Wo der Olympische Gedanke noch zählt
SPORT | HINTERFRAGT (01.03.2010)
Von Michael Billig | |
Während Leistungssportler in Vancouver auf der Jagd nach Edelmetall die Grenzen des menschlich Machbaren ausloten und dabei ihre Gesundheit riskieren, halten Lehrer an deutschen Schulen den Olympischen Gedanken hoch. Aber eine Erziehung im Sinne der fünf Ringe ist umstritten. An der Johann-Henrich-Büttner-Schule im badischen Neuried ist die Olympische Idee pädagogisches Konzept. Lehrer und Schüler zelebrieren ein Fest des Sports. Zur Eröffnung ihrer Schulolympiade haben sie die Fahne mit den fünf Ringen gehisst. Sie improvisieren einen Fackellauf vom Pausenhof in Siegerehrung an der Schule mit Tigern, die durch die Olympische Ringe turnen. (c) privat „Höher, schneller, weiter“ ist hingegen der Anspruch, den sich offenbar Veranstalter und Teilnehmer der Winterspiele in Vancouver auf die olympischen Fahnen geschrieben haben. So war die Ski-Abfahrt der Damen schon fast Harakiri. Favoritin Anja Pärson etwa ist 60 Meter durch die Luft geflogen und erlebte ein Bruchlandung. Pärson kam mit einem Schreck davon. „Sie hätte zu Tode kommen können“, sagte ihr Vater später. Lebensgefährliche Rekordjagden bei Olympia haben aber auch Nebenwirkungen, von denen die Sportler wohl nicht im Geringsten etwas ahnen. Sie bringen Lehrer wie Oliver Bensch in Erklärungsnot. Bensch ist ein leidenschaftlicher Verfechter der Olympischen Idee. Doch, so erzählt er, müsse er sich immer wieder dafür rechtfertigen, beispielsweise beim Schulamt. Die Einstellung, um jeden Preis gewinnen zu wollen, die sehe er auch kritisch. Dennoch: Von seinen Schülern an der Grund- und Hauptschule erwartet der Konrektor die Bereitschaft, dass sie sich anstrengen. „Dabei sein ist eben nicht alles“, sagt er. Das gelte auch für den Unterricht in der Schule. Zweifel, die Jugend im olympischen Sinne zu erziehen, kommen ihm wegen ein paar Stürzen in der olympischen Abfahrt nicht. Anderen aber schon. Pädagogen uneins über Olympische Erziehung Olympia spaltet die deutschen Sportpädagogen und Sportwissenschaftler in zwei Lager. Die einen lehnen es ab, die Spiele als erstrebenswertes Ziel in der Schule hochzuhalten. Eine leistungssportliche Ausrichtung gehöre nicht in den Schulsport, begründen sie ihre Haltung. Außerdem werde Olympia in der öffentlichen Wahrnehmung mit Doping und Kommerz verbunden. Befürworter einer Olympischen Erziehung argumentieren mit Werten wie Fair Play und Völkerverständigung. „Es ist von Anfang an der Anspruch der Olympischen Bewegung gewesen, pädagogisch zu wirken, einen positiven Einfluss auf junge Menschen auszuüben“, sagt Andreas Höfer, Direktor der Deutschen Olympischen Akademie (DOA) in Frankfurt am Main. Die DOA ist der verlängerte Arm des Deutschen Olympischen Sportbundes in die Schulen hinein. Die Akademie bietet Lehrerfortbildungen an und stellt Unterrichtsmaterial zur Verfügung. Anlässlich der Winterspiele in Vancouver hat sie ein Extra-Heft aufgelegt. Die 20.000 Exemplare sind zunächst nur an Grundschulen in Bayern verschickt worden. Lehrer und Schüler im Freistaat sollen damit schon jetzt auf die Bewerbung Münchens für die Winterspiele 2018 eingeschworen werden. Auf Nachfrage, so Höfer, sei die mit pädagogischen Vorschlägen gespickte Publikation noch zu bekommen – auch von Schulen außerhalb Bayerns. Bobfahren in der Schule Oliver Bensch hat nachgefragt und sich eine ganze Menge für die Olympiade an seiner Schule abgeschaut. „Wir fahren zum Beispiel Bob“, berichtet er. Bobfahren ist eine deutsche Paradedisziplin. Und auch an ihr ist in den Tagen von Vancouver deutlich geworden, was DOA-Direktor Höfer meint, wenn er sagt: „Die Realität im Leistungssport konterkariert teilweise die Olympische Idee.“ Im olympischen Bob-Wettbewerb hat es etliche Unfälle gegeben – und nicht nur die vermeintlich Schwächeren waren betroffen. Es erwischte auch Medaillenanwärter. So hat sich der kanadische Zweier-Bob überschlagen und fegte mit 130 Stundenkilometern kopfüber durch den Eiskanal. Die russische Konkurrenz jubelte zunächst, bekam vor laufenden Kameras aber gerade noch die Kurve und mimte Besorgnis. Bobfahren in der Johann-Henrich-Büttner-Schule ist deutlich ungefährlicher: Ein Schüler sitzt im Kasten auf einem Rollbrett und zwei Klassenkameraden schieben ihn durch einen Slalomparcours übers Parkett. Die Uhr läuft mit. Ein Mini-Marathon, Wurfwettbewerbe und Tau-Ziehen (Bensch: „Das war früher olympisch.“) gehören ebenfalls zum Wettkampfprogramm, bei dem auch die Partnerschule aus Frankreich mitmacht. Über den sportlichen Teil hinaus erkunden die Schüler das Gastgeberland der diesjährigen Winterspiele und seine indianischen Ureinwohner. „Wir bauen einen Totempfahl und basteln Traumfänger“, sagt Bensch, der die Schulolympiade auch als Völkerverständigung versteht. |