Gegen den Verfall von New Orleans
GESELLSCHAFT | KORRESPONDENZ (15.09.2006)
Von Andreas Kemper | |
Zu Besuch bei der Gruppe "Common Grounds Collective" - eine von Malik Rahim direkt nach der Flut in New Orleans gegründete antirassistische Graswurzelorganisation. Sie setzt sich für die Rückkehr von 250 000 Menschen ein, deren Häuser noch immer völlig zerstört sind. Zunächst hatte ich die Absicht, Interviews mit den Aktivisten zu führen, merkte aber schnell, dass das so nicht geht. Auf meinem Weg durch die zehn Monate nach dem Dammbruch noch immer völlig zerstörten Stadtviertel beschloss ich, dort eine Woche mitzuarbeiten. Als erstes erhielt ich eine Anleitung, wie man Häuser "guttet" (Entrümpelung und das Rausbrechen der Innenverkleidung). Außerdem erfuhr ich in einem Vortrag, dass die Leute in der Stadt, nachdem Katrina über sie hinweggefegt ist, aus den Häusern kamen und die geringen Schäden beseitigen wollten und dass dann der Damm brach und die Katastrophe begann. An Verkehrsschildern und Häuserwänden zeichnet noch heute eine dunkle Linie den Wasserstand ab. Ich hörte die ganzen Horrorgeschichten von der Polizei, die Schusswaffen einsetze, um die arme Bevölkerung am Verlassen der Stadt zu hindern. Von Familien, die tagelang auf der Brücke ausharren mussten, von dem Krankenhaus, in dem die Ärzte und Pfleger mit den Patienten tagelang ohne Strom bei brütender Hitze ausharrten, von der bevorzugten Behandlung der Reichen, von der rassistischen und klassistischen Berichterstattung, dem Einmarsch der schwer bewaffneten Armee, die den Befehl erhielt, nicht die Katastrophe zu bekämpfen, sondern martialisch für Ruhe und "Ordnung" zu sorgen... Während meiner Anwesenheit fand eine Demonstration für die Rückgabe einer eingezäunte Siedlung statt. Die "Residents" wollten zurück in ihre Häuser, doch die Regierung behauptet, die Häuser seien durch das Wasser zerstört und müssten abgerissen werden. Wohnungsbaugesellschaften wollen dort neue Häuser bauen, die ein "gemischtes Wohnen" ermöglichen sollen - "Gentrifizierung" im großen Stil. In diesem Klima organisiert eine kleine Gruppe um Malik Rahim, einem Ex-Black Panther, die Versorgung mit Lebensmitteln, Decken, eben den lebensnotwendigen Dingen. Insgesamt laufen zur Zeit 26 "Common-Ground"-Projekte in New Orleans, an denen bislang knapp 10 000 Freiwillige mitgearbeitet haben. Sie bauten eine erste "Freie Klinik" auf, die ihre Schul- und Alternativmedizin völlig frei zur Verfügung stellt. Inzwischen gibt es vier davon. Die Gruppe um Rahim wuchs und wurde wiederholt von der Polizei und der in gepanzerten Jeeps patrouillierenden Nationalgarde in ihrer Arbeit behindert. So wollte im Februar 2006 die Polizei (NOPD) Aktivisten von "Common Ground" verhaften, weil sie die im zerstörten Stadtviertel Lower 9th Ward befindliche Martin-Luther-King-Schule restaurieren wollten - nur Dank der anwesenden Medien konnten sie dann doch ihrer Arbeit nachgehen. Ein halbes Jahr später war ich selber in der Schule. Die erste Etage ist überflutet gewesen, die Klassenräume hingegen waren einwandfrei. Zahlreiche neuwertige Computer und das gesamte Unterrichtsmaterial stehen "Common Ground"-Crews beim Gutting im besonders betroffenen Stadtteil Lower 9th Ward, in dem bisher von den ursprünglich 20.000 Bewohnern erst 1.000 zurückkehren konnten. (c) Bluehouseproject.org Die Arbeit bei "Common-Ground" ist hart: um halb sechs wird man geweckt, um sechs ist Frühstück, um sieben Uhr Arbeitsbesprechung. Anschließend sucht man sich im Materiallager passende Handschuhe, Schutzbrille, Gasmaske, einen Einweg-Plasitk-Overall, Gummistiefel und um acht Uhr geht's mit den "Pickups" in das Viertel. Mittags wird das Essen vorbeigebracht - natürlich auch vegan. Um vier Uhr fährt man zurück, wäscht und desinfiziert Handschuhe, nach dem Essen ist Plenum. Die Seuchengefahr ist zwar weitgehend gebannt, dennoch wird das Wasser extra gefiltert, die Teller werden nach Gebrauch in vier Gängen gewaschen und desinfiziert. Donnerstagsabend findet eine Diskussionsrunde zum Thema Rassismus statt, am Freitagabend eine zum Thema Sexismus. "Common Ground" arbeitet nicht nur in der Stadt, sondern auch in den "Wetlands" nahe der Küste und versucht dort eine ökologische Wiederaufforstung der lange vor Katrina ausgebeuteten Region. Die Gruppe unterhält dort inzwischen auch ein Jugendzentrum. Von der Regierung hat die arme Bevölkerung von New Orleans nichts zu erwarten. Die ansässigen Konzerne hingegen bekamen prompt eine Steuerbefreiung, obwohl sie nicht betroffen waren. In der von einer sehr rassistischen Geschichte geprägten Stadt ist die Klassenzugehörigkeit direkt an der Höhe der Wohnorte abzulesen. Dennoch ist der Großteil der Bevölkerung sauer. In den Läden im Tourismusviertel "French Quarter" kann man T-Shirts erstehen mit der Aufschrift: "Another f... - word with four letters: FEMA". FEMA ist eine Katastrophenschutzorganisation, die seit dem 11. September 2001 der "Homelandsecurity" unterstellt wurde. Auf meiner Rückreise erzählte mir ein Taxifahrer, dass die Grundstückepreise der Reichen sich seit Katrina vervierfacht hätten, die der Armen hingegen auf die Hälfte gesunken seien. |