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'Kniffliges Kopfrechnen ist wie ein Spiel'
GESELLSCHAFT | INTERVIEW mit Gert Mittring (07.11.2012)
Von Michael Billig
Immer weniger junge Menschen können im Kopf rechnen. Das beklagt mit Gert Mittring ein Großmeister des Denksports. Er kann extrem komplizierte Aufgaben in Sekundenschnelle lösen. Wir haben den 46-Jährigen getroffen. Ein Gespräch über Begabung und die Jagd nach neuen Rechenrekorden:

Herr Mittring, es heißt, Sie haben das menschliche Gedächtnis überlistet und seine Begrenztheit überwunden. Verraten Sie uns den Trick?

Mittring: Der Trick ist eine elegante Algorithmik. Man muss auf dem manchmal sehr langen Weg zu einer Lösung Abkürzungen finden. Das ist das kreative Element beim Kopfrechnen. Schätzungen sind dabei sehr hilfreich. Für mich ist ein Lösungsweg dann interessant, wenn er mit hoher Wahrscheinlickeit zum Ziel führt und man sich dabei möglichst wenig merken muss.

Sie haben es damit mehrfach ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft. Welchen Weltrekord haben Sie zuletzt aufgestellt?

Mitte Oktober habe ich eine 100-stellige Zahl innerhalb von 5 Minuten und 30 Sekunden in ihre 20 aufeinander folgenden Primfaktoren zerlegt.

iley.de

Mehrfacher Weltmeister und Rekordhalter im Kopfrechnen: der Bonner Gert Mittring. (c) iley.de

Wie kommen Sie auf die Idee, sich so eine Aufgabe zu stellen?

Es ist einfach eine interessante Grenzerfahrung: Was kann man mit kniffliger Rechnerei und mit mathematischen Hilfsmitteln alles so erreichen? Das ist wie ein Spiel.

Welchen Nutzen hat dieses Spiel für den Alltag?

Rekorde sind schon etwas Spezielles. Beim Kopfrechnen entwickelt man Strategien, die einem auch im Restaurant oder im Supermarkt helfen können. Man kommt leicht und superschnell zu dem Ergebnis, was an der Kasse zu zahlen ist. Und man lernt, Größenordnungen einzuschätzen. Leider können immer weniger Jugendliche und junge Erwachsene Kopfrechnen. Dagegen versuche ich etwas zu unternehmen. Wenn eine Bedienung im Restaurant nach 20 Sekunden immer noch nicht weiß, was 7x8 ist, dann ist das alarmierend.

Steckt in jedem Menschen ein Rechenkünstler?

Sagen wir mal so: Bei einer Normalbegabung kann man es mit einem relativ überschaubaren Aufwand zu beachtlichen Ergebnissen bringen.

Was verstehen Sie unter "Normalbegabung"?

Die Intelligenzforschung spricht bei einem IQ von 85 bis 115 von einer normalen Begabung. Zweidrittel aller Menschen liegen in diesem Spektrum.

Was sagt es über einen Menschen aus, wenn er gut im Kopf rechnen kann?

Er hat ein schärfere Wahrnehmung der realen Verhältnisse und geht ein bisschen sicherer durchs Leben. Er hat auch ein besseres Gespür für Budgets.

Sagt es auch etwas über den Charakter aus?

Das hat nichts miteiander zu tun. Auch der Intelligenzquozient und der Charakter sind völlig unterschiedliche Konzepte. Das Kopfrechnen ist eine Facette, ein sehr nützliche. Ob man dadurch ein besserer Mensch ist? Das ist eine andere Sache.

Haben Sie noch andere Dinge als Rechnen im Kopf?

Es wäre schlimm, wenn das nicht so wäre. Ich bin in vielen Wissenschaftsgremien aktiv. Ich besuche Philosophie- und Literaturkreise und reise sehr gern. Hauptberuflich arbeite ich als Psychologe.

Woran erkenne ich, ob mein Kind mathematisch begabt ist?

Die Fähigkeit, Muster und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, ist ein guter Indikator für das logische Denkvermögen und das geht bekanntlich mit dem mathematischen Potenzial einher.

Wie können Eltern begabte Kinder fördern?

Das geht am besten, indem sie ihnen multidimensionale Anregungen und Herausforderungen bieten. Das ist aber nicht alles. Die Kinder müssen auch Liebe und Anerkennung erhalten.

Was raten Sie den Eltern, deren Kinder schlecht in Mathematik sind?

Ganz selten ist ein Intelligenzdefizit dafür verantwortlich. Meistens sind es andere Probleme, die sich im Hintergrund abspielen. Die muss man herausfinden und lösen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Gert Mittring (46) hat im August zum neunten Mal in Folge bei der Mind Sports Olympiade in London die Goldmedaille im Kopfrechnen gewonnen. Er ist Weltrekordhalter im Kopfrechnen, Bestseller-Autor ("Rechnen mit dem Weltmeister", 2011) und Doktor der Erziehungswissenschaft und der Psychologie.
   




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