Zur aktuellen Ausgabe    
   
 
   
Das Bedingungslose Grundeinkommen - Teil 2
WIRTSCHAFT | HINTERFRAGT (15.06.2007)
Von Jan Hendrik Matthey
Bei den öffentlichen Debatten um das bedingungslose Grundeinkommen hat sich die Kritik bloß auf die Frage zugespitzt, ob Menschen überhaupt noch arbeiten würden, wenn ihnen dafür die Notwendigkeit, der Anreiz oder der Ansporn nicht mehr gegeben ist. Es gilt jedoch mehrere Facetten dieser Theorie kritisch zu durchleuchten.

Nachdem sich der Autor im ersten Teil (siehe Ausgabe 5/2007) der Analyse zum bedingungslosen Grundeinkommen mit der Erläuterung des Modells befasst hat, stetzt er sich an dieser Stelle mit der Kritik an dem Modell im Allgemeinen und im Speziellen auch mit der des "Solidarischen Bürgergeldes" der CDU auseinander.

Kritik zum Wandel der Arbeit

1) Wie werden sich die nötigen drastischen Lohnerhöhungen für unattraktive Jobs auf die Endprodukte auswirken? Inwieweit lassen sich überhaupt kleinere Tätigkeiten weiter automatisieren? Zerstört man mit der fortschreitenden Automatisierung Betätigungsfelder zum Zu- bzw. Nebenerwerb?
2) Kann man sich sicher sein, dass gewisse notwendige Positionen stets besetzt werden, in der öffentlichen Sicherheit genauso wie zum Beispiel im Bildungswesen? Kann man von einem stets gewährleisteten Angebot ausgehen?
3) Wird nicht gerade durch die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens der Kapitalismus in seiner reinsten Form weiter ausgeprägt und pervertiert? Zwar wird einem jedem Bürger ein monatliches Geld zugewiesen, was einer sozial gerechten Maßnahme der Umverteilung nahe kommt. Ab diesem Zeitpunkt jedoch waltet ein jeder Bürger komplett selbst über sein Geld und über ihn uneingeschränkt die Gesetze des freien Marktes. Genau auf diesen und auf der Verherrlichung des Konsums soll sich ja schließlich das gesamte finanzielle Gerüst der Theorie begründen.

Kritik zum Wegfall der Sozialleistungen

1) Grundsätzlich bleibt zu klären, welche Aufgaben der Staat noch übernehmen soll. Hier bleibt auch eindeutig von den Verfechtern des Grundeinkommens die Frage zu klären, welche Sozialleistungen konkret gestrichen und vom Grundeinkommen getragen werden sollen. Ist im weitesten Sinne nicht auch das Schul- und Hochschulangebot oder die öffentliche Sicherheit eine indirekte Sozialleistung des Staates an seinen Bürger? Sollen diese Institutionen infolgedessen etwa auch an Investoren des freien Marktes abgegeben werden?
2) Dass bei einer Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens einfach gekoppelte Sozialleistungen wie das Kindergeld, das Bafög, aber auch die Rente wegfallen können, ist leicht verständlich. Auch der Wegfall der Arbeitslosenversicherung ist einfach zu kompensieren. Was jedoch geschieht mit den Sozialleistungen, die heute bedarfsgerecht verteilt werden? Wer springt in Zukunft für Behinderte oder gewisse schwerwiegende Pflegefälle ein, die nicht durch etwaige Versicherungen, welche Härtefall mit einschließen, abgedeckt werden und denen es nicht möglich ist etwaige höhere Kosten aus gesundheitlichen Gründen aufzubringen? Vor allem behinderte Menschen, welche rein wirtschaftlich betrachtet auf den ersten Blick vollkommen uninteressant erscheinen, können eben dieses nicht leisten.

