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Über das Unfassbare
GESELLSCHAFT | IM GESPRÄCH (15.09.2007)
Von Heinz Kobald
Am 7. Oktober 2006 wird Frau Monika F. tot aufgefunden. Sie wurde zuerst vergewaltigt und anschließend erstochen. Den entscheidenden Hinweis auf den vermuteten Mörder gibt Andreas Fischer selbst, der Ehemann des Opfers.

Pressebüro Kleinberger

Blickfang, ausgeschnitten aus dem Protrait von Andreas Fischer. (c) Pressebüro Kleinberger

Als Justizvollzugsbeamter war er fünf Jahre verantwortlich für Jochen S.. Jochen S. gesteht die Tat. Er ist ein vorbestrafter Sexualstraftäter, der erst fünf Wochen zuvor wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen worden war.
Wurde Jochen S. zu früh aus der Haft entlassen? Ist dieser Sexualmord auch ein grausamer Racheakt? Andreas Fischer gewinnt mit Stephan Harbort zum ersten Mal einen Überblick über die Geschehnisse. Der Zeitpunkt ist gekommen, der Ehemann von Monika F. bricht sein Schweigen.
Mit dem Kriminologen Harbort kann er den furchtbaren Mord an seiner Frau und die grausamen Folgen für seine ganze Familie in der Öffentlichkeit darstellen. Die beiden bringen ein Buch heraus. Im Gespräch mit iley nimmt Andreas Fischer nicht nur das Geschehene, sondern vor allem das Vorgehen der Justiz unter die Lupe.

Herr Fischer, Sie stehen vor der zentralen Frage:
Können Sexualstraftäter mit Erfolg therapiert werden?


Fischer: Die Frage hat durchaus Berechtigung, doch...
Diese Frage habe ich nie gestellt. Der Verlag hat es so gedeutet.

Sie beklagen Missstände in der Sozialtherapie und fordern von der Justiz ein strengeres Vorgehen.

Fischer: Ich habe nicht Missstände in der Sozialtherapie beklagt, sondern aus meiner Ansichtsweise Probleme angesprochen. Auch hier hat mich der Verlag mit dem Wort "Missstände" in einige Erklärungsnot gebracht. Der erschütternde Bericht über eine schreckliche Tat und seine Opfer, ist auch eine kenntnisreiche Analyse der Geschehnisse und aller widrigen Umstände, die aufrüttelt. Ein Fall, der die brisanten Probleme im Strafvollzug verdeutlicht und zeigt, wie sich eine Familie unter widrigen Umständen zurück ins Leben kämpft.

Am 7. Oktober 2006 wird Ihre Frau Monika tot aufgefunden. Sie schreiben: "Ich war wie gelähmt, wie versteinert. Um mich herum passierte so viel. Ich fühlte mich total überfordert, in irgendeiner Weise zu reagieren. Ich blieb still und rauchte, dachte einfach an nichts.
Da war eine Leere in mir, eine unendlich tiefe Leere."
Was geschah von diesem Moment bis zu Ihrer Entscheidung, einer Buch darüber zu schreiben?


Fischer: Ab diesen Moment war ich sehr diszipliniert. Ich handelte rational und nüchtern. Ich war in einem Schockzustand. Nur der schützte mich, nicht unterzugehen. Ich hatte in den unpassendsten Momenten Humor, doch ich brach natürlich auch regelmäßig zusammen. Durch die dauernde Betreuung meiner Kinder und die täglichen Herausforderungen, verschob sich meine Trauerarbeit nach hinten.
Ich wollte nicht, dass Moni umsonst gestorben ist. Ich wollte aufklären und auf Gesetzeslücken, die ich schon immer bemängelte hinweisen. Meine Geschichte sollte das Pfand dafür sein. Ich wollte aber auch anderen Menschen in vergleichbaren Situationen Mut machen. Stephan brachte mich auf die Idee mit dem Buch und wir setzten das gemeinsam um.

Das Buch haben Sie zusammen mit dem Kriminalexperten Stephan Harbort geschrieben. Haben Sie befürchtet, dass Sie ansosnten mit Ihrer ehrlichen Betroffenheit über das Verbrechen an ihrer Frau bei den Lesern nicht ernst genommen werden?

Fischer: Als Opfer wird einem ja gerne unterstellt, man könne nicht objektiv sein. Mein Ziel war es aber vor allem mit meinen politischen Überlegungen und den Problemen bei der Begutachtung von Gefangenen ernst genommen zu werden. Alleine hätte zwar jeder Verständnis für meine Thesen - die übrigens auch von Experten bestätigt wurden -, aber ich wäre auch viel leichter angreifbar. Mir ging es ja in erster Linie nicht darum, mein Seelenleben öffentlich zu machen. Es war aber mein Einsatz. Nur dadurch konnte ich Interesse gewinnen.

In einigen Wochen jährt sich der schlimmste Tag im Leben Ihrer Familie.
Haben Sie und Ihre Kinder sich für diesen Tag etwas Besonderes vorgenommen?


