"Fast wie eine Religion"
KULTUR | ORTSWECHSEL (15.02.2007)
Von Jörg Rostek | |
"Wir machen unsere eigene Scheiße" - und die ist uns wichtig. Bisher haben wir noch keine Studioaufnahmen gemacht. Dafür sind wir aber ganz gut. Wir kommen von der Straße, weil wir uns dort treffen und nicht, weil wir irgendwelche Gangster sind." Class Records, die Hip Hop-Crew lebt in Buchen, einer Kleinstadt mitten im Baden-Württembergischen Odenwald. "Class" hat bereits ein Mixtape veröffentlicht und kostenlos zum Download ("einfach so") ins Internet gestellt. Dass ihnen das nicht genug ist, hört man. "Wenn man seine Sache nicht gut macht, macht man sich lächerlich. Ich meine, wer will in Buchen schon Rapstar werden", sagt Mr. Moe, für Class Records einer der drei (manchmal auch vier) MCs, und fügt hinzu: "Wir versuchen die Leute anzusprechen, damit sie uns verstehen." Die nach eigenen Aussagen 12-köpfige Hip Hop-Crew will endlich ins Studio. Die MCs von Class Records: Mr. Moe, Dam und M-Nero (v.l.). (c) Jörg Rostek Es ist 1.30 Uhr nachts. Class Records haben gerade ein Konzert hinter sich. Das Publikum war nicht raumsprengend aber dafür umso begeisterter. "Wir haben schon einmal darüber nachgedacht aus Buchen wegzugehen. Vielleicht, wenn wir irgendwann mal größer sind und ein wenig Kohle haben, ziehen wir auch in eine andere Stadt." Alle nicken. Hip Hop in der Provinz Buchen ist nicht groß, eher Provinz. Aber für den Anfang sollte es reichen. Die Jungs kennen ihre Wurzeln. "Hip Hop ist das ganze Leben. Man hat sich danach eingerichtet. Man hört jeden Tag Hip Hop. Man kleidet sich so. Man redet so. Das ist fast wie eine Religion. Das ist mehr als ein Lifestyle", sagt M-Nero, der zweite MC. Nero ist wie Mr. Moe dunkelhäutig. Leider hat das, wie der Hip Hop ("Manchmal gebe ich auch Unterschriften auf Körper."), nicht nur Vorteile. "Wenn man Ausländer ist, dann wird man vor bestimmte Probleme gestellt. Die sind einfach schon da. Es gibt Menschen, die müssen eine bestimmte Art von Problemen nie kennen lernen" meint M-Nero abgeklärt, erfahren, ruhig. "Für mich ist das mittlerweile normal geworden, wenn die Leute komisch gucken oder etwas Dummes sagen. Mich irritiert das nicht mehr. Ich denke mir: scheiß egal. Wir sind eh alle gleich", schließt er ab. In Buchen zu bleiben, scheint nicht einfach zu sein. Dam, MC Nummer drei von Class Records, kommentiert seinen Bezug zum Sprechgesang so: "Ich verarbeite mit Hip Hop die Dinge, die mir passieren. Ob mir Gutes oder Schlechtes passiert ist dabei egal. Das sind meine Gefühle. Hip Hop ist meine Art, mich mitzuteilen. Und nachdem ich darüber einen Text geschrieben habe, schließe ich mit der Sache ab." Dam ist halber Kasache. Er berichtet, dass ihn deutsche Eltern von ihren Kindern fernhielten. Sein deutsch war ihnen nicht gut genug. Diese Eltern haben sicher nicht im Traum daran gedacht, dass sie einen zukünftigen Schnellsprecher diskriminierten. Mr. Moe machte ähnliche Erfahrungen: "Natürlich bekommt man das von klein auf mit. Es gibt hier eine Dorf-Diskothek, die lässt keine Ausländer rein. Man könnte sie ja überfallen, jemanden umbringen oder alle Frauen vergewaltigen. Rassismus im Jahr 2006/07? Wenn so etwas passiert, ist das doch total arm." Alle nicken. Wie richtige Hip Hopper. Hip Hop und Herkunft Überhaupt sind Hip Hop und Herkunft eng miteinander verbunden. "In den USA waren es ja auch die Schwarzen, die viele Probleme hatten und sich gegen die Weißen durchsetzten mussten", meint M-Nero und ruft damit nicht zu einem Rassenkampf auf, sondern bezieht sich auf die Wurzeln des US-amerikanischen Hip Hop. Musik ist für ihn nicht nur "ein Mittel, um Party zu machen und Probleme zu vergessen, sondern auch, um Probleme zu beschreiben". Genau das ist die Mischung, die Class Records ausmacht. Die gelungene Balance zwischen Party und Anspruch. Wilson sagt: "Hip Hop ist eine Möglichkeit, Missstände anzuklagen und ein Sprachrohr zu sein." Class Records wirft dem heutigen Hip Hop vor, diese Eigenschaft verloren zu haben. Dam kritisiert: "Heute empfinden viele Hip Hop als Partymucke. In dem Moment springt Hip Hop aus seiner ursprünglichen Rolle heraus. Hip Hop ist heutzutage hauptsächlich Party geworden und es dreht sich selten darum, wie schlecht etwas ist." "Hip Hop hat sich entfremdet" FlashR ist der Mann