Zur aktuellen Ausgabe    
   
 
   
Besser nicht stören
KULTUR | UNPOP (15.12.2007)
Von Andy Strauß
Fidus war neu in der Band. Es gab riesiges Medieninteresse für unseren Wechsel in der Besetzung. In der Visions stand, dass Mäcci, Fidus Vorgänger, tablettensüchtig ist und sich um seinen Entzug kümmern muss.

Die Wahrschauer munkelte, dass Mäcci seine große Liebe gefunden hat und sesshaft werden wollte. Alles Schwachsinn natürlich. Mäcci war ganz normal, er aß weder Aspirin zum Frühstück und Valium zum Abendbrot, noch hatte er irgendetwas liebenswertes auch nur in Aussicht. In der Rolling Stone hat Hagen von Stahl, unser Drummer, im Interview behauptet, er habe Mäcci aus der Band geschmissen, weil ihm seine Fresse nicht mehr gepasst hat. Immer das Gleiche, Hagen der Harte, wahrscheinlich ist er vor dem Interview mit der Nase in einen Haufen Schnee gefallen und hat zu tief eingeatmet. Vielleicht ersetze ich den Hagen bald auch durch einen vernünftigen Trommler, vielleicht diesen Palästinenser, den ich neulich bei dieser Schrägen BigBand-Truppe gesehen hab.
Dass Mäcci nicht mehr in der Band ist, war meine Entscheidung, meine ganz alleine. Es ist schließlich meine Band, meine Texte, meine Kompositionen, ich kümmere mich um die Verträge, ich bekomme die Werbedeals, meine Stimme macht die Musik. Die anderen sind ein Haufen Hunde, Hauptsache sie sehen gut aus und spielen was ich ihnen Befehle. Ein Haufen gut dressierter Hunde und wehe sie bellen, wenn es nicht gefragt ist. Mäcci war einfach nicht stubenrein, böser Junge, du bekommst eine mit der Zeitung, wenn du mir nochmal in den Proberaum pinkelst.
Ich glaube nicht, dass ich irgendwie abgehoben bin oder so oder was, aber diese Mäccisache musste einfach geändert werden. Ich will, dass mein Keyboarder seine Lines so spielt, wie ich sie ihm beigebracht habe und kein „Final Countdown“-Zwischengedudel, Mäcci, du bist so raus, raus, raus raus!! Fidus, der Neue, ist da anders. Zumindest war der da anders, bis zu diesem ersten Konzert. Vor dem Auftritt das selbe Spiel wie eigentlich immer. Hagen zieht ein Paar Lines, zwei Musikreporter werden schnell abgefertigt, Gitarrist Ben stimmt stundenlang an seiner Gitarre rum. Ich will von dem Rumgehänge lieber nichts mitbekommen und stehe noch ein bisschen vorm Spiegel. Ich zupfe hier eine Augenbraue, decke dort noch eine Hautunreinheit ab. Das ist natürlich nicht notwendig, die Frauen würden heute Nacht auch wieder reihenweise umfallen, wenn ich mit einer Baseballmaske auf die Bühne treten würde. Ich tue es trotzdem, denn ich kann mich dabei so schön ansehen. Da es für Fidus das erste Konzert mit einer international erfolgreichen Band war, hatte er doch eine Menge Lampenfieber.
Es schien ihn sehr mitzunehmen, jedenfalls rannte er gute vier Mal im Backstagebad an mir vorbei. Diese feuchten Durchfallgeräusche und dieser beißende Geruch wären sicherlich unerträglich gewesen, wenn ich nicht auf mein Ebenbild im Spiegel hätte blicken können. „Wenn der auf die Bühne scheißt, fliegt er raus“, denke ich. Immer noch im Bad stehend erreicht mich die Nachricht, dass in zehn Minuten die Vorband anfängt. Geheimtipp aus Hamburg, ganz neuer Stoff, die Jungs brennen, sagt man. Ich entdecke noch eine Haarsträhne, die nicht richtig sitzt und lasse nach meiner Hairstylisten schicken.
Ich freue mich riesig, als sich die Tür öffnet, doch es kommt nur der dämliche Gitarrist dieser miesen Hamburger Vorband. Er schwallt etwas von wegen „großes Vorbild“ und stellt mir irgendwelche Fragen, die ich belanglos abnicke. Ich soll seine Fendergitarre signieren, Spezialanfertigung sagt er. Ich nehme die Klampfe und einen Edding in die Hand, setze zur Unterschrift an und lasse die Gitarre „oh sorry“ fallen. Das Konzert spielt er mit einer schäbigen Ersatzgitarre und versucht seine Tränen zu unterdrücken. Tja, Einzelstück, Sonderanfertigung, aber mit abgebrochenen Tonabnehmern kommt trotzdem nichts raus. Später wird die Visions bei ihren Konzertberichten von seiner Verkrampftheit und vom blechernen Gitarrensound schreiben.