Fischer: Nein. Es gab ja schon Weihnachten, Geburtstage, Hochzeitstag, Muttertag. Nun kommt Monis Todestag. Wir werden gedenken, ich stelle den Tag nicht so hoch an, da ich alltäglich mit Herausforderungen und Gedanken zu Moni gefordert bin.

Sie haben den Täter über 5 Jahre gesehen, sein Verhalten, seine Persönlichkeit -
hätten Sie selbst eine solche Tat von ihm erwartet?


Fischer: Ein klares Nein. Natürlich gab es auch bei ihm Auffälligkeiten in der Persönlichkeit. Die hatte aber jeder Sexualstraftäter in bestimmten Maß. Es wurden schon andere entlassen, die weitaus gestörter erschienen.

Wie lange muss eine "gute Führung" vorliegen, dass davon ausgegangen wird, sie ist ein anhaltender Zustand? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein?

Fischer: Mit einer Antwort würde ich meine Kompetenzen überschreiten. Das Gefängnis und die dort stattfindende Therapie ist aber ein künstliches Umfeld. Hier wird natürlich manipuliert und getrickst. Das System lädt dazu ein. Denn ohne Therapie ist an eine vorzeitige Entlassung kaum zu denken. Was würde ich in so einer Situation machen, habe ich mich schon immer gefragt. Ich würde mich anpassen, mich so verhalten, wie ich von den Therapeuten gern gesehen würde, mit mir arbeiten lassen, soweit ich gefordert würde. Ich würde mein wahres Gesicht, meine wahren Neigungen möglichst verstecken. . Alles was nicht klar auf der Hand liegt, würde ich leugnen, bagatellisieren und verharmlosen.

Welche Anhaltspunkte könnten Sie sich vorstellen, dass sich Jochen S. an Ihrer Frau rächen wollte ?

Fischer: Es gab keinen Grund dafür. Aber ich habe ihn in der Therapie natürlich mit seinen Auffälligkeiten konfrontiert. Habe zum Beispiel in Gruppenarbeit seine Straftataufbearbeitung bemängelt, ihn mit Diskrepanzen zwischen Ermittlungsakte und seiner Vision der ersten Tat konfrontiert. Das machten nicht alle. Die Ermittlungen haben aber ergeben, dass es sich um eine reine Zufallstat handelte. Das ist auch meine Überzeugung.

Hatte Jochen S. eine Gelegenheit, Ihre Frau kennen zu lernen?
Hatte er sie öfters sehen können?


Fischer: Ein klares Nein. Aber die Gerüchte brodelten natürlich in alle Richtungen. Überlegungen wurden als Wahrheiten diskutiert und dadurch wurden die wildesten Spekulationen laut.

Welche Anzeichen erkennen Sie im Rückblick nach der Tat, die Warnungen für die kommende Tat hätten sein können?

Fischer: Hier hätte ich einiges zu sagen. Die bayerische Justizministerin sagte einen Tag nach dem Mord: Die Justiz hat keine Fehler gemacht. Nicht nur ich sehe hier aber gewaltigen Aufarbeitungsbedarf. Leider habe ich eine dienstliche Schweigepflicht. Ich versuche aber intern meinen Bedarf an Aufklärung zu bekommen. Dies ist mir bisher auch ansatzweise kaum gelungen. Aus dienstrechtlichen Gründen muss ich mich öffentlich dazu noch zurückhalten...

Kommen wir noch einmal zurück zur ersten Fragen. Welche Meinung haben Sie zu der Möglichkeit, ob Sexualstraftäter mit Erfolg therapierbar sind?

Fischer: Therapie ist ein Umerziehungsprogramm. Wie nachhaltig das wirken kann, darüber streiten sich die Experten. Auch ein trockener Alkoholiker ist immer alkoholkrank und die Gefahr zum Rückfall ist groß.

Wie lange hat es gedauert, bis sie und ihre Kinder sich an einem Punkt wiedergefunden haben, mit dem Verlust ihrer Frau und Mutter ein gemeinsames Leben weiterführen zu können?

Fischer: Wir lebten ja mit dem Verlust bis jetzt weiter. Die Lebensqualität ist aber gesunken. Der Schmerz sitzt unheilbar tief. Monis Leid verfolgt mich mein Leben lang. Ich träume davon. Ich habe Schlafstörungen, Depressionen und Weinkrämpfe. Es gibt aber auch Momente, ja Phasen in denen ich lachen und mich wirklich freuen kann. Viele Menschen missverstehen das und sind von mir irritiert, weil sie natürlich nur letzteres sehen.

Wie alt sind Ihre Kinder? Wie gelingt es jedem einzelnen mit der Tat an ihrer Mutter weiter zu leben? Gelingt es den Kindern, sich gegenseitig zu stützen?

Fischer: Meine Kinder leiden immens. Ich möchte sie aber schützen und nicht mehr darauf eingehen.

Die Ereignisse jenes Tages, an dem sich für Sie und Ihre Kinder ein Abgrund von Wut, Angst, Verzweiflung, Leid und Trauer auftat, haben sich tief in Ihre Seelen eingegraben.
Haben sie und ihre Kinder die Hilfe von Psychotherapeuten gesucht ?


