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Kleine Monster überholen Giraffe, Esel und Löwe
WIRTSCHAFT | SÜDAMERIKA (11.15.2008)
Von Oliver Tappe
Hochwertige Handarbeit, Gemeinnutz und Spaß: All dies vereinigt Sascha Wundes mit seinem nun schon vier Jahre alten Fingerpüppchen-Business.

Zwei Jahre nach seinem ersten Gespräch mit iley stellt er sich erneut den Fragen von Oliver Tappe.

iley: Sascha, aus Deiner Idee, mit bolivianischen Frauen zu kooperieren und deren Strickerzeugnisse in Deutschland zu verkaufen, hat sich eine produktive transatlantische Zusammenarbeit entwickelt. Was sind die größten Neuerungen?

alle privat

1. Bild:Vor allem erwachsene Kunden bestellen bei Sascha Wundes diese kleinen Monster. 2. Bild: Sascha Wundes in Bolivien 3. Bild:Strickerin Video: Rockende Püppchen (c) alle privat

S.W.:(pickt eine quietschblaue Figur aus dem bunten Puppenhaufen heraus): Wir haben einige neue Designs entwickelt, so wie dieses blaue Monster. Eigenkreation. Ich habe eine Vorlage gezeichnet und meine bolivianischen Kolleginnen haben sie kongenial umgesetzt. Generell hat sich die Palette erweitert. Es werden nicht mehr nur Kinder angesprochen, sondern auch Erwachsene.

iley: Du warst mit Deinen kleinen Freunden kürzlich auch auf einer Messe präsent...

S.W.:... auf der INNOWA in der Dortmunder Westfalenhalle. Da waren diese Monster der Top-Seller und haben sogar die Klassiker wie Giraffe, Esel und Löwe überholt.

iley: Wie verläuft den der Weg hin zu solch einer Eigenkreation?

S.W.: Ich nehme Papier und Stift und fange einfach an zu zeichnen. Einfache Formen, vorerst einfarbig. In diesem Falle dann charmante große Augen, rote Stupsnase und ein breiter Mund. Sieht erst mal ganz brav aus, das Monster, aber sobald man wegschaut... (Macht Faxen mit der Fingerpuppe.)

iley:Putziges Vieh... Indem Du mittlerweile nicht nur bekannte Tierfiguren als Vorlage nimmst, sondern eigene Ideen umsetzt, ist Deine Beziehung zu den Verkaufsobjekten offensichtlich enger geworden. Gab es da in den letzten Jahren Schlüsselerlebnisse?

S.W.: Anfang 2007 war ich wieder in Südamerika, um zusätzliche Kooperationspartner zu finden – sprich Frauengruppen, die Fingerpüppchen stricken. Einige haben Kunden wie mich in der ganzen Welt und daher entsprechend viel zu tun. Das kann zu Lieferengpässen führen, daher arbeite ich mit mehreren Gruppen. Hinzu kommt die politische Lage in Bolivien, die etwas unsicher geworden ist. Ich bin dann also auch nach Peru gereist und habe dort ebenfalls Kontakte geknüpft. Mittlerweile arbeite ich mit sechs verschiedenen Frauengruppen in Bolivien und Peru zusammen.

iley: Wie muss man sich diese Kontaktaufnahmen vor Ort vorstellen?

S.W.:Ich habe mit den strickenden Frauen zusammen auf dem Feld und ihnen dabei mein Konzept erläutert. Was ja nichts Neues ist, da sie seit Jahren für Touristen produzieren und auch Großabnehmer in Übersee haben. Jedenfalls lernt man sich dabei gut kennen. Ich selbst habe durch diese gemeinsame Arbeit gelernt, was so ein Strickmuster beinhalten muss, damit eine gute Fingerpuppe am Ende herauskommt.

iley:Hast Du selbst gestrickt?

S.W.:Nein, aber ich habe gute Einblicke erhalten. Man muss sich das so vorstellen: Die Frauen tragen ihr Strickzeug immer bei sich und stricken, sobald sich die Gelegenheit bietet. Wenn das Baby gewickelt oder der Kochtopf auf dem Herd ist, wird weiter am Fingerpüppchen gearbeitet. In kaum einer Stunde ist so ein Püppchen fertig.

iley: Und das bei so vielen kleinen Details. Zum Beispiel dieser Elefant hier...

S.W.: Das ist ein Mammut. Dazu gehört dieser Neandertaler mit seiner Keule. Hierbei handelt es sich um eine Auftragsarbeit. Die kundin ist Archäologin und beliefert archäologische Museen mit unterschiedlichen Sachen, seien es Nudeln in Knochenform oder eben diese Fingerpüppchen.

iley:Faszinierend.