Kritik an der Wirtschaftlichkeit

1) Die erste Schwachstelle ist ganz augenscheinlich der Fakt, dass man auf die im Land erhobene Mehrwertsteuer zu hundert Prozent angewiesen ist, um das System zu finanzieren. Hierzu müssten sowohl die Zollbestimmung, wie auch Grenzgüterkontrollen wieder eingeführt werden, um an der Konsumsteuer vorbei geführte Ware zu stoppen.
2) Die Garantie eines gleich bleibenden Preisniveaus im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarländern ist bei weitem nicht bedingungslos gegeben. Unsicher ist, wie sich die Bezahlung der Arbeiter in verschiedenen Branchen unattraktiver Berufe auf die Gesamtentwicklung der Produktpreise auswirken wird.
3) Einfache Rechnungen [1] haben ergeben, dass bei den heutigen Sozialkosten und Ausgaben zur Kostendeckung die Konsumsteuer in Wirklichkeit auf 74 Prozent erhoben werden müsste. Somit würden bisher postulierte Rechnungen nicht aufgehen und insgesamt ein riesiger Vorteil zugunsten der Arbeitgeber entstehen. Diese würden deutlich von dem Wegfall an Steuern und Lohnnebenkosten profitieren.
4) Ein weiteres Mal muss hinterfragt werden, ob die Konsumsteuer zu dem gleichen Steueraufkommen wie das heutige Steuersystem führen wird. Ein großes Problem wird die einfache Steuerhinterziehung sein, da es sich nur noch um eine einzige Steuer handelt. Bei einem ineinander greifenden Konglomerat an unterschiedlichen Steuern ist dieses weitaus schwieriger.
5) Ein ganz großer Trugschluss ist, dass die Konsumsteuer in ihrer Form sozial gerecht ist. Schließlich müssen auch Faktoren der Tilgung von Konsumbedürfnissen in die Rechnung mit einbezogen werden. Gehen wir beispielsweise von einem Vergleich eines Geringverdieners und eines gut Verdienenden aus. Der Geringverdiener bekommt ein Grundeinkommen von 1000 Euro und einem Hinzuverdienst von 500 Euro, der gut Verdienende bekommt ein Grundeinkommen von 1000 Euro und hat ein zusätzliches Einkommen von 9000 Euro.

Um einen Grundbedarf an Nahrungsmitteln, Wohnungskosten und Krankenversicherung zu decken, muss bei beiden von monatlichen Ausgaben in Höhe von 1.000 Euro gerechnet werden. Hinzu kommt die Konsumsteuer von 50 Prozent, welche noch einmal 500 Euro ausmacht. Während der Geringverdienende am Monatsende bei ± 0 Euro angelangt und ihm eine Steuerquote von 33 Prozent obliegt (500 €/1.500€=33%), kann sich der besser Verdienende mit einem satten Plus von 8500 Euro und einer effektiven Steuerquote von fünf Prozent (500 €/10.000 € = 5%) entspannt zurücklehnen.

Kritik am aktuell diskutierten Modell des „solidarischen Bürgergeldes“ der CDU

Aktuell gilt es vor allem das Programm der Initiative „pro-bürgergeld.de“ mit Vorsicht zu genießen. Diese vom Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus ins Leben gerufene Kampagne propagiert die Ideen des bedingungslosen Grundeinkommens mit einer ganz bestimmten Interessensvertretung. In ihrer Funktion dient sie einerseits wie eine Image-Kampagne sehr werbewirksam dem Bild einer sozial engagierten und progressiven CDU. Schon der Name des bedingungslosen Grundeinkommens bekommt zu diesem Zweck eine rhetorische Aufwertung: „Solidarisches Bürgergeld“ Dieter Althaus jedenfalls verfolgt nur altruistische Ziele mit dieser Initiative: „Ich will den Menschen im Land endlich wieder ihre Freiheit zurückgeben.“ [2](Vielleicht könnte dies die CDU vielmehr durch einen neuen Innenminister und einen Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik erreichen.)

