter
Der Regen hat sein lästiges Nieseln eingestellt und vor den Lautsprechern sammelt sich Volk. Playback singt sie und inbrünstig. Die Sonne trocknet das Pflaster. Vor einem weißen Festzelt stehen zwei Männer mit Zylindern und Zeremonienstäben. Glitzernd bunt verkleidet klirren sie mit Westenorden und Sporen wie die Gockel. Einer ist der Braschka, der Hochzeitslader.
Die Erotik-Einkaufsnacht in Hoyerswerda ist ein Gag der vereinigten Einzelhändler der Altstadt, den mageren Umsatz zu steigern. Innovativ. Dass sie mit den Sorbischen Kulturtagen zusammenfiel war wohl eine Panne. Auf dem Weg durch die gewundenen Gassen waren überall auf weißes Papier kopierte Aushänge aufgefallen, die den Event ankündigten, aber das Plakat der sorbischen Kulturtage ist groß, grün und solide.
Die "Erste Liebe" ist vorbei, die Sängerin kündigt an, dass im Zelt nun die sorbische Hochzeit gefeiert wird, traditionell, mit Hochzeitstafel, Musik und Tanz. Wir zögern noch, ins Zelt zu gehen, während meine Gastgeber mit Bekannten plaudern, lasse ich mir die Sonne auf die Nase scheinen, und sorbische Wörter im Ohr zergehen. Eine Gulaschkanone schmurgelt. Die Feuerwehr rückt ein, dann eine Blaskapelle mit vielen Nachzüglern, schließlich ein Trupp Frauen in Hauben, die mit Bändern geschmückt sind. Die Sonne geht unter und wir ins Zelt.
Aus der Region sind 300 Sorben angereist. Sie betrinken sich bedächtig und fröhlich.
Die Bühne ist wie ein Boxring abgesichert. Ein Dorf steht drauf und die Blasmusik, die sich einbläst. Nun ist auch die Vereinvorsitzende am Mikrophon, es kracht und die Kulissen erzittern, als sich die Tanzgruppe auf der Bühne formiert. Fünfzig Menschen kommen in Bewegung, die Trachten tragenden Tänzer drehen ihre Frauen über die Bühne wie seltene Ausstellungsstücke, die Musiker wippen in einem fünfachtelverdächtigen Polkatakt und die Kinder versuchen mit den Müttern Schritt zu halten. Dazu wird mageres Tellerfleisch serviert, mit weißer Soße. Das Bier ist dünn, der Lärmpegel wird lauter am Biertresen, wo sich die Jugend sammelt. Das Zelt ist gerammelt voll, ich arbeite mich nach vorne zu der Reihe der Fotografen, um die schöne sorbische Tracht zu fotografieren, Schmuckwesten, Goldhauben, Faltenröcke, Strickstrümpfe. Ob sie Heidekraut in den Schuhen tragen?
Draußen weht die Nacht durch die Straßen. Das Hochzeitsessen und -trinken geht an den Ausgängen nahtlos in die Erotische Einkaufsnacht über. Toilettensucher taumeln aus dem Zelt und finden sich vor Schaufenstern in denen sich äußerst spärlich bekleidete Mädchen räkeln. Wahrlich schwer zu unterscheiden, ob die Reklame sind oder sich selbst als Ware anbieten. Teufel, und das bei einer Hochzeit. Die Sorben sind streng katholisch, sie haben ihren Glauben und ihr Brauchtum die gesamte DDR- Zeit hindurch bewahrt und mit Zähnen und Klauen verteidigt. Demzufolge geht die Braut als Jungfrau in die Ehe. Beim Brautausstatter können die Schaulustigen auf gerafften Tüll und gebräunte Schenkel blicken, als wäre es ein Fernsehspot. Ein Schaufenster weiter Tütensuppen, oben Ohne. Im Schreibwarenladen schlürfen schwule Barkeeper Caipirinhas und Virgin Mary. Sie winken mit den angeklebten Wimpern. Am weitesten geht der Juwelier, vor seinem Schaufenster gibt es einen Auflauf. Zwei junge Frauen führen seinen Schmuck auf ihrer Haut vor, schlank, schön und nackt, d.h. nur mit einem Fitzelchen von Tanga bekleidet. Da beide gleich groß, und ähnlich gebaut und geschminkt sind, wirken sie wie geklonte Schönheiten, die Darbietung zwar dilettantisch, Brüste, Beine und Backen aber eine Augenweide.