S.W.: Ja, die Arbeit der Frauen ist sehr beeindruckend. Das sind Künstlerinnen mit Nadel und Faden. Bei diesem Mammut hier wurde mir eine grobe Vorstellung zugeschickt, das Mammut sollte kleine Ohren haben, enorme Stoßzähne und deutlich mehr Haare als der Elefant. Die Fingerpuppe wurde dann solange verändert, bis es passte und umsetzbar erschien. Meine Kunden haben eine genaue Vorstellung und es dauert meist eine Weile, bis sie sagen: Sehr schön, in Ordnung, davon nehmen wir jetzt 300 Stück.

iley: Du betreibst dieses Geschäft mittlerweile seit vier Jahren. Bei unserem letzten Gespräch warst du meist auf Trödelmärkten und hast Kindergärten beliefert. Das Online-Geschäft war eher übersichtlich. Was hat sich seither getan?

S.W.: Kindergärten und Trödelmärkte sind weniger geworden. Manchmal mache ich einen kleinen Stand auf Trödelmärkten, gerne auf dem Kinderflohmarkt am Kemnader See in Bochum. Auf der anderen Seite ist der Online-Shop nun größer. Vom Google-Ranking bis zur Bedienerfreundlichkeit sind wir auf einem guten Weg. Daneben besuche ich Ausstellermessen, wo Geschäftsbesitzer ihre Läden bestücken. Bei solchen Messen habe ich meinen Platz zwischen Kühlschrankmagneten und Blumendeko gefunden. Entsprechend sind meine Püppchen mittlerweile in den Regalen unterschiedlichster Läden zu finden.

iley:Spielzeugläden?

S.W.: Nicht unbedingt. Auch Einrichtungshäuser und Designerläden mit eher trendigen Verkaufsstücken gehören zu meinen Abnehmern. Ein guter Kunde hat einen Plattenladen in Berlin Prenzlauer Berg. Samstags vormittags kommen die Papis, um sich eine Platte zu kaufen und ihre Kinder spielen solange mit den fipüs und nehmen dann auch gerne welche mit. In Spielzeugläden haben die Fingerpuppen dagegen natürlich eine ordentliche Konkurrenz.

iley:Dann laufen die Püppchen also besser in Läden, wo sie eher als überraschendes Element ins Auge fallen?

S.W.:Kann man so sagen. Die Klientel sind dann natürlich Erwachsene, denen ich entsprechend andere Kategorien von Fingerpüppchen biete. Weniger Löwe und Tiger, mehr kleine Monster oder Teufelchen. Ich höre mir auch immer gerne neue Ideen der Ladenbesitzer an. Dadurch bekomme ich selbst wiederum neue Anregungen.

iley: Mit denen Du Dich dann wieder ans Karopapier setzt...

S.W.: ... und mich an einem neuen Fingerpuppen-Modell versuche. Genau. Hier haben wir zum Beispiel eine Maßanfertigung für eine Sprachschule für Kinder. Dort wird auf spielerische Art und Weise Englisch unterrichtet. Dafür eignen sich Fingerpüppchen hervorragend, weil die Kinder indirekt über die Püppchen sprechen und schneller ihre Schüchternheit ablegen. Als Vorlage dienen Figuren aus den jeweiligen Lehrbüchern. Außerdem habe ich für einen Baustoffhändel sein Firmenmaskottchen als Fingerpüppchen gestaltet. Fand großen Anklang.

iley:Wie sind die Fingerpüppchen eigentlich entstanden?

S.W.: Es gibt in Peru und in Bolivien den Brauch, sich gegenseitig Miniaturen zu schenken, und zwar Miniaturen von allem, was man sich vorstellen kann: Kleine Häuser und Autos, kleine Bügelbretter, Kettensägen, Handys, Mini-Playstations und Gartengeräte aller Art.

iley: Auch kleine Tiere?

S.W.:Auf jeden Fall. Wenn ich einem Bauern eine größere Herde wünsche, dann schenke ich ihm beispielweise drei Metallschweinchen oder gestrickte Schweinepuppen. Auf speziellen Jahrmärkten, Alasitas genannt, gibt es Unmengen solcher Miniaturen. Sehr beliebt sind auch kleine Koffer voller Miniatur-Geldscheine.

iley: Als Geschenk, um jemandem Glück für die Zukunft zu wünschen.

S.W.: Genau. Ist jemand schwanger, schenkt man eine kleine Wiege und ein Nuckelfläschchen. Baut jemand ein Haus, schenkt man ihm ein kleines Modell eines Hauses. Diesen Brauch gibt es schon sehr lange. Die Fingerpüppchen sind dabei aus den Herdentieren entstanden, die gerne als Miniaturen gestrickt wurden. Ein Teil des Körpers wurde dazu weggelassen und durch die Öffnung für den Finger ersetzt. Diese Entwicklung ist gerade mal acht Jahre her, und es wurde damit in erster Linie der Tourismus-Markt bedient.

iley:Du hast 2007 auch einen Verein gegründet: Cholita e.V.