Ich lasse meine Haare in Ordnung bringen, lasse mir einen Manhatten mixen, ziehe meinen Cayal nach und beschwere mich beim Veranstalter über die fehlende Artischockencreme beim Buffet. Außerdem ist die Lachsplatte zu warm und der Tomatensalat zu aggressiv. Wie kann man eine Salatsoße mit mehr Basilikumessig als Walnussöl zubereiten? Stümper, mieses Catering, zu viel Säure zerstört meine Stimmbänder. Fidus ist noch am Scheißen, in 15 Minuten sind wir dran. Als unser Intro vom Band erklingt, höre ich die kreischende Masse, mein Gott, das Konzert ist ja auch Minderjährigen zugänglich. Ich treffe den Entschluss, kein Konzert mehr vor Mitternacht zu spielen, verschließe mein linkes Ohr mit Oropax und mein rechtes mit dem in-ear-monitoring-Kopfhörer.
Dann das Konzert. Show wie immer, die neuen Stücke scheinen gut anzukommen, Fidus spielt straight ohne Probleme. Wie immer ekelt mich bereits nach dem zweiten Stück der Anblick der ersten Reihe so sehr an, dass ich nur noch mit dem Rücken zum Publikum stehen möchte. Diese halbnackten, verschwitzten Teenagertitten, die an der Metalabsperrung plattgepresst werden. Ich habe Angst, sie könnten platzen und ich würde von Blut, Milch und Fettgewebe bespritzt werden. Doch das einzige, was auf die Bühne fliegt, sind die Behälter dieser Titten und Stofftiere.
Als ich nach der Zugabe die Bühne verlasse, kommt Roadie Jo auf mich zu, fragt: “Die BHs weg und die Viecher in einen Sack und später zu dir?“. Ich nicke und brauch jetzt erstmal Ruhe. Das Gesicht gewaschen und erstmal eine Kirschsaftschorle. Die Band gratuliert Fidus zu seinem Einstand, trinkt Bier und Gin Tonic im Backstage. Ich nicke ihm auch kurz zu, mach mich dann aber direkt auf zum Fahrer und lass mich ins Hotel bringen. Den Rucksack mit den Stofftieren halte ich die Fahrt über im Arm, in meiner rechten Hand führe ich eine Flasche Absinth mit. Der gute - altes, tschechisches Rezept, feines, zartes Grün, kräftiger Geschmack.
Meine Hotelsuite finde ich so vor, wie ich es gefordert habe, dicke schwarze Vorhänge, viele weiche Kissen und eine Sauerstoffmaske mit zwei vollen Sauerstoffflaschen neben dem Bett. Zuerst muss ich zum Spiegel im Badezimmer, mich ansehen, meine weichen Lippen bewundern. Ich trage etwas Lipcare auf und ziehe mir T-Shirt und Hose aus. Im Spiegel kann ich jetzt meine Schlüsselbeinknochen sehen, ich muss sie anfassen, ja, so eine schöne Form. Ich lege mich in meiner Unterhose ins Bett und denke an meine Großtante. Sie war eine echte, dicke Rubensfrau. Mir wird etwas schlecht und ich fülle mir erstmal einen Absinth ein. Zwei weitere Absinth später forme ich aus meiner Bettdecke und meinen Kissen eine Frau, die meiner Großtante ähnelt. Ich brauche viele Kissen dafür. Dort, wo ihr Schritt ist, setze ich die Absinthflasche an und lass laufen. Ich beginne an der Stelle zu lecken und sauge die inspirierende Flüssigkeit aus der Decke. Meiner Großtante scheint es zu gefallen, sie liegt ganz entspannt da und lässt es mit aller Ruhe passieren. Bei dem Gedanken daran, mit ihr zu schlafen, schrecke ich zurück. Mir wird schwindelig und ich setze erstmal meine Sauerstoffmaske auf. Meine Großtante versucht mich wieder zu sich zu ziehen, doch ich kann die Kissen rechtzeitig aus meinem Bett werfen. Meinen Höhepunkt werde ich doch nicht sinnlos an eine unbedeutende Affäre verschwenden, besonders nicht, wenn sich meine wahre Liebe im Raum befindet. Ich höre sie bereits rufen, unzählige, kleine, süße Stimmchen, sie rufen nach mir.
Ich greife wahllos in den Sack und ziehe einen kleinen, braunen Bären heraus. Er zittert. Wunderbar, er ist nervös, es scheint sein erstes mal zu sein, unberührter kleiner Steifbär. Sein Innenleben ist aus dieser etwas härteren Watte, ich spüre es sofort. Nachdem er gekommen ist, verstreue ich die anderen Kuscheltiere auf dem Boden. Welches ist das Glückliche, welches darf als nächstes? Ich greife mir ein kleines Krokodil, dann fertige ich einen weiteren, dankbaren Bären ab. Wenn er vorher kein Glücksbärchi war, dann ist er es jetzt. Ich werde immer rasender, greife mir Tier um Tier, Figur um Figur und zuletzt mit besonderer Hingabe Regina Regenbogen. Sie ist so schön klein, ich fülle sie ganz aus, strenge mich an und komme gleichzeitig mit ihr in ihr. Wir schlafen zusammen ein. Am nächsten morgen steht Fidus fassungslos vor mir, ich liege noch nackt im Bett, überall Federn, Watte und Stofffetzen. Ich lächle Fidus an und überlege mir einen neuen Keyboarder für die Band.
   



