Israel wird den Iran nicht angreifen
POLITIK | NAHER OSTEN (25.04.2012)
Von Uri Avnery | |
Israel wird den Iran nicht angreifen. Punkt. Die Vereinigten Staaten werden den Iran nicht angreifen. Punkt. Die USA werden nicht angreifen. Nicht in diesem Jahr und nicht in den kommenden Jahren. Aus einem Grund, der bedeutender ist als wahltaktische Gründe oder militärische Beschränkungen. Der Publizist Uri Avnery (*1923) war lange Zeit Abgeordneter im israelischen Parlament. Er setzt sich für den Frieden zwischen Israel und Palästina ein. (c) privat "Wenn du die Politik eines Landes verstehen willst, wirf einen Blick auf die Landkarte", sagte Napoleon. Minuten nach einem Angriff wird der Iran die Straße von Hormus sperren, durch die fast alles exportierte Öl in der Welt aus Saudi Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuweit, Qatar, Bahrain, Irak und Iran gefahren werden muss - 40 Prozent des auf dem Seeweg transportierten Öls passiert diese Meerenge. Ein paar Minuten später werden alle Ölpreise steigen, sich verdoppeln, verdreifachen, vervierfachen - und die USA und die globale Wirtschaft werden zusammenbrechen. Solche kleinen Probleme belasten die Gehirne von Generälen, militärischen Kommentatoren und anderen weisen Leuten nicht, die die Welt nur zwischen Sicherheits-Scheuklappen wahrnehmen. Die Meerenge zu schließen, wäre die leichteste von militärischen Operationen. Ein paar Raketen, die entweder vom Meer oder von der Küste abgefeuert werden, würden genügen. Um sie zu öffnen, würde es nicht genügen, die mächtigen US-Flugzeugträger auf Kreuzfahrt zu schicken. Die USA müssten große Teile des Iran besetzen, um die Meerenge aus der Reichweite iranischer Raketen zu nehmen. Der Iran ist größer als Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien zusammen. Es würde ein langer Krieg werden, etwa wie der Vietnamkrieg. Für den Iran gibt es keinen Unterschied zwischen einem israelischen und einem amerikanischen Angriff. Sie würden gleich behandelt. In beiden Fällen wären die Folgen die Absperrung der Meerenge und ein langer Krieg. All dies ist für die USA mehr als genug, um nicht anzugreifen und Israel zu verbieten anzugreifen. Krieg wäre eine nationale Katastrophe Es sind 56 Jahre her, seit Israel ohne Einverständnis der Amerikaner einen Krieg begann. Als Israel dies tat, nahm US-Präsident Eisenhower alle Errungenschaften des Sieges bis zum letzten Millimeter weg. Vor dem Sechstagekrieg und am Vorabend des 1. Libanonkrieges sandte Israel Sonderbotschafter nach Washington, um ein eindeutiges Einverständnis zu erhalten. Falls es dieses Mal gegen den Willen der Amerikaner angreifen würde: Wer wird das Arsenal der IDF (Israel Defense Forces) wieder aufstocken? Wer würde die Städte Israels schützen, die vielen Zehntausenden von Raketen aus dem Iran und seinen Anhängern ausgesetzt wären? - ganz zu schweigen von der Welle von Antisemitismus, die erwartet werden kann, wenn die amerikanische Öffentlichkeit erst einmal herausgefunden hat, dass es Israel war und Israel allein, das ihnen eine nationale Katastrophe eingebracht hat. Amerikanischer diplomatischer und wirtschaftlicher Druck könnte ausreichen, den Run der Ayatollahs auf die Bombe zu stoppen. Er funktionierte im Libyen Gaddafis und geschieht in Nordkorea. Die Perser sind eine Nation von Händlern, und es könnte möglich sein, einen Deal auszuhandeln, der sich für sie lohnen würde. Dies ist aber wohl zweifelhaft, weil die Neo-Konservativen in Washington vor ein paar Jahren leichtfertig darüber redeten, wie leicht es sein würde, den Iran zu besetzen - was die Iraner sicherlich davon überzeugte, dass sie die effektivste Abschreckungswaffe benötigen. Was hätten wir an ihrer Stelle getan? Oder eher, was haben wir tatsächlich getan (laut ausländischer Berichte etc.), als wir in ihrer Position waren? Also was wird geschehen? Wenn kein Deal erreicht wird, wird der Iran nukleare Waffen entwickeln. Das ist nicht das Ende der Welt. Wie von einigen unserer mutigeren Sicherheitschefs angedeutet wurde, ist dies keine existenzielle Bedrohung. Wir werden in einer Situation eines Terrorgleichgewichts leben. Wie Amerika und Russland während des Kalten Krieges. Wie Indien und Pakistan jetzt. Das ist nicht angenehm, aber auch nicht zu schrecklich. Der Iran hat seit tausend Jahren kein anderes Land angegriffen. Ahmadinejad redet wie ein wilder Demagoge, aber die iranische Führung handelt tatsächlich sehr vorsichtig. Israel bedroht keine iranischen Interessen. Gemeinsamer nationaler Selbstmord ist keine Option. Der Bildungsminister Gideon Sa'ar prahlte mit Recht, dass es Netanjahu gelungen sei, die Aufmerksamkeit der ganzen Welt von den Palästinensern weg und auf das iranische Problem hinzulenken. Tatsächlich ein fantastischer Erfolg. Obama sagt ihm in Wirklichkeit: OK, geh und spiel' mit den Siedlungen, soviel du magst, aber bitte, lass‘ den Iran den Erwachsenen. Aus dem Englischen übersetzt von Ellen Rohlfs. ----------------------------------------------------------------------------------- Dieser Beitrag ist in der Zeitschrift Amos erschienen. Das Onlinemagazin iley und das Printprodukt Amos kooperieren auf unbestimmte Zeit. Die Idee: Onlineartikel gehen bei Amos in den Druck und ausgewählte Printartikel wandern bei iley ins Netz. ------------------------------------------------------------------------------------- |