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Internet und Demokratie
GESELLSCHAFT | GESELLSCHAFT GESTALTEN (15.03.2008)
Von Frederik Esser
Was langläufig als Web 2.0 bezeichnet wird, ist die Entwicklung, bei welcher der Nutzer im Internet selbst zum Autor wird. Auf Plattformen wie You-tube, Myspace, Studi-VZ und Wikipedia werden die Inhalte durch die Communities zu großen Teilen selbst hergestellt.

Die Gemeinschaften um solche Plattformen gelten als die größten sozialen Gruppierungen unserer Tage. Kennzeichnend dafür ist, dass sie sich und ihre Aktivitäten fast ausschließlich auf den virtuellen Raum beschränken. Es werden große Datenmengen "usergenerierten Contents" her- und bereitgestellt.

In vielen Communities findet eine ständige Diskussion über alltäglicher und gesellschaftlicher Probleme statt. Das ist in Sachen Meinungsbildung nicht zu unterschätzen, in den seltensten Fällen aber entstehen Handlungsimpulse, die auch im "real life" in der Gesellschaft zu beobachten sind. Doch neben aller Belanglosigkeit gibt es eine parallele Entwicklung im Internet bei welcher sich abzeichnet, dass es auch zu einem Werkzeug für die konkrete Gestaltung der Gesellschaft werden kann.

photocase.com, Benutzer smartinka

Die Maus in die Hand nehmen. (c) photocase.com, Benutzer smartinka

Ergänzung oder Erweiterung zur Demokratie?

Auch die Politik hat die Bedeutung des Internets erkannt und schließt an vielen Stellen die Bürger mit virtuellen Eingabestellen, Petitionsstellen und Foren an die Ebene der Politik an. So gibt es in Deutschland und Großbritannien mittlerweile die Möglichkeit, Petitionen an die Regierung über das Internet zu stellen und dort abstimmen zu lassen. Diese Entwicklung gibt der Frage der Gewaltenteilung in der Gesellschaft eine neue Färbung. Die Regierungen geben zwar die Entscheidungsgewalt durch das sogenannte e-Government nicht ab, öffnen sich aber den Stimmen und Interessen der Bevölkerung deutlicher als je zuvor. Artikel 20 Absatz 2: "Alle Macht geht vom Volke aus" scheint somit wieder mehr Gewicht zu bekommen.

Doch viele Bereiche und Prozesse in unserer Gesellschaft sind nicht nur von der Politik abhängig, und deren Macht wirkt nur bedingt über die Landesgrenzen hinweg. Bei den Weltkonzernen sieht das anders aus - sie sind zu einem globalen Machtfaktor geworden. Deren Einfluss auf die ökologischen und sozialen Strukturen der einzelnen Regionen ist enorm. Dem Verbraucher auf der anderen Seite fehlt es an Möglichkeiten, Einfluss auf die Auswirkungen zu nehmen, denen er und seine Umwelt durch die Aktivitäten der Wirtschaft ausgesetzt sind. Fast die einzige "Abstimmung" liegt in der Kaufentscheidung, durch den Griff ins Regal. Weite Bereiche, die unsere tägliche Lebenswelt bestimmen, entziehen sich im Moment noch unserer Einflussnahme.

Netzkampagnen

Diese Lücke versucht eine ständig wachsende Zahl von Netzkampagnenaktivisten zu schließen, die das Internet nutzen und in kürzester Zeit Unterschriften für Kampagnen zu gesellschaftlichen Themen aktivieren. So wird über das Netz Meinungsäußerung geballt, an Entscheidungsträger herangetragen und gesammelt, die noch vor der Zeit des Internets kaum etwas von dem globalen Widerstand, ihre Entscheidungen betreffend, erfahren hätten. Diese Form der Einflussname hat schon einen relativ großen Umfang erreicht, und viele soziale NGO´s wie amnesty international und foodwatch nutzen diesen Weg, um ihren Forderungen und Kampagnen Nachdruck zu verleihen. Die Akzeptanz dieser Kampagnenarbeit lässt sich meist nur in den Reaktionen der Empfänger messen. Doch die Zahl der Mitzeichner nimmt jeden Tag zu. Während noch viele das Internet als eine Fluchtmöglichkeit aus der "Realität" verteufeln, gibt es mit den oben beschriebenen Tendenzen schon heute einer wesentlich breiteren Masse an Menschen die Möglichkeit, sich schnell und unbürokratisch zu engagieren. Die Legitimation dieser Äußerungen entsteht durch die Zahl der Mitzeichner und spricht mit dem Text der Forderungen für sich.

Auch dieser Art der Einflussnahme sind natürlich Grenzen gesetzt, die vielleicht an anderer Stelle zu diskutieren wären. Aber sie stellt eine wichtige Erweiterung zur machtpolitisch stark veränderten Situation auf diesem Planeten dar. Offen bleibt die Frage, was mit den Menschen ist, die keinen Zugang zum Internet und damit zu dieser neuen Ebene der gesellschaftlichen Gestaltung haben. Es bleibt zu hoffen, dass neben der Wohlstandskluft nicht auch die "digitale Kluft" immer größer wird. Doch laut einer Studie des Marktforschungsinstituts EITO wird die Zahl der Internet-Nutzer in diesem Jahr weltweit um rund 100 Millionen steigen. Die Online-Community habe sich demnach innerhalb von fünf Jahren verdoppelt. Damit ist beinahe jeder Fünfte online. Die Nutzer des Internet nehmen also wesentlich schneller zu als die Weltbevölkerung, die mit 1,14 Prozent pro Jahr wächst. Was diese Zahlen mit den oben beschriebenen Tendenzen zusammen für die Zukunft unseres globalen Dorfes heißt, lässt sich jetzt noch nicht absehen. Aber solange heißt es: Kräftig die Augen auf für eine neue Art der Einflussnahme, mit der man sich zwar noch hinter dem Bildschirm verstecken kann aber nicht mehr hinter dem Satz: "Ich kann als Einzelner eh nichts ausrichten."

Weiterführende Links
http://www.agentur-fuer-wandel.deDie Agentur für Wandel
http://www.avaaz.org/deNetzkampagnenorganisation
http://itc.napier.ac.uk/e-Petition/bundestagPetitionsausschuss des Deutschen Bundestages im Internet
   



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