Zur aktuellen Ausgabe    
   
 
   
Im Gespräch mit Rahul Roy
KULTUR | UNTER VIER AUGEN (15.03.2005)
Von Jörg Rostek
Rahul Roy ist einer der bekanntesten Dokumentarfilmer Indiens. Er ist seit 1987 tätig. Mit seinem aktuellen Film "Majma-Performance" reist Rahul Roy zurzeit durch Deutschland. Wir trafen ihn auf dem 2. Ethno-Filmfest in Münster.

Cinema Münster

Regisseur und Drehbuchautor Rahul Roy. (c) Cinema Münster

iley: Geben Sie gerne Interviews?
Rahul Roy: Nun, man kann sagen, dass ich es nicht ablehne Interviews zu geben. Ich schätze, es ist in Ordnung.
iley: Jetzt sind Sie in Deutschland. Wie fühlen Sie sich hier? Welche Gedanken haben Sie, wenn Sie aus einem Autofenster hinaus auf die Straßen Deutschlands blicken?
Rahul Roy: Nun, da ich aus Indien komme ist natürlich ist eines der ersten Dinge, die mir auffallen, dass ich weniger Menschen sehe. Deutschland ist schwach bevölkert und wir sind eine Milliarde, vergiss das nicht. Und dann natürlich die Berge von Technologie überall.
iley: Wie viele Deutsche kennen Sie?
Rahul Roy: In der Tat sind es sehr viele. Ich habe einige sehr enge deutsche Freunde. Einmal habe ich für einige deutsche Fernsehsender Dokumentationen aufgenommen. Ein andermal traf ich ein Kamerateam, das aus Deutschen bestand und einen Dokumentarfilm in Indien drehen wollte. So kam es zu einigen sehr engen Freundschaften. Einer meiner besten Freunde ist ein Deutscher.
iley: Bitte erzählen Sie uns von "Films for Freedom".
Rahul Roy: "Films for Freedom" ist ein Kollektiv von Dokumentarfilmern aus Indien. Es besteht aus beinahe zweihundertfünfzig Mitgliedern aus allen Teilen des Landes. Dieser Zusammenschluss entstand vor fast eineinhalb Jahren. Der Hintergrund war ein internationales Filmfestival, das in Indien abgehalten wird. In Bombay. Es wird von der indischen Regierung organisiert. Als das letzte Festival im Februar des Jahres 2004 stattfand, führten sie eine Klausel ein, die indische Filmemacher der Zensur unterwerfen sollte. Sie sollten also ihre Interessen unterordnen. Nun, das ist ein Festival, das seit vierzehn Jahren stattfindet, eine lange Filmtradition, und diese Klausel gab es vorher nicht. Sie war also sehr unüblich. Es war hauptsächlich ein politischer Zug der Regierung, um das Festival von kritischen Dokumentationen zu reinigen, die kritisch sind gegenüber dem Staat und der Regierung.
iley: Also ist sie Zensur in Indien ein Problem?
Rahul Roy: Ja. Deshalb kamen wir zusammen, um gegen diese Klausel zu protestieren und so entstand dieses Kollektiv. Wir waren erfolgreich und erreichten, dass diese Klausel entfernt wurde. Wir setzten die Regierung unter Druck, damit sie die Klausel entferne. Viele Filme, die beinahe nicht gezeigt worden wären, wird man bei der Zusammenstellung der Filme hier finden.
iley: Welche Punkte kann man, gegenwärtig, an der indischen Regierung kritisieren?
Rahul Roy: Im Land sind viele Dinge geschehen. Es gibt eine sehr starke Umweltbewegung, die in verschiedenen Landesteilen aktiv ist. Sie protestiert gegen Versuche internationaler und indischer Konzerne Wälder abzuholzen, Minen einzurichten, Menschen von ihrem traditionellen Land, auf dem sie seit Jahrhunderten gelebt haben, umzusiedeln, um dort Staudämme bauen zu können. Es gibt also eine Menge Proteste, die sich in vielen Landesteilen abspielen. Mit diesen Themen beschäftigen sich die Dokumentarfilme, die ich ausgesucht habe. Sie hängen auch mit Schwulen- und Lesbenrechten zusammen, die sehr unbequem für die Regierung sind. Dann gibt es Filme über Gebiete, in denen politischer Protest gegen den Staat gezeigt wird, über Gebiete wie Kaschmir und der Nordosten Indiens. Diese Filme sind nicht sehr angenehm für die Regierung. Es gab vor ein paar Jahren ein großes Massaker an Moslems, das zwei bis drei Monate dauerte, in einem indischen Teil namens Gujarat, der von einer rechten Regierung beherrscht wird. Diese Pogrome gegen Muslime wurden sehr direkt von den staatlichen Akteuren, der Polizei und anderen staatlichen Einrichtungen gelenkt. Und es ist eben sehr unbequem für die Regierung, wenn über solche Themen berichtet wird.
