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Geheimnis einer idyllischen Universität
GESELLSCHAFT | KRIEGSSZENARIO (08.07.2011)
Von Christian Sigrist †
In einem Hörsaal der idyllischen Universität Freiburg spielten sich im Sommer 1966 merkwürdige Dinge ab. Ein General der Bundeswehr schilderte vor honorigen Professoren ein Kriegsszenario an der innerdeutschen Grenze. Unser Autor war als wissenschaftlicher Mitarbeiter dabei und erinnert sich.

Unter dem Rektorat des Juristen Hans-Heinrich Jescheck, einem alten Herrn der schlagenden Burschenschaft Franconia Freiburg, war an der Universität Freiburg ein geheimer Gesprächskreis „Universität und Bundeswehr“ gegründet worden. Während der Ordinarius für Straf- und Strafprozessrecht auch in seiner Eigenschaft als Militärstrafrechtler eine spezifische Qualifikation einbringen konnte, war auf der „linken“ Seite Orst Ehmke, Professor für öffentliches Recht und Sozialdemokrat. Ehmke betrieb das Projekt der Großen Koalition, in die sich die SPD mit der Zustimmung zu den kontroversen Notstandsgesetzen einkaufen wollte. Teil dieser Kontroverse war die Rolle der Bundeswehr im Spannungs- beziehungsweise im Kriegsfall.
iley.de

Die Mutter trauert um ihre Söhne: Das Denkmal an der Uni Freiburg, das "DEN TOTEN" von 1914-1918 und von 1933-1945 gewidmet ist, war womöglich nicht jedem Mahnmal genug. Hinter den Universitätsmauern trafen sich Militärs und Professoren in geheimer Runde. (c) iley.de

Unter den anderen Professoren der geheimen Runde ist der Soziologe Heinrich Popitz, der mit Ehmke befreundet und Direktor des Instituts für Soziologie war, hervorzuheben. Popitz, Sohn des von den Nazis ermordeten Finanzministers Johannes Popitz, hatte eine ambivalente Haltung zur Bundeswehr. Einmal sagte er im kleinen Kreis der Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung: Er hoffe doch, dass im Ernstfall die Soldaten der Bundeswehr wüssten, in welche Richtung sie ihre Waffen zu richten hätten. Durch Popitz gehörte ich wie auch andere wissenschaftliche Assistenten zu den Eingeladenen des Gesprächskreises.

Bizarres Szenario

Zu Beginn der ersten Zusammenkunft in einem Uni-Hörsaal erklärte der Rektor, dass diese nicht-öffentlich sei und bereits ihre bloße Existenz nicht publik gemacht werden dürfe. Dies gelte in besonderem Maße für militärische Informationen. Ein Verstoß gegen diese Anweisung zöge ein Disziplinarverfahren nach sich. Weder in der Freiburger Studentenzeitung noch in sonstigen Publikationen finden sich Hinweise über diese bemerkenswerte Kooperation. Im Gedächtnis geblieben ist mir die wohl wichtigste Veranstaltung. Auf ihr hat ein Gastreferent im Generalsrang Ergebnisse einer Studiengruppe im Bundesministerium für Verteidigung vorgetragen. Es handelt sich um ein Szenario zum Spannungsfall an der innerdeutschen Grenze. Die besondere „Brisanz“ erhielt dieses Szenario durch die US-Planungen zum „Fulda gap“, in denen der Einsatz von (zumindest taktischen) Atomwaffen anvisiert wurde.

Das Szenario beschrieb den Fall, dass die NVA oder die sowjetische Armee mit einem Blitzangriff Kassel besetzt und versucht die Stadt als Faustpfand für den Abzug der Westmächte aus West-Berlin einzusetzen. Sollten die Alliierten auf diese Erpressung nicht eingehen, würde sich der „Spannungsfall“ zuspitzen. Die USA würden den Einsatz von taktischen Nuklearwaffen vorbereiten. Zugleich würde die Verstärkung konventioneller Verbände der Bundeswehr in diesem Spannungsraum eingeleitet. In dieser Situation würden die italienischen Gastarbeiter, die zu Zehntausenden in Deutschland lebten, mit ihren Autos auf die Autobahnen Richtung Süden strömen. Zum einen, um sich aus der Gefahrenzone zu bringen. Ein großer Teil dieser „Rückkehrer“ ginge aber auf die Autobahn, um sie mit ihren Wagen für die NATO-Truppen, insbesondere Panzer, unpassierbar zu machen. Außerdem würden dadurch jene Autobahnteilstücke, die als Start- und Landebahnen für Jagdbomber präpariert waren, ausfallen. Man müsse davon ausgehen, so dieses von Paranoia skizzierte Szenario, dass ein großer Teil der italienischen Arbeiter von der Kommunisten Partei Italiens indoktriniert sei und auf deren Anweisung hin auch Sabotageakte besonders im Eisenbahnsektor begehen würde.

Schlechter Ruf der Italiener

Dieses Misstrauen gegenüber den italienischen Arbeitern fand sich auch bei Teilen der deutschen Gewerkschaftsführung bis hin zur IG-Metall. Hinzu kam der Fremdarbeiterstatus vieler italienischer Arbeiter. So waren 1963 in Mannheim bei der Post beschäftigte Sizilianer in einem durch Stacheldraht abgezäunten Gebäude in Mehrbettzimmern kaserniert. Der Zugang von „Außenstehenden“ musste von der Post genehmigt werden. Diese Postarbeiter befanden sich in einer Pariasituation. Die war für die Sizilianer auch von sekundärer Zweckmäßigkeit. Sie befanden sich nämlich in einer Vendetta nach einem blutigen Nachbarschaftsstreit.