Unsere Texte nach Ressorts
GESELLSCHAFTPOLITIKKULTURREISEUMWELTWIRTSCHAFTSPORT
Ein sächsisches Dorf kann auch andersNewtons zweiter SiegWo Nachbarn zur Familie gehörenNur kein zweites KreuzviertelLiebe über den Tod hinausJede Fahrt eine DrogenfahrtEine Million Euro für die Cannabis-LobbyArmutszuwanderung? Eine Untergrunddebatte!Mails verschlüsseln leicht gemachtVerschlüsseln - eine Notlösung Soziale Demokratie geht auch ohne SPDBedingt verhandlungsbereitDas vergessene Massaker von AndischanDas Ende von Lüge und SelbstbetrugGeteiltes Volk einig im Kampf gegen IS-TerrorDie Urkatastrophe und wirDas Ende rückt immer näherNeue Regierung, neue Krisen, neue FehlerMerkels neues WirHausfotograf der deutschen Sozialdemokratie Liebeserklärung eines Linksträgers. Oder...Mit der Lizenz zum AusrastenDer beste Mann für Afghanistan"Weil sie auch nur Opfer sind"Gestatten, Gronausaurus!Missratenes PashtunenporträtDie Band LilabungalowWo Leibniz und Wagner die Schulbank drücktenHitler in der Pizza-SchachtelDie Freiheit des Radfahrens In der Wildnis vergessenStau in der FahrradhochburgMitfahrer lenken selbstÜber Wroclaw nach Lwiw - eine verrückte TourIm Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 2Im Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 1Sounds of KenyaDie 41-Euro-SündeRive Gauche vs. Rive DroiteOranje im Freudentaumel Drei Naturerlebnisse in einemDas Gegenteil von KollapsDas Gift von KöllikenDas große Pottwal-PuzzleBio bis in die letzte FaserDer WonnemonatKlimakiller sattDer Monsun - vom Quell des Lebens zum katastrophalen NaturphänomenR136a1 - Schwerer und heller als die SonneDie Rückkehr zur Wildnis Wie die Hausverwaltung GMRE ihre Mieter abzocktWachstum und BeschäftigungSo schmeckt der SommerMakler der LuxusklasseGeburtshelferinnen vom Aussterben bedrohtVersenkte Milliarden und eine verseuchte BuchtWohnungen als WareAufstieg, Krise und Fall der AtomwirtschaftDie längste Brücke Deutschlands entstehtDie Geschichte der 'Alternativlosigkeit' - Teil 2 Fußballtempel MaracanãGlanz und Niedergang der Fanclubsiley.de drückt Maschine Münster die DaumenUnsere Veranstaltungsreihe im Web TVFrankreich ist ein heißer Kandidat fürs FinaleSpanien wird den Titel verteidigenFür Deutschland ist im Halbfinale SchlussPolen hat das Zeug für eine ÜberraschungForscher, Fans und PolizeiFußball im Würgegriff der Mafia
 
Ja, auch diese Webseite verwendet Cookies. Hier erfahrt ihr alles zum Datenschutz