iley: "Sehnsucht nach Freiheit", so hat Wilhelm von Humboldt gesagt "entsteht nur zu oft erst aus dem Gefühle des Mangels derselben." Was ist Freiheit für Sie?
Rahul Roy: Für mich? Tatsächlich sind dies sehr viele Dinge, so dass ich keine bestimmte Definition oder einen Eindruck von Freiheit geben kann. Ich denke für mich und meinen Blick auf Freiheit ist das wichtigste, das Recht in Gleichberechtigung zu leben, das Recht in Würde zu leben. Ich glaube dies ist für mich persönlich die grundlegende Definition von Freiheit.
iley: Wie hat sich Indien seit dem 11. September 2001 verändert? Gibt es Konsequenzen, z.B. neue Gesetze oder ähnliches?
Rahul Roy: Nicht sehr viele. Er hat im Land nicht wirklich eine Bewegung ausgelöst. Man findet in Indien mehr Leute, die gegen die amerikanische Regierung sind als für sie. In dieser Hinsicht hatte Indien schon immer eine sehr starke antiamerikanische Haltung gegenüber amerikanischen Einmischungen in verschiedenen Teilen der Welt. Und so hat zwar der 11. September viele Menschen schockiert, aber ich denke nicht, dass die Inder bereit wären die amerikanische Mission, die sie Demokratie nennen, zu unterstützen. Und tatsächlich war die indische Regierung fast die einzige demokratische Regierung in der Welt, die abweichte und das Thema, ob sie die Invasion im Irak unterstützen möchte im Parlament diskutierte. Und das Parlament entschied sich dafür, die Invasion im Irak nicht zu unterstützen. Amerika ist eine Supermacht in der Welt und deshalb steht die indische Regierung ständig unter dem Druck der Amerikaner. Es gibt auch Zusammenarbeit, aber es gibt in Indien eben auch ein Gefühl gegen die Amerikaner.
iley: Welche ist Ihre liebste NGO? Kennen Sie Arundhati Roy?
Rahul Roy: Oh ja, ich kenne Arundhati Roy. Sie hat uns auf viele Arten unterstützt, sogar finanziell. Es existieren gegenwärtig so viele NGOs. Ich kann keine bestimmte nennen. Da sind mehrere politische Bewegungen und Proteste im Land, die ich sehr bewundere. Es gibt eine sehr starke Bewegung der Arbeiterklasse und eine sehr starke Vereinigung der Arbeiter in einem Teil Indiens.
iley: Sind diese marxistisch?
Rahul Roy: Ja, es ist eine sehr fortschrittliche Vereinigung, die nicht zur kommunistischen Partei gehört. Es sind unabhängige Marxisten.
iley: Sind Sie Marxist?
Rahul Roy: Ah, ja, das kann man so sagen, das bin ich. Sie machen dort ihre Arbeit auf viele Arten, extrem visionär, sehr fortschrittlich und sie haben einen gezielten Blick in die Zukunft, der sich in der Art ihrer Organisation ausdrückt. Auch bewundere ich sehr die Bewegung um Arundhati Roy. Es ist eine Bewegung gegen den Bau von Staudämmen. Leider waren sie erfolglos. Sie konnten die Staudämme letztlich nicht verhindern. Sehr bemerkenswert war, dass es eine gewaltlose Bewegung war, auch angesichts brutalster Angriffe, die vom Staat ausgingen. Menschen kämpften, auf sie wurde geschossen und Menschen starben. Aber sie sind nie umgekehrt und gingen weiter. Wir brauchen politische Bewegungen, heute. Sie haben eine Zukunft, wenn sie gewaltlos sind.
iley: Haben Sie Gandhi gelesen?
Rahul Roy: Ja, das habe ich. In Indien kann man Gandhi nicht entkommen.
iley: Würden Sie sagen, dass die Literatur ein wichtiger Teil ihres Lebens ist?
Rahul Roy: Ja, das kann man sagen. Als Filmemacher ist sie eine konstante Quelle meiner Traumwelt.
iley: Gibt es ein Buch, das ihr Leben verändert hat?
Rahul Roy: Nein, kein bestimmtes Buch, aber es gibt einige Bücher, die sehr wichtig für mich sind. Zum Beispiel "Der Gott der kleinen Dinge" von Arundathi Roy. Ich habe es sehr genossen, es zu lesen.
iley: In Deutschland ist es ein sehr berühmtes Buch.
Rahul Roy: Aus der deutschen Literatur liebe ich "Die Blechtrommel" von Günter Grass. Ja, und einen Deutschen, den ich vor Jahren begeistert gelesen habe, Heinrich Böll. Er ist wundervoll. Ich mag ihn sehr.
iley: Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.