hinter den Plattentellern, gemütlich und lässig. Aber wenn er über den Hip Hop der Gegenwart spricht, legt er diese Lässigkeit ab, wird angespannt. "Es gibt Hip Hopper in Deutschland, die über Ghettos schreiben. In den USA ist ein Ghetto aber etwas anderes als hier. Tu Pacs Mutter war cracksüchtig. Deshalb ist sie ausgezogen. Er hat dann selbst Crack verkauft, weil er von irgendwas leben musste. In Deutschland gibt es Leute, die haben sich vielleicht früher in Berlin ein bisschen rumgeprügelt und machen jetzt auf fetten Gangster." Mit dem Thema "Deutscher Hip Hop der Gegenwart" sticht man bei Class Records in ein Wespennest. Jedes Crewmitglied will dazu etwas sagen. Plötzlich geht das Aufnahmegerät von Hand zu Hand. "Der Hip Hop in Deutschland hat sich ziemlich entfremdet. Eine Menge Rapper glauben, sie bringen jetzt den Rap zurück. Aber stattdessen wollen die Kohle. Machen Tracks, damit sie weit oben in den Charts landen, anstatt eine message zu vermitteln." Und Kay, der ebenfalls Musik für Class Records produziert, weiß: "Wenn man MTV einschaltet, erkennt man, dass da selten Rapper sind, die eine Botschaft haben. Das meiste Zeug ist Kommerz. Alle labern, sie kämen aus den Ghettos, dabei sind sie in Wahrheit auf irgendeine Privatschule gegangen. Die bleiben dann one-hit-wonder. Haben zwar Geld, bringen aber nichts rüber." M-Nero schreckt auch nicht davor zurück, seine Vorbilder zu kritisieren: "Samy Deluxe zum Beispiel, der hat ja auch damit angefangen über sein Leben und seine Erlebnisse zu schreiben. Jetzt gehen ihm die Idee aus und er schreibt jetzt darüber, was er denn für ein Gangster ist und der reichste und der beste Rapper wäre. Wenn Du aber jung bist, dann gehen dir die Idee nie aus." Über den deutschen Hip Hop sagt Dam: "Anfänglich war der deutschsprachige Hip Hop sehr storylastig. Die Rapper haben Geschichten erzählt. Da hat alles auf skills aufgebaut. Samy Deluxe hat früher in seinen Texten auf Markennamen geschissen. Heute rappt er, ich hab DAS und DAS und DAS." Die Enttäuschung sitzt tief, bei Class Records. Die gefallenen Helden sind zahlreich. "Ich will nicht wie Bushido enden" Heute fehle ihnen im Hip Hop die "Abwechslung". Jeder Hip Hopper hätte "seinen eigenen Style" gehabt. Mr. Moe: "Mitte, Ende der 90er Jahre war der Rap in Deutschland echt gut. Es gab viele Styles aus den verschiedenen Bundesländern. Die haben nicht für Geld gerappt, sondern für die Kunst. Heute ist das nur noch Kohlemacherei. Oft ist die Kunst verloren gegangen. Die Kids heute wissen gar nicht, was guter Rap ist. Wenn man denen guten Rap zeigt, dann gefällt denen das gar nicht. Die sagen dann nur "Fick deine Mutter". Das ist echt schwach." "Schlecht geklaut", sei dass, kommentiert Wilson und "nicht gut gemacht". Hohe Ideale sind es, die die jungen Buchener Hip Hopper verteidigen. "Bevor ich mich verkaufe, lasse ich es lieber sein. Ich will nicht wie Bushido enden", sagt Mr. Moe, und fügt hinzu "Bushido hat sich verkauft. Der will jedes Rapbattle gewinnen, würde aber jedes verlieren. Der hat es zwar geschafft, weil er als guter Geschäftsmann wusste, was der Markt will. Aber jeder richtige Hip Hopper weiß, dass er das nicht verdient hat. Vor Curse zum Beispiel haben alle Respekt. Der zieht sein Ding durch und ist sich treu geblieben. Der ist zwar kein Superstar-Rapper, aber bevor der sich verkauft, verdient er lieber weniger." Ob der Idealismus von "Class" auch in Zukunft, im Falle des Erfolges, erhalten bleibt, liegt allein in ihrer Hand. Sie planen in ihrem Proberaum (eine ehemalige Bäckerei) eine Gesangkammer aufzubauen, um studioähnliche Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dann wollen sie ein zweites Mixtape produzieren. Einige Songs sind bereits neu entstanden. Das Mixtape wollen sie dann "underground" verteilen. Das dritte Album soll dann die Bombe sein. "Ihr könnt uns nicht aufhalten, vergesst es", ist ihr Abschlusskommentar. Und alle nicken. Zu Class Records gehören: Mr. Moe ("Ich bin Rapper, ein Teil der Milchschnittrecords") M-Nero ("Wir machen Kacke und leben für Musik") Dam ("Ich bin der einzige Weiße und ich werde unterdrückt!") DJ FlashR ("DJ, ich lebe für Hip Hop, Dicker!")- Kay ("Das meiste Zeug ist Kommerz") Wilson ("Heutzutage verkauft sich nur Müll") H to da P ( "Ich bin der Schönste von den Jungs") |