Not auf hohem Niveau
WIRTSCHAFT | HAITI NACH DEM BEBEN (08.03.2010)
Von iley Redaktion | |
Im Januar ist der Karibik-Staat Haiti von einem Erdbeben erschüttert worden. Die Not der Haitianer ist seitdem noch größer als sie es schon vorher war. Doch kaum jemand hierzulande redet zwei Monate später noch darüber. Axel Schmidt ist als Aufbauhelfer vor Ort. iley hat bei ihm nachgefragt. Axel (M.) hilft auf Haiti. (c) privat Axel Schmidt: Kurzfristige Besserung ist in Sicht. Nothilfe in Form von überlebenswichtigen Dingen erreicht die Menschen, wenn auch langsamer als notwendig. Es liegt ein Regierungsumsturz in der Luft, der durch die bald einsetzenden Regenfälle wahrscheinlich beschleunigt wird. Durch den Regen steigt die Wut auf die jetzige Regierung und dessen Präsident Prevai, der in der Krise kein Krisenmanagement, sondern nur Ratlosigkeit bewiesen hat. Haiti war schon vor dem Erdbeben vom 12. Januar das wirtschaftlich ärmste Land der westlichen Hemisphäre. Nun wird sich zeigen, ob die massive Unterstützung von außen sich zu einem positiven nachhaltigen Aufwärtstrend verdichten kann oder ob nach nur kurzer Zeit von ein bis drei Jahren alles wieder seinen gewohnt schlechten Lauf nimmt. Wie gehst Du mit dieser Situation um? Schmidt: Ich schlafe in einem Hotel und nicht im Zelt, da ich alle meine Kräfte brauche. Ich probiere, systematisch und Standards entsprechend an die Hilfe heranzugehen. Hört sich perfekt durchdacht an, aber die Realität hat wenig mit derTheorie zu tun. Daher mache ich Vieles aus Erfahrung und auch aus einem Bauchgefühl. Bei einer Lebensmittelverteilung geben wir am Vortag persönlich unfälschbare Tickets aus. Mit persönlich meine ich: der ältesten Frau in einem Zelt ein Ticket direkt in die Hand. Schnell spielen sich unglaublich Szenen ab, da alle etwas vom Kuchen abhaben wollen. Ruhig zu bleiben, ist das Wichtigste in so einer Situation. Wer am nächsten Tag bei einer Verteilung kein Ticket hat, bekommt auch nichts, auch nicht die weinende schwangere Frau, da sonst der zuschauende Mob sofort erkennen würde, dass man auch anders an die Lebensmittel kommen kann. Man muss bei der Arbeit eine gesunde Distanz zu den Opfern waren, man darf mitfühlen aber nicht mitleiden. Es ist nicht mein erster Nothilfeeinsatz in einem Erdbeerengebiet. Die Bilder gleichen sich, aber jedes Mal ist es auch wieder völlig anders. Meine persönliche Strategie ist Reden und Mitteilen. Meine Familie und Freunde hören mir zu und ich fühle mich besser dadurch. Ich probiere so wenig wie möglich mit mir herum zu tragen. Außerdem nehme ich mir Auszeiten, um meine Batterien auf zu laden. Wenn man nicht mehr lachen kann oder die Not einen zerdrückt, dann sollte man sofort raus, weil man dann keine Hilfe hier mehr ist, man ist selbst zum Opfer geworden. Laut UN sind durch das Erdbeben 1,2 Millionen Menschen obdachlos geworden. Wie sind sie jetzt untergebracht? Schmidt: Es gibt kaum noch Freiflächen in der Stadt und Lager von Flüchtlingen sind auch an den denkbar schlechtesten Orten entstanden. Mulden, Flußbette und Müllhalden gehören auch zu diesen Orten. Der Platz vor dem Präsidentenpalast ist zu einer großen Zeltstadt geworden. Die Zelte, sofern es sich überhaupt um richtige Zelte handelt, stehen dicht an dicht. Leute waschen sich nackt mitten auf der Hauptstaße und es mangelt an ausreichenden Toiletten. Es stinkt! Vor zwei Tagen gab es ein Erdbeben der Stärke 4,7. Eigentlich gar nicht so stark, aber die Menschen haben Angst. Berechtigterweise trauen die Menschen ihren Häusern nicht mehr. Viele Menschen schlafen in Zelten oder anderen selbstgebauten Notunterkünften. Abends sind viele Seitenstraßen der Hauptstadt unbefahrbar, da Anwohner ihre Unterkünfte auf der Fahrbahn aufgebaut haben. Es haben sich in Haiti insgesamt 414 spontane neue Siedlungsgebiete ergeben. 