Die sorbische Braut dagegen ist eingepackt, wie ein Überraschungsei. Ihre zahlreichen, reichgefältelten Röcke geben ihr das Aussehen einer geometrischen Figur aus Schlemmers Triadischem Ballett. Der Kopf ist von einer hohen, bebänderten Haube gedeckelt, die Haare darunter sind streng zurückgekämmt und eingefettet, ein Umstand, der sich unvorteilhaft auf ihr Gesicht auswirkt. Wie ein ungeschminkter Vollmond schwebt es über den großen Puffärmeln. Der Torso der Braut wirkt geometrisch - die Brüste sind unter dem Mieder nicht auszumachen, der mächtige Rock macht sie zur Tanzpuppe. Wenn sie sich dreht, ist noch ein Rock drunter, plissiert, und noch einer. Das enorme Plissee an Ausschnitt und Ärmeln soll ja nur genadelt sein, nicht abgesteppt, am Hochzeitsmorgen wird es mit Hunderten von Stecknadeln auf die Braut appliziert. Wie sie sich des Nachts daraus befreit ist nicht überliefert. Katholen dürfen ihre Sexualität nur unter Schmerzen genießen, glaubt man in Bayern. - Aber feiern können sie, die katholischen Sorben. Der Sturheit, mit der sie ihr Brauchtum gegen den real existierenden Sozialismus verteidigten, verdanken wir, dass sie auch heute noch in Wojerece auftreten.
Es ist spät geworden. Während beim Hochzeitstanz die Röcke fliegen, sich aufbauschen und gelegentlich den Blick auf feingestrickte Strumpfwaren freigeben, Braut und Brautmutter an der Tafel sitzen und die kleinen Kinder sich auf einem Bühneeckchen zusammengerollt haben, während die Männer noch immer im Gehrock unter Zylindern ihre schwerbestickten Westen und Schärpen durchschwitzen, ist drüben bei den Geschäftsleuten schon nichts mehr drunter. Das junge Paar, das im Teppichhaus einen atemberaubenden Salsa hinlegt, ist, bis auf die Tanzschuhe, fast unbekleidet. Sein Hemd ist offen, bis auf die Gürtelschnalle der hautengen Hüfthosen, er präsentiert eine üppige, schwarze Brustbehaarung, ihr Kleid, ist aus Schlangenhaut. Seine Gürtelschnalle ein Tigerkopf. Im Geschäft steht Kundschaft, sorbische Großeltern, die von der Tanzeinlage überrascht wurden. Ihm steht der Mund offen und sie guckt weg. Wünscht sich wohl auch weg, aber erst mal ist kein Durchkommen, auch als die Tänzer sich über die Schwelle schlängeln und auf der Straße weitertanzen, Schweiß glänzend, Hüfte schwenkend unter dem begeisterten Gejohle der Passanten. Jetzt lachen sie doch, die alten Leute. Da tut sich eine Gasse durch die Zuschauer auf, die zur Musik in die Hände klatschen. Auf der Straße tanzen schon zwei Pärchen Salsa. Ein paar junge sorbische Männer ziehen singend durch die Altstadt und aus den halb geschlossenen Läden dringt erregtes Stimmengewirr.
"Na? luby kraj je £u?ica
tu Serbja, Nìmscy skutkuja.
Tu? lubuj swojn domiznu
tu na?a rjann £u?isku!" heißt es, während im Reisebüro scharfe Bräute ihre Piercings und Tatoos herzeigen.
Die Erotiknacht in der Lausitz ist noch nicht zuìnde. Das große, grüne Plakat hatte Schlemmertage versprochen. Schlemmen zählt nicht primär zur Erotik, obwohl es mit dem Mund geschieht, aber der Magen ist nun mal kein (vollwertiges) Sexualorgan. Trotzdem muss ich von dem Pilz berichten, den wir in der freundlichen Gastgeberküche zubereiteten, drei Kilo schwer. Wir hatten die schönsten Teile dieses Schwefelporlings von einem Baum geschnitten, einer Eiche. Er hatte die Farben eines Sonnenaufgangs und schmeckte wie Hühnerfleisch. Wir brieten und sotten und marinierten die Massen von rosaroten, gelb und pfirsichfarbenen Fleisch, schlitzten und schnitzelten, dann schmeckte er wie Kalbsschnitzel. Wir garten es mit Pfefferkörnern, Sanddorn und Gemüsen aus einem geheimen Garten der Stadt. Die privaten sorbischen Schlemmerwochen, denn wir aßen mehr als drei Tage, fanden also parallel zu den städtischen statt.
Der Pilz beflügelte meine Träume. Mein Freier stand plötzlich vor mir, mit bestickter Weste und geschnitztem Stab, mit dem er dreimal auf den Boden stieß. Mit blutunterlaufenen Augen bot er mir auf sorbisch die Ehe an, ich wäre ja als Bayerin auch katholisch, wir würden viele Kinder haben. Danach schlug er lang auf die Straße hin, nur knapp an einer Schaufensterkante vorbei. Blieb liegen. Erschüttert betrat ich das Geschäft, in dem ein Mönch im Büstenhalter und barfuss heißen Espresso servierte.