'Kunst aus der Schweiz' - Berge im Kopf
KULTUR | MIT OFFENEN AUGEN (15.09.2008)
Von Michael Billig | |
Mit einer Mischung aus routinierter Seriösität, stiller Zufriedenheit und heimlicher Neugier begegnet er dem verstörten Blick einer Besucherin. Ein Blick, der sagt, was die Frau nicht in Worte packen kann. Ihre Augen sehen nicht das, was sie felsenfest erwartet hatte. Ein großer Bilderberg muss es in ihrem Kopfe sein, den die Frau nun Stein um Stein abtragen müsste. Schafft sie das? Hier in diesem Haus in der Altstadt Münsters, ein enger Raum mit weißen Wänden um sie herum und Rollrasen unter ihren Füßen. Die Frage, ob sie hier denn richtig sei, verfestigt sich in ihrer Mine. Dabei ist es noch keine Minute her, dass sie mit ihrer Freundin eingetreten ist - durch ein kleines, hölzernes Tor. Ihr Eindruck, möglicherweise am falschen Ort zu sein, hat sich in Sekundenschnelle gebildet. Die zwei lebendigen Kaninchen, eines mit sehr langen Ohren, werden das ihrige dazu beigetragen haben. Ihre Anwesenheit erklärt zumindest die Möhren auf der Wies'n. Ein junger Mann ist ganz in Schwarz gekleidet. Er sieht nicht so aus, als würde er zum Inventar gehören. Aber so gerade wie er dasteht und sich auskunftsfreudig mit Leuten umgibt, macht es den Eindruck, als gehöre das Inventar zu ihm. Im Gesicht der Frau zeichnet sich eine Entscheidung ab. Sie "Kunst aus der Schweiz": Wer nah entlang geht, nimmt das Kreuz kaum wahr, lugt hindurch - und traut seinen Augen nicht. (c) M. Billig Die Freundinnen beugen sich über das bunte Blatt Papier. Als einer von fast 50 Veranstaltungshinweisen zur Langen Nacht der Museen und Galerien ist es auf Seite 35 aufgeführt, als zweites von oben. "Galerie Goeken, Rosenplatz 10." Jae hats gehört. "Ja, das ist hier." Diese Bestätigung hilft den Damen aber nur bedingt aus ihrer vertrackten Situation. Sie gucken sich an und die Frage, die ihre Stirn runzeln lässt, ist nicht mehr die nach dem richtigen Ort. Es ist die nach der Kunst, vor die sie bereits der Galerieeingang gestellt hat. Dass er tatsächlich in einen Schauraum und nicht in einen Schrebergarten wies. Was sich aber da noch unterbewusst abspielte und eher dazu führte, den eigenen Orientierungssinn zu hinterfragen, liegt den Besucherinnen jetzt auf den Lippen: Das soll Kunst sein? Ein Foto von einem Kastenwagen mit der Aufschrift "Ordnungsland" (2007), eines mit einem liegenden Baum inmitten einer Einkaufsmeile ( "Wer fällte die Beuyssche Eiche?", 2007), ein Druck mit Enten vor einer schwimmenden Halbkugel ("swimming pool ball", 2006) - alles Dokumente künstlerischer Aktivitäten. Und ein paar Objekte: eine Sammeldose, die mit "ein Herz für Künstler" den Besuchern Spenden entlocken will, eine alte Dose Tomatensuppe und rote Farbe - vornehm auf weißem Sockel drapiert. Aber Kunst aus der Schweiz? Naja, die Fensterscheibe der Galerie sieht aus wie die Nationalfahne der Alpenrepublik. Die Häschen ziehen auch ganz viel Aufmerksamkeit. Ansonsten gilt das, was Pas, Künstler Nr. 2 im Duo, den Damen ein wenig scherzhaft, aber durchaus ernst gemeint, sagt. - Hatten sie ganz offenbar von Alpenbergen in Sonnenuntergangsstimmung gelesen und auf eine romantische Fotoschau gehofft. - "Das läuft so wie in der Schule: Thema verfehlt, aber trotzdem gut." |