Weiterführende Links
   




Unsere Texte nach Ressorts
GESELLSCHAFTPOLITIKKULTURREISEUMWELTWIRTSCHAFTSPORT
Ein sächsisches Dorf kann auch andersNewtons zweiter SiegWo Nachbarn zur Familie gehörenNur kein zweites KreuzviertelLiebe über den Tod hinausJede Fahrt eine DrogenfahrtEine Million Euro für die Cannabis-LobbyArmutszuwanderung? Eine Untergrunddebatte!Mails verschlüsseln leicht gemachtVerschlüsseln - eine Notlösung Soziale Demokratie geht auch ohne SPDBedingt verhandlungsbereitDas vergessene Massaker von AndischanDas Ende von Lüge und SelbstbetrugGeteiltes Volk einig im Kampf gegen IS-TerrorDie Urkatastrophe und wirDas Ende rückt immer näherNeue Regierung, neue Krisen, neue FehlerMerkels neues WirHausfotograf der deutschen Sozialdemokratie Liebeserklärung eines Linksträgers. Oder...Mit der Lizenz zum AusrastenDer beste Mann für Afghanistan"Weil sie auch nur Opfer sind"Gestatten, Gronausaurus!Missratenes PashtunenporträtDie Band LilabungalowWo Leibniz und Wagner die Schulbank drücktenHitler in der Pizza-SchachtelDie Freiheit des Radfahrens In der Wildnis vergessenStau in der FahrradhochburgMitfahrer lenken selbstÜber Wroclaw nach Lwiw - eine verrückte TourIm Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 2Im Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 1Sounds of KenyaDie 41-Euro-SündeRive Gauche vs. Rive DroiteOranje im Freudentaumel Drei Naturerlebnisse in einemDas Gegenteil von KollapsDas Gift von KöllikenDas große Pottwal-PuzzleBio bis in die letzte FaserDer WonnemonatKlimakiller sattDer Monsun - vom Quell des Lebens zum katastrophalen NaturphänomenR136a1 - Schwerer und heller als die SonneDie Rückkehr zur Wildnis Wie die Hausverwaltung GMRE ihre Mieter abzocktWachstum und BeschäftigungSo schmeckt der SommerMakler der LuxusklasseGeburtshelferinnen vom Aussterben bedrohtVersenkte Milliarden und eine verseuchte BuchtWohnungen als WareAufstieg, Krise und Fall der AtomwirtschaftDie längste Brücke Deutschlands entstehtDie Geschichte der 'Alternativlosigkeit' - Teil 2 Fußballtempel MaracanãGlanz und Niedergang der Fanclubsiley.de drückt Maschine Münster die DaumenUnsere Veranstaltungsreihe im Web TVFrankreich ist ein heißer Kandidat fürs FinaleSpanien wird den Titel verteidigenFür Deutschland ist im Halbfinale SchlussPolen hat das Zeug für eine ÜberraschungForscher, Fans und PolizeiFußball im Würgegriff der Mafia
 
Ja, auch diese Webseite verwendet Cookies. Hier erfahrt ihr alles zum Datenschutz