Auf zweitem Blick jedoch und nach genauerer Untersuchung seines Modells kommen erschreckende Fakten zutage. So soll das solidarische Bürgergeld in drei Stufen gestaffelt werden: 500 Euro für Kinder unter 18 Jahren, 800 Euro für Erwachsene mit einem Einkommen unter 1600 Euro und 400 Euro für Erwachsene mit einem Einkommen über 1600 Euro. Hiervon gilt es jedoch nun Abstriche zu machen.
Einhergehend mit der Auszahlung des Bürgergeldes erfolgt die Verpflichtung eines jeden Bürgers für 200 Euro eine Krankenversicherung abzuschließen. Der Abzug dieser 200 Euro welche den Arbeitslosen nun mit dem solidarischen Bürgergeld um gut 100 Euro unter die Hartz IV-Grenze fallen lässt, trägt den euphemistischen Titel: „Abzug der Gesundheitsprämie“.
Zudem steckt hinter dem solidarischen Bürgergeld von Dieter Althaus ein anderes Besteuerungssystem als in dem Modell des bedingungslosen Grundeinkommens von Götz Werner. Laut dem Modell von Althaus wird die derzeitige Mehrwertsteuer von 19 Prozent
beibehalten und auf diese wiederum eine zweigeteilte Einkommenssteuer erhoben. Diese beläuft sich bei den Bürgern, die unter 1600 Euro im Monat verdienen auf 50 Prozent, welche nicht direkt auf die Einkünfte selbst erhoben wird, sondern vom monatlichen Bürgergeld abgezogen wird – eine so genannte ‚negative Einkommenssteuer’. Bei denen jedoch, die über 1600 Euro monatliches Einkommen haben, werden nur noch 25 Prozent Einkommenssteuer erhoben.
Einhergehend mit dieser unverschämten Art und Weise der Besteuerung fallen trotzdem wie bei Götz Werners Modell des bedingungslosen Grundeinkommens jegliche Sozialleistungen weg.

Die Nutznießer eines solchen Systems sind schnell genannt: Der Staat spart laut Quellen auf Althaus Homepage durch die Einsparungen der Sozialleistungen über 200 Milliarden Euro (nicht eingerechnet die Verwaltungskosten, welche mit den Sozialleistungen einhergehen) und kann eine als Heilmittel propagierte neoliberale Wirtschaftspolitik weiter ausbauen. Als weitere Nutznießer sind durch die wegfallenden Lohnnebenkosten in Höhe von knapp 190 Milliarden Euro die Arbeitgeber zu nennen. Verlierer dieses Systems ist derjenige, der laut Althaus „der Mittelpunkt seiner Theorie" sei: der einfache Bürger. Vor allem der, der aus welchen Gründen auch immer vom Sozialsystem der Deutschen Bundesrepublik abhängig ist, welches mit Einführung des Bürgergeldes komplett abgeschafft werden würde.
Der bedürftige Bürger jedoch würde fortan nur noch mit einem Geldsatz abgespeist werden, welcher unter dem heutigen Hatz IV-Niveau liegt und ihn in genau die prekären Verhältnisse treibt, welche ihn – man erinnere sich an die ursprüngliche neoklassiche Intention der Hartz IV-Reform (1. Teil dieses Artikels) – dazu nötigen werde, jegliche Arbeit anzunehmen. Diese Einkünfte würden ihm dann auch noch mit 50 Prozent besteuert werden.

In dieser Funktion dient das solidarische Bürgergeld also wieder dem alten Ziel der Vollbeschäftigung einer Gesellschaft. Es scheint zudem – und dieses wurde vor kurzem von Norbert Blüm sehr scharf in der Zeit kritisiert – als würde es manchen Politikern auch um die grundlegende Abschaffung des Sozialstaates als lästigen Kostenfaktor gehen.

Fazit

An dieser Stelle muss die Frage nach der Notwendigkeit von Reformen in unserer Gesellschaft gestellt werden. Hat unsere Politik nicht schon in den letzten 20 Jahre dringend notwendige Reformen versäumt? Können wir es uns momentan leisten, uns mit einer Utopie des bedingungslosen Grundeinkommens zu befassen und diese zu fordern, obwohl sie einen weiteren Einführungs- und Wirkungszeitraum von mindestens 20 Jahren beansprucht? Und können wir es gesellschaftlich verantworten, Theorien wie das solidarische Bürgergeld der CDU zu postulieren? Ist die einfache Kompensation aktueller sozialpolitischer Probleme mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens überhaupt umsetzbar?
Wer hindert uns zudem bei Reformen am aktuellen System an einem Mentalitätenwechsel und einer sozialeren Ausgestaltung?

Sicherlich ist es eine grundlegende Frage, ob im Falle eines bedingungslosen Grundeinkommens Menschen noch bereit wären zu arbeiten. Mit dieser Frage steht und fällt die Theorie von „Idealisten“ wie Götz Werner, denn unser heutiges Produktionswesen und Staatssystem wäre ohne einen Arbeitswillen der Menschen nicht auszudenken. Diese Frage ist jedoch immer individuell abhängig und wird immer stets spekulativ und somit niemals beantwortbar sein. Die Menschen mit einem Modell eines Grundeinkommens wie das des solidarischen Bürgergeldes durch die Schaffung prekärer Verhältnisse dazu zu zwingen, jeglichen Job zu jeglichen Bedingungen anzunehmen, ist für mich der falsche Weg.