Auf Seiten des deutschen Militärs kam wohl auch noch das Ressentiment als Nachklang des Abfalls Italiens nach dem Putsch von Badoglio 1943 hinzu. Das Achsenbündnis hatte sich für das Nazi-Reich ohnehin nach dem Münchener Abkommen von 1938 als abträglich erwiesen. Wegen Mussolinis abenteuerlichen Angriffskrieges gegen Griechenland musste Hitler intervenieren und auch Jugoslawien überfallen. Dadurch gingen sechs Wochen verloren, bis Hitler den Plan Barbarossa umsetzen konnte. Außerdem blieben ca. 500.000 deutsche Soldaten auf dem Balkan gebunden. Die italienischen Truppen „versagten“ an der Ostfront. Entscheidend war aber, dass das deutsche Afrikacorps nicht auf die ansonsten weit verbreitetet arabische Solidarität mit Deutschland setzen konnte: Mussolini, der 1913 wegen des italienischen Krieges gegen die Cyrenaika aus der sozialistischen Bewegung ausgetreten war, hatte 1923 den zweiten Krieg gegen das Senufi - Emirat vom Zaun gebrochen und 1932 nach schweren Massakern durch Bomber und Artillerie „siegreich“ beendet. Amir Idris war nach Ägypten geflohen. Die deutschen Truppen wurden als Verbündete der verhassten Italiener wahrgenommen.

Der „Abfall“ Badoglios 1943 wurde von deutscher Seite mit Gefangennahmen und Exekutionen von italienischen Soldaten beantwortet. Die vorher eher privilegierten italienischen Arbeiter im Reich wurden zu Zwangsarbeitern. In Italien kostete die Partisanenbekämpfung hohe Verluste. Im Reich wurde der politische Bruch der Achsenkette als ebenso fatal wie die Niederlage in Stalingrad empfunden. In das Szenario des Generals, der in der geheimen Freiburger Runde referierte, können diese Erfahrungen als Hintergrund und als generalisiertes zeitgeschichtliches Misstrauen eingegangen sein.

Spannungsfeld deutsche Universität

Rund zwei Jahre später bekam ich es nochmal mit dem angesehenen Juristen Jescheck zu tun. Jescheck beantragte die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens gegen mich aufgrund eines denunziatorischen Berichts des Politologen Wilhelm Hennis. Anlass für die Denunziation war meine Rede auf einer vom Freiburger AstA organisierten Veranstaltung über die Blockade der BILD-Auslieferung vor dem Gelände des Esslinger Bechtle-Verlags, an der ich als Teil einer großen Menge in der Karwoche/Ostern 1968 teilgenommen hatte. Obwohl ich den gewaltfreien Charakter der Blockade hervorgehoben hatte, unterbrach mich Hennis mit dem Zwischenruf „Sie predigen ja hier den Bürgerkrieg!“. Die massive Ablehnung dieses Einwurfs durch das Publikum war das Denunziationsmotiv des eitlen Profs. Wohl auch aufgrund dieses Zwischenrufs wurde meine Befürwortung des gewaltfreien Widerstands von einem überforderten Polizisten in Zivil als Aufruf zum Landfriedensbruch protokolliert. Das anschließende Strafverfahren wurde allerdings eingestellt.

Als Jurist hätte Jeschek leicht erkennen können, dass Hennis` Angaben falsch waren und später einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten würden. Zunächst aber musste ich die von Fritz Scharpf (Link zu Wikipedia) eröffnete Vermittlung annehmen und mich vom Dekan der juristischen Fakultät belehren lassen, dass ich mich in Zukunft zurückhaltender äußern sollte. Im Gegenzug wurde das Disziplinarverfahren „niedergeschlagen“.
Als Hennis 1971 seine falschen Behauptungen im Zusammenhang mit Berufungskonflikten an der neuen Universität Bremen wiederholte, fand dies ein breites publizistisches Echo. Insbesondere Nina Grunenberg berichtete ausführlich in der „Zeit“ über meinen Fall.
Der Dekan von 1968 konterte mit der Behauptung, ich hätte das seinerzeitige Fairnessabkommen verletzt. Es wäre besser, das nicht wieder aufzurühren. Ich sah mich gezwungen, Hennis zu verklagen. Einen Widerruf konnte ich nicht durchsetzen, weil ich die von Hennis aufgebrachten Gerüchte nicht ernst genommen und nicht sofort gegen Hennis geklagt hatte. Dennoch wurde Hennis vom Amtsgericht Freiburg zu einer Unterlassungserklärung verurteilt und musste Dreiviertel der Verfahrenskosten tragen.

Die geheime Kooperation der Uni Freiburg mit der Bundeswehr setzte sich fort in Verhandlungen über die Finanzierung einer Geschichtsprofessur aus Bundeswehr-Mitteln, um das Militärgeschichtliche Forschungsamt Freiburg zu konsolidieren. Die Studentenschaft beschwerte sich über die Undurchsichtigkeit dieser Verhandlungen und ihre Nichteinbeziehung in diesen Prozess. Über den Ausgang ist mir nichts bekannt. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt befindet sich heute in Potsdam.
   






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