21 davon haben mehr als 5000 Menschen. Über 600.000 Menschen können nicht mehr in ihren Häuser leben. Nach wie vor sind die Zustände schlecht. Es fehlt nach wie vor an den Grundbedürfnissen, auch wenn schon einige teilweise befriedigt wurden. Die Not ist weiterhin schwankend und auf hohem Niveau. An was fehlt es am meisten? Schmidt: Das größte Problem sind die Unterkünfte. Selbst sechs Wochen nach dem Beben haben immer noch sehr viele Menschen kein Zelt, selbst Plastikplanen haben immer noch nicht alle Bedürftigen erreicht. Lebensmittel gibt es nicht im Überfluss, aber ein gewisse Grundversorgung ist gesichert. Die kommende Regenzeit wird weitere Schwachpunkte leidlich hervorheben. Welche Gefahren drohen durch die Regenzeit? Schmidt: Glücklicherweise hat es in Port-au-Prince und Umgebung noch nicht allzuviel geregnet. Durchfallerkrankungen und Erkrankungen der Atemwege werden durch weitere Regefälle zunehmen. Es gibt keine Dokumente oder Wissen mehr, wer gegen was und wenn überhaupt geimpft wurde. Die Gefahr einer Ausbreitung von Seuchen besteht natürlich. Wichtiger aber ist jedoch die Menschenwürde wieder herzustellen. Die Menschen müssen den Willen haben, wieder nützlich zu sein und Herr über ihr Schicksal zu sein. Aus Opfern, die nur reagieren, müssen Macher werden! Wie ist es um die medizinische Versorgung der Kranken und Verletzten bestellt? Schmidt: Ich muss immer wieder betonen, dass schon vor dem letzten großen Erdbeben Haiti das "Least Developped Country der westlichen Hemissphäre war. Hierunter fällt auch de Gesundheitsversorgung. Die beste Klinik des Landes ist das Zeltkrankenhau des Roten Kreuzes. Neben der Nachversorgung der Verletzten ist die Grundversorgung der breiten Bevölkerung wichtig. Impfkampagnen starten, chronische Krankheiten aber auch Hygiene- und HIV/AIDS-Aufklärungen müssen geleistet werden. Die Zerstörung vom 12. Januar macht dese Aufgabe noch gewaltiger. Verletzungen werden behandelt, psychische Verletzungen bleiben oft unbehandelt. Kommen Transporte, Strom und Informationen bei den Menschen an? Schmidt: Die Einfuhrbestimmungen haben sich über Nacht an der Grenze zwischen der Dominikanischen Republik und Haiti geändert. Auch einer unserer Trucks steckt nun an der Grenze fest. Auch hierbei geht es um die Stücke des Kuchens und damit auch um Korruption. Die meisten Lager haben keinerlei Sromversorgung und Diesel für Generatoren ist teuer. Ich hoffe auf ein Engagement der Solarindustrie. Insuläre Solaranlagen zur einzelnen Hausversorgung oder auch nur am Straßenrand, um Handys aufzuladen, sind geläufig. Was fehlt, ist die Grundinvestition. Viele Nachrichten werden von Mund zu Mund verbreitet und erweisen sich oft als wenig haltbar. Was kann die internationale Hilfe über das bisherige Engagement hinaus noch tun? Schmidt: Umdenken! Die wirtschaftlich ärmsten Länder erwischt es bei Naturkatastrophen deshalb besonders hart, weil sie arm sind. Das gleiche Erdbeben hätte in Deutschland nicht den gleichen Schaden angerichtet. Neben dem Kalten Krieg und den Folgen der Kolonialzeit ist es die Struktur und andauernde Ausbeutung durch Herrschende, die eine darwinistische Mentalität der Bevölkerung gefördert hat. Hilfe wird von Außen ohne eigene Leistung erwartet. Es gilt diese Mentalität zu ersetzen, indem man funktionierende Gegenbeispiele schafft. Vielen Dank für Deine Antworten! |