S.W.: Benannt nach den Indio-Frauen des südamerikanischen Hochlands, den Cholitas.

iley:Was hat es mit dem Verein auf sich?

S.W.: Von jedem verkauften Fingerpüppchen mit dem original Fingerpüppchen-Etikett gehen 30 Cent in die Vereinskasse, deren kompletter Inhalt – samt zusätzlicher Geldspenden und Mitgliedsbeiträge – meinen Partnerdörfern in Südamerika zugute kommt. Man hätte auch direkt den Arbeitslohn der Frauen erhöhen können, was allerdings zu Neid und Missgunst innerhalb der Dorfgemeinschaften führen könnte. Selbst wenn ein höherer Lohn nach meinem Verständnis von Wert und Arbeit durchaus verdient wäre. Nun machen wir den Umweg über den Verein, da überweise ich entweder zu Ostern und zu Weihnachten eine Summe Geld oder bringe sie persönlich vorbei. Im Februar werde ich wieder nach Südamerika reisen und das Geld, das sich mittlerweile in der Vereinskasse angesammelt hat, mitbringen. Mit dem Betrag kann man vor Ort natürlich eine Menge machen. Ich möchte vor allem Bereiche des alltäglichen Lebens fördern. Dinge des täglichen Bedarfs kaufen wie Töpfe oder Gaskartuschen zum Kochen, aber auch Schulhefte, Stifte und ähnliches. Also keine großen Projekte, wo man nicht weiß, wo sie hinführen, sondern kleine Erleichterungen des Lebens im Hochland. Ideal wäre auch, mit dem Geld lokale Initiativen zu fördern. Mit ein paar Euro Zuschuss könnte eine Organisation vor Ort zum Beispiel einen zusätzlichen Mitarbeiter anstellen. Ich würde mich dann verbindlich festlegen und für ein Jahr ein monatliches Gehalt zahlen. So lassen sich bereits bestehende Initiativen vorantreiben.


iley: Das heißt, Du möchtest auf dieser Mikroebene die vorhandenen Strukturen stärken und weiter entwickeln.

S.W.: Aber natürlich nur im überschaubaren Rahmen. Wichtig ist, dass die Arbeit von den Initiativen vor Ort nicht vom Geld von Cholita e.V. abhängig sind. Statt aus drei Mitarbeitern 30 zu machen, setzen wir auf kleinere Sachen, die dafür weiter gestreut sind. Das wird allerdings mit der Zeit wachsen.

iley: Hoffst Du darauf, dass sich bestimmte Ansätze auch nach Deinem Engagement allein weiter entwickeln?

S.W.: Das ist natürlich ideal. Man muss aber auch vorsichtig sein. Wie das halt so ist, wenn es ums Geld geht. Da wird bisweilen mehr zerstört als geholfen. Eine Summe wie 1.000 Euro kann das Vorstellungsvermögen sprengen, wenn der monatliche Durchschnittslohn bei 60 Euro liegt. Das wäre in etwa so, als würde mir jemand 40.000 Euro in die Hand drücken und sagen: Mach mal. Da sind dann 500 Euro schon übersichtlicher und sinnvoller in das eigene kleine Geschäft einzubringen. Entsprechend vorsichtig und überlegt müssen wir in Südamerika an die Sache herangehen.

iley: Konzentriert sich die Vereinsarbeit in erster Linie auf die Dorfgemeinschaften der strickenden Frauen?

S.W.: Nicht nur. Der Verein ist gegründet worden zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen im andinen Hochland. Auch Straßenkinderprojekte und ähnliches sind potenzielle sinnvolle Fördermöglichkeiten, die der Verein in den Fokus nehmen könnte. Im Zuge der gestiegenen Nahrungsmittelpreise macht es auch Sinn, eine große Menge Reis vor Ort einzukaufen und an 200 Familien eines Bergdorfs zu verteilen.

iley:Zum Abschluss noch ein ganz anderes Thema: Ihr habt ein Youtube-Video gedreht, worin einige Fingerpüppchen zu „Rage against the Machine“ rocken. Nicht unbedingt kindgerechte Musik, also eher was für die erwachsene Klientel?



S.W.: Ja. Ich mach das auch in erster Linie für mich, weil ich daran Spaß habe. Im Grunde die Vereinigung von meiner Kultur mit Fingerpüppchen. Es wird in Zukunft auch mehr hinzukommen. Wir planen, Hörspiele nachzuspielen oder berühmte Filmsequenzen mit Fingerpüppchen in Szene zu setzen. Der Pate, Titanic oder Pulp Fiction zum Beispiel. Ich baue dann eine kleine Kulisse und wir spielen eine drei- bis vierminütige Sequenz nach.

iley: Klingt lustig.

S.W.: ... und hilft mir auch dabei, die Püppchen nicht immer nur als Ware wahrzunehmen, sondern weiterhin Spaß an der Sache zu haben.

iley:Vielen Dank für das Gespräch!

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