Ein Mentalitätenwechsel würde der unsrigen Gesellschaft in vielen Bereichen nicht schaden. Auch eine indirekte Erziehung zur Selbstständigkeit ist sicher nicht der falsche Weg. Jedoch sollte sich dieser meiner Meinung nach stets über eine bessere Grundversorgung, der Chancengleichheit im Bildungswesen und in einer Politisierung der Bürger vollziehen, nicht bloß in einem Abspeisen der Bürger mit Geldern.

----------------------------------------------------------------
[1] http://www.nachdenkseiten.de/?p=2335
[2] Einleitungssatz seines Eröffnungsstatements bei Maybrit Illner am 03.05.07. Thema der Sendung: „Geld für ‚nichts-tun’, das bedingungslose Grundeinkommen“

Weiterführende Links
http://www.pro-buergergeld.de/Initiative Pro Bürgergeld
   





Unsere Texte nach Ressorts
GESELLSCHAFTPOLITIKKULTURREISEUMWELTWIRTSCHAFTSPORT
Ein sächsisches Dorf kann auch andersNewtons zweiter SiegWo Nachbarn zur Familie gehörenNur kein zweites KreuzviertelLiebe über den Tod hinausJede Fahrt eine DrogenfahrtEine Million Euro für die Cannabis-LobbyArmutszuwanderung? Eine Untergrunddebatte!Mails verschlüsseln leicht gemachtVerschlüsseln - eine Notlösung Soziale Demokratie geht auch ohne SPDBedingt verhandlungsbereitDas vergessene Massaker von AndischanDas Ende von Lüge und SelbstbetrugGeteiltes Volk einig im Kampf gegen IS-TerrorDie Urkatastrophe und wirDas Ende rückt immer näherNeue Regierung, neue Krisen, neue FehlerMerkels neues WirHausfotograf der deutschen Sozialdemokratie Liebeserklärung eines Linksträgers. Oder...Mit der Lizenz zum AusrastenDer beste Mann für Afghanistan"Weil sie auch nur Opfer sind"Gestatten, Gronausaurus!Missratenes PashtunenporträtDie Band LilabungalowWo Leibniz und Wagner die Schulbank drücktenHitler in der Pizza-SchachtelDie Freiheit des Radfahrens In der Wildnis vergessenStau in der FahrradhochburgMitfahrer lenken selbstÜber Wroclaw nach Lwiw - eine verrückte TourIm Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 2Im Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 1Sounds of KenyaDie 41-Euro-SündeRive Gauche vs. Rive DroiteOranje im Freudentaumel Drei Naturerlebnisse in einemDas Gegenteil von KollapsDas Gift von KöllikenDas große Pottwal-PuzzleBio bis in die letzte FaserDer WonnemonatKlimakiller sattDer Monsun - vom Quell des Lebens zum katastrophalen NaturphänomenR136a1 - Schwerer und heller als die SonneDie Rückkehr zur Wildnis Wie die Hausverwaltung GMRE ihre Mieter abzocktWachstum und BeschäftigungSo schmeckt der SommerMakler der LuxusklasseGeburtshelferinnen vom Aussterben bedrohtVersenkte Milliarden und eine verseuchte BuchtWohnungen als WareAufstieg, Krise und Fall der AtomwirtschaftDie längste Brücke Deutschlands entstehtDie Geschichte der 'Alternativlosigkeit' - Teil 2 Fußballtempel MaracanãGlanz und Niedergang der Fanclubsiley.de drückt Maschine Münster die DaumenUnsere Veranstaltungsreihe im Web TVFrankreich ist ein heißer Kandidat fürs FinaleSpanien wird den Titel verteidigenFür Deutschland ist im Halbfinale SchlussPolen hat das Zeug für eine ÜberraschungForscher, Fans und PolizeiFußball im Würgegriff der Mafia
 
Ja, auch diese Webseite verwendet Cookies. Hier erfahrt ihr alles zum Datenschutz