Fischer: Ja. Doch das ist keine wirkliche Hilfe für die Kinder gewesen. Da wurde was aufgebrochen, und dann war die Sitzung vorbei. Ich musste dann selber sehen, die Kinder wieder runterzubringen. Aufbrechen kann ich selbst. Da muss ich nur von Mami erzählen oder Bilder zeigen.
Mir selbst helfen die verschriebenen Medikamente.

Sind Sie und Ihre Kinder im Sinne einer Beziehung zu Gott religiös?

Fischer: Ich kann nur für mich antworten. Ich glaube an Gott. Die Religionsrichtung ist da nicht so entscheidend. Ich will versuchen ein guter Mensch zu sein. Nächstenliebe ist das Grundrezept. Das gelingt nicht immer.

Drei Fragen auf einmal: Auf welchem Weg finden Sie und Ihre Kinder wieder in ihr Leben zurück?
Begleitet Sie dabei eine Genugtuung über eine harte aber gerechte Strafe?
Sehen Sie in der Versöhnung mit dem Unbegreiflichen einen Weg in das vor Ihnen liegende Leben?


Fischer: Ich habe mir gesagt: Ich muss mein Schicksal annehmen. Jeder Mensch hat sein Schicksal auch negativer Art: Krankheit, Verlust, Arbeitslosigkeit, Geldprobleme, Einsamkeit, Behinderung, Hunger....Wenn auch unser Schicksal nicht schön ist, bin ich nicht der Einzigste, der in der Welt leidet. Wenn man sich dem bewusst ist, kann man das Schicksal besser annehmen. Eine Genugtuung kann es nie geben. Mir geht es aber nicht darum, dass es den Täter besonders schlecht zu gehen hat. Die Bevölkerung ist vor ihm geschützt. Das ist entscheidend.

Die Liste der einschlägigen Fachliteratur über Serientäter ist lang. Wenn so viel wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem Thema vorliegen und trotzdem derartige Ereignisse nicht verhindert werden, sollte dann nicht zu Medikamenten gegriffen werden, die diese Triebe in den potentiellen Tätern "neutralisieren"?

Fischer: Leider reicht meine fachliche Kompetenz zu einer adäquaten Antwort nicht aus. Man muss aber die Gesetze vereinfachen, um sehr gefährliche und rückfallträchtige Menschen vor sich selbst und natürlich die potentiellen Opfer (wir alle) zu schützen.

Wie lange konnten Sie selbst im Strafvollzug das Verhalten von Serienmördern beobachten?
Im Deutschen Ärzteblatt wurde 1970 über die Behandlungsmöglichkeiten bei Triebtätern geschrieben.
Können Sie seitdem Fortschritte in den Behandlungsmethoden für Triebtäter feststellen?


Fischer: Auch hier würde ich meine Kompetenzen überschreiten. Nur sollte man Serienmörder meiner Ansicht nach nicht behandeln, sondern verwahren. Allerdings sollte ihnen das geschlossene Leben nicht zu schwer gemacht werden. Freizeitmöglichkeiten und ein angenehmes Klima sind wichtig, die Menschenwürde muss gewahrt werden. Wir dürfen sie nicht nur hassen, sondern müssen mit ihnen kooperieren, auch ihre Probleme sehen. Über Behandlungsmöglichkeiten habe ich viel gehört und gelesen. Ich bin ja kein Wissenschaftler, sehe aber allgemein schon Grenzen der Behandelbarkeit.

Es ist das Wort von "Die Bestie im freundlichen Nachbarn" geprägt worden.
Was denken Sie darüber, wie schwer es ist, nur am Äußeren Verhalten das wirkliche Wesen eines Menschen zu erkennen?


Fischer: Jeder Mensch hat irgendwo auch das Böse in sich. Die Frage ist nur, wo die Hürde der Hemmschwelle liegt. In Extremsituationen sind wir alle potentielle Mörder. Das ganze Leben ist aber auch ein Schauspiel. Jeder verhält sich in der Familie anders wie beim Arbeitgeber, am Fussballplatz anders wie bei einem Vortrag. Der Bereich "Sozialtherapie" ist ein besonderer Bereich, in dem unnatürliche - z.B. von den Therapeuten gewünschte - Verhaltensweisen im Gegensatz zum wirklichen Wesen geradezu herausgefordert werden.

Werden Ihrer Meinung nach durch die Vielzahl von Filmen mit Gewaltaten, Verbrechen und Morden im Fernsehen - die bis in die Gute Stube, in das Schöne Heim eindringen - u.U. die im Menschen latent vorhandene Bereitschaft für Gewalt weiter befördert oder geradezu aufgeweckt und angestoßen?

Fischer: Vor allem sind es Kinder aus katastrophalen Familienverhältnissen, die sich zu gefährlichen Gewalttätern entwickeln. Natürlich trägt meiner Meinung nach aber auch die brutale Medienlandschaft zur Gewalttendenz bei.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Stefan Harbort und Andreas Fischer:
"Ein unfassbares Verbrechen - der Fall Monika F."
255 S., Droste Verlag, 19.95€
   



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