Die bunte Nationalmannschaft
GESELLSCHAFT | INTEGRATION (10.06.2010)
Von Michael Billig | |
Jeden Ballkontakt von Marko Marin im letzten WM-Test der DFB-Auswahl quittierten die bosnischen Fans mit Pfiffen. Der quirlige Mittelfeldspieler, der im ehemaligen Jugoslawien das Licht der Welt erblickt hat, ist für sie ein Verräter. Für die deutschen Ambitionen bei der WM 2010 ist Marin ein Hoffnungsträger, nicht der einzige, der eine Migrationsgeschichte hat. Die deutsche Nationalmannschaft für die WM in Südafrika 2010. (c) DFB Die Truppe von Bundestrainer Joachim Löw ist ein bunter Haufen. Im 23 Mann starken Kader haben elf Nationalspieler einen Migrationshintergrund. Bei jedem von ihnen ist mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren. Ihre familiären Wurzeln reichen nach Nord- und Westafrika, nach Spanien, Polen, in die Türkei und seit kurzem sogar bis nach Brasilien. Marko Marin ist im Alter von zwei Jahren vor dem drohenden Bürgerkrieg in Jugoslawien nach Deutschland geflohen – in den Armen seiner Eltern. Geboren ist er in Bosanska Gradiska, einer Kleinstadt im heutigen Bosnien-Herzegowina. Seine ersten Dribblings veranstaltete er als Knirps für die SG 01 Hoechst, von dort zog es ihn weiter zur Eintracht nach Frankfurt und später wechselte er auf die Fußballschule der Borussia in Mönchengladbach. Wie Marin standen auch andere Kicker mit Migrationsbiografie eines Tages vor der Frage ob, sie für ihr altes oder ihr neues Heimatland spielen wollen. „Mesut Özil hat das gemeinsam mit seiner Familie entschieden“, weiß die Integrationsbeauftragte des Deutschen Fußball Bundes (DFB), Gül Keskinler. Konfliktpotenzial in unteren Ligen Özil, der Ideengeber im deutschen Mittelfeld, ist der Sohn türkischer Einwanderer. Er selbst ist in Gelsenkirchen auf die Welt gekommen. Ohne ihn könnte die DFB-Auswahl ihr Ziel, das Halbfinale zu erreichen, wohl von vornherein abschreiben. Zum Glück ist Deutschland ein Einwandererland, hat da möglicherweise auch der Bundestrainer gedacht. Und zum Glück erleben viele Menschen über Sport und insbesondere Fußball etwas, was ihnen anderswo, etwa in der Schule, häufig fehlt: Erfolg und Anerkennung. Doch die wenigsten Fußballer kommen so groß raus und sind so beliebt wie Marin oder Özil. Auf den Fußballfeldern und Bolzplätzen dieser Republik kommt es Wochenende für Wochenende zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen Mannschaften unterschiedlicher ethnischer und kultureller Prägung. Auch wenn die Nationalmannschaft ein so viel bunteres und damit repräsentativeres Bild abgibt, als das in anderen Bereichen der deutschen Gesellschaft der Fall ist, sieht selbst die Integrationsbeauftragte des DFB noch viel Arbeit auf sich zukommen. „In den unteren Ligen gibt es jede Menge Konfliktpotenzial“, sagt Keskinler und fügt hinzu: „Wir brauchen aus der Region Vorbilder zum Anfassen.“ Migranten müssten näher ans Ehrenamt herangeführt werden, lautet ihre Strategie. Ein gutes Beispiel, wie das funktionieren könnte, sei das Projekt „Soziale Integration von Mädchen“, wo Schülerinnen und ihre Eltern in das Vereinsleben eingebunden werden. Wie sie müssten auch Migranten lernen, als Jugendwart, Nachwuchstrainer, Schiedsrichter, Kassenwart oder etwa Vorstandsvorsitzender zu agieren. Das Vertrauen der Familien zu gewinnen, sei der Schlüssel dazu, sagt Keskinler. Integrationsbotschafter Tasci „Fußball fördert die Gemeinschaft, braucht Verantwortungsträger und bringt Spaß. Ohne die Unterstützung der Eltern und ehrenamtlichen Helfer ist das nicht möglich.“ Mit diesen Worten und seinem Namen steht der zweite Deutsch-Türke im Löwschen Ensemble dem DFB sogar offiziell als Integrationsbotschafter zur Verfügung. Gemeint ist der Abwehrspezialist Serdar Tasci, dem man wegen seiner modernen Art, den gegnerischen Stürmer vom eigenen Tor fernzuhalten, nachsagt, ein Liebling des Bundestrainers zu sein. „Fußball verbindet die Menschen. Das Spiel bietet gerade Ausländern und Menschen mit ausländischen Wurzeln die Chance, sich zu integrieren“, sagt Tasci in einem Interview im Februar dieses Jahres. Darin sagt er auch, dass ihm die Entscheidung für Deutschland zu spielen sehr schwer gefallen sei, anfangs habe es auch Kritik aus der Türkei gegeben. Dass die Wahl nicht automatisch auf die DFB-Auswahl fällt, zeigt das Beispiel der Brüder Boateng. Während Jerome das Trikot mit dem Bundesadler überstreift, wird Kevin-Prince in Südafrika für Ghana, dem Heimatland des gemeinsamen Vaters, auflaufen. Elf mit Migrationsgeschichte Lukasz Podolski, geboren im polnischen Gliwice Miroslaw Marian Kloze, geboren im polnischen Opole Mario Gomez Garcia, Sohn eines spanischen Vaters Claudemir Jeronimo Barreto – kurz Cacau – ist in Brasilien geboren und erst 29 Jahre später, am 2. Februar dieses Jahres eingebürgert worden Piotr Trochowski, geboren im polnischen Tczew Mesut Özil, geboren in Gelsenkirchen, sein Vater war aus der Türkei ausgewandert Marko Marin, geboren in Bosanska Gradiska, ehem. Jugoslawien, heute Bosnien Sami Khedira, geboren in Stuttgart und Sohn eines tunesischen Vaters Serdar Tasci, seine Eltern sind aus der Türkei ausgewandert, er ist in Deutschland geboren Jerome Agyenim Boateng, geboren in Berlin, sein Vater kommt aus Ghana Dennis Aogo, geboren in Karlsruhe, sein Vater kommt